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Wo der Strom seine Sohle frisst

In der Elbe gibt es eine Strecke, wo sie sich das Material zurückholen will, das ihr der Mensch entzogen hat.

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© Grafik: WSA

Von Udo Lemke

Elbland. Elke Kühne muss lachen: „In gewisser Weise kann man die Elbe schon wie ein Lebewesen sehen – sie ist halt ein dynamisches System.“ Gerade hat sie erzählt, wie sich der Fluss zwischen Mühlberg und der Saalemündung förmlich in seine Sohle frisst, aus Hunger nach Sedimenten.

Elke Kühne ist Sachbearbeiterin beim Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Dresden (WSA). „Man sieht immer nur die Oberfläche der Elbe, aber was unten im Wasser passiert, das muss man mal gelernt haben.“ Und das hat sie. Sie hat Wasserbau an der TU Dresden studiert, ist seit 1992 beim WSA und heute zuständig für das Sohlstabilisierungskonzept der Elbe. Was es damit auf sich hat, erklärt sie so: Das Wasser wäscht Material aus der Sohle des Flusses aus. Dort wo dieses grob ist, also aus relativ großen Steinen und Kieseln besteht, ist die Sohle relativ stabil, so wie um Dresden und Meißen. Hier gerät das Material erst dann in Bewegung, wenn die Strömung so stark wird wie bei einem fünfjährigen Hochwasser. Auch zwischen Mühlberg und Torgau ist die Sohle noch ausreichend stabil, auch wenn hier das Material schon feiner ist. „Der Erosionsschwerpunkt liegt oberhalb von Wittenberg.“ Hier werden bis zu zwei Zentimeter pro Jahr abgetragen.

Eine Ursache für den Hunger der Elbe nach Sedimenten liegt viele Kilometer stromaufwärts. Weil in Tschechien Staustufen und an den Zuflüssen Talsperren und Speicherbecken gebaut worden sind, können anfallende Sedimente nicht mehr in der Elbe stromabwärts transportiert werden. Dieses Material fehlt ihr also. Und weil das so ist, wird dem Fluss keinerlei Material mehr entnommen. Im Gegenteil, „seit Mitte der 1990er-Jahre wird das Material zugegeben, das von oben nicht mehr kommt“. Dazu wird Kies aus den Gruben geholt und vom Lkw auf sogenannte hydraulische Klappschuten verladen. Deren Schiffsboden lässt sich öffnen, sodass der Kies auf die Sohle der Elbe sinken kann. „Wir geben immer etwas gröberes Material als das vor Ort auf der Sohle vorhandene zu, damit sich der Fluss abarbeiten kann.“

Damit alles funktioniert, gibt es eine Dosierungsvorschrift, und die Zugabestellen sind etwa 20 Kilometer voneinander entfernt. Und natürlich wird auch Geschiebe umverteilt. Wenn irgendwo die Fahrrinne ausgebaggert werden muss, weil sich Material angesammelt hat, wird es dorthin gebracht, wo die Elbe es abträgt. Dabei gilt: Je feiner die Steine auf der Sohle, desto erosionsanfälliger ist diese. Wie die Sohle der Elbe aussieht, wird fortlaufend mit Peilschiffen gemessen.

Allerdings konzentriert sich das WSA nicht nur auf die Elbsohle selbst, um deren Erosion zu verhindern, sondern auch auf die Uferbereiche. So wird versucht, dem Fluss wieder mehr Raum zu geben. Um die Belastung der Sohle bei Hochwasser zu verringern, sollen Ufer abgegraben und durch die Ablagerung von Geschiebe entstandene Uferaufhöhungen abgetragen werden. „Durch das Reaktivieren von Flutrinnen und das Wiederanbinden von Altarmen wird das Gewässerbett ebenfalls entlastet, und der Strömungsangriff auf die Sohle bei Abflüssen über Mittelwasser reduziert.“ Tatsache bleibt allerdings: Weil der Mensch der Elbe ihre normale Dynamik genommen hat, muss er nun dauerhaft dafür sorgen, dass sie Sediment bekommt, soll sie sich nicht immer weiter eingraben.