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„Wir haben doch heute wieder Planwirtschaft“

Der bekannte Riesaer Arzt Dr. Dieter Frank will mit einem alten Defa-Film über Riesa eine neue Debatte anstoßen.

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© Sebastian Schultz

Riesa. Im Westen ist alles schlecht. Arbeitslosigkeit, schlechte Gesundheitsversorgung, Ärger mit der Meinungsfreiheit. So schildern es die sieben Besucher aus dem Rheinland, die Anfang der 50er-Jahre das Stahlwerk Riesa besuchen. Hier bekommen sie die Glanzseiten der jungen DDR vorgeführt: gute Löhne, reichlich Essen, günstige Wohnungen, beste medizinische Versorgung, Sport- und Kulturförderung auf höchstem Niveau. Der Defa-Film „Sieben vom Rhein“ von Andrew und Annelie Thorndike von 1954 zeigt ein höchst einseitiges Bild von Ost und West. Trotzdem holt ihn das Stadtmuseum noch einmal aus der Versenkung, um ihn öffentlich aufzuführen. Die SZ sprach darüber mit dem bekannten Riesaer Arzt Dr. Dieter Frank. Der 79-Jährige hatte lange für die CDU im Stadtrat gesessen – und jahrzehntelang als Betriebsarzt im Stahlwerk gearbeitet.

Herr Dr. Frank, warum sollte man sich heute einen Propagandafilm aus der frühen DDR-Zeit anschauen? Als Sprecher fungiert Karl-Eduard von Schnitzler – das sagt ja schon Einiges aus...

Schon allein, weil es in Riesa ein großes historisches Interesse gibt. Als ich vor rund zehn Jahren noch Aufsichtsratschef bei der FVG war, kam mir die Erinnerung, dass es da einen Film gab, der den Aufbau nach dem Krieg propagandistisch begleitete. Ich hörte mich bei vielen alten Stahlwerkern und Einwohnern um: Aber keiner wusste davon. Ich habe dann beim Defa-Archiv angefragt – und die haben den Film tatsächlich gehabt und für uns digitalisieren lassen. Wir haben den vor Jahren auf dem Balkon in der Arena einmal gezeigt – und der Andrang war so groß, dass mehr Leute draußen standen und schimpften, als drinnen sitzen konnten.

Wie kamen Sie denn als Mediziner überhaupt zum Stahlwerk?

Ich wurde damals angehalten, vor meinem Medizinstudium eine Lehre im Stahlwerk zu machen: Mit einem Vater, der Arzt war, galt ich als Angehöriger der Intelligenz. Für die war es in der DDR üblich, zunächst die Arbeiterklasse kennenzulernen. Da will ich aber nichts Schlechtes drüber sagen: Es wäre auch heute gut, wenn die Leute mal eine Schippe in die Hand genommen haben, bevor sie an die Hochschule gehen.

Haben Sie denn die Zeit miterlebt, in der der Film gedreht wurde?

Mir sind viele der Mitwirkenden im Stahlwerk wieder begegnet: Ich habe dort 1956 – zwei Jahre nach den Dreharbeiten – zum ersten Mal als Oberschüler mein Geld verdient. 1957/58 habe ich meinen Facharbeiterbrief dort gemacht. Dann wurde ich vom Werk zum Medizinstudium delegiert.

Was haben Sie eigentlich während Ihrer Stahlwerk-Ausbildung gemacht?

Wir haben voneinander gelernt. Damals hatten – durch Krieg und Vertreibung – manche Arbeiter gar nicht richtig die Schule besuchen können. Mancher konnte nicht richtig lesen und schreiben. Das habe ich denen in Alphabetisierungskursen beigebracht. Dafür zeigten die mir, wie man einen Ofen beschickt und wie man mit der Schippe umgeht. Daraus entstand eine derart herzliche Verbindung, dass ich mir gar nicht vorstellen konnte, nach meinem Studium irgendwo anders als ins Stahlwerk hinzugehen. So kam es, dass ich dort 22 Jahre als Betriebsarzt arbeitete. Manche Kollegen aus meiner Ausbildungszeit habe ich über Jahrzehnte behandelt, auch bis zuletzt. Wir hatten ein so großes Vertrauensverhältnis, dass es rührend war.

Der Film lobt die medizinische Versorgung im Riesaer Stahlwerk in höchsten Tönen. War die damals wirklich so gut?

Das Stahlwerk hat in allen sozialen Bereichen das Beste gegeben: bei der Kinderbetreuung, beim Sanatorium, beim Betriebssport. Ob Ultraschallgerät oder Röntgentechnik: Wir hatten nur das Beste. Allerdings ging das gesamtgesellschaftlich nicht auf. Die Siemens-Martin-Öfen wurden mit Gas und Öl gefeuert – und die Russen setzten die Erdölpreise hoch. Zusatzstoffe mussten teuer auf dem Weltmarkt gekauft werden. Am Ende musste jede Tonne Stahl subventioniert werden. Ich habe aber große Hochachtung vor den Leuten, die unter schwierigsten Bedingungen schwere Arbeit geleistet haben und anständige Leute geblieben sind.

Gibt es außer dem historischen Interesse noch einen Grund, den Defa-Film nochmals aufzuführen?

Unbedingt! Man kann von damals einen Bogen zur jüngeren Vergangenheit spannen: So wie 1954 „Sieben vom Rhein“ kamen, denen die Segnungen des Sozialismus vorgeführt wurden, kamen 1990 wieder welche vom Rhein. Die wollten uns zeigen, dass die Planwirtschaft die Wurzel allen Übels ist. Ob Biedenkopf oder Graf Lambsdorff: Alle möglichen Prominenten hielten in Riesa solche Reden. Dabei haben wir heute doch wieder Planwirtschaft.

Wie meinen Sie das?

Nehmen wir als Beispiel die sogenannte Energiewende: Wenn Merkel als Ziel ausgibt, dass bis 2020 eine Million Elektroautos fahren sollen oder dass bis 2050 die fossilen Brennstoffe vollständig durch erneuerbare Energien ersetzt werden sollen – was ist das anderes als Planwirtschaft? Ein Stahlwerk, als Grundpfeiler von Wirtschaft und Wohlstand, braucht so viel Energie, dass 100 Windräder dafür nicht ausreichen würden. Aus meiner Sicht bringt die Planwirtschaft den Industriestandort Riesa und Deutschland in Gefahr. Das muss man hinterfragen.

Ist dafür ein mehr als 60 Jahre alter DDR-Film das richtige Mittel?

Das ist nur ein Ansatz. Frau Prätzel vom Museum plant außerdem eine Tagung mit dem Umweltbeauftragtem von Feralpi, einem Vertreter der Grünen und mir als Arzt. Dabei geht es um das Thema, dass die Feinstaubbelastung angeblich für Todesfälle verantwortlich sei. Da bin ich als Mediziner sehr kritisch. Da gibt es übrigens noch eine Parallele zum Film „Sieben vom Rhein“.

Tatsächlich?

Der Film entstand als Reaktion auf den Aufstand vom 17. Juni 1953. Damals war ja Karl-Eduard von Schnitzler auch der wichtigste Rundfunk-Propagandist. Ich habe seinerzeit die Panzer in Riesa an den Straßenecken stehen sehen. Der Auslöser für die Streiks und den Zorn der Arbeiter waren die Arbeitsnormen, die beim Bau der Häuser für die Berliner Stalinallee deutlich angehoben worden waren. Und was ist eine Norm? Ein Grenzwert – so ähnlich wie bei den Abgaswerten heute. Ich würde gern im Museum mit den Besuchern darüber sprechen, was heute eigentlich „normal“ ist. Kommt eine offene Gesellschaft ohne Normen aus – oder nicht?

Das Interview führte Christoph Scharf.

Der Film „Sieben vom Rhein“ ist am Dienstag, 31. Juli, um 17 Uhr im Stadtmuseum am Poppitzer Platz zu sehen. Karten gibt es für fünf Euro dort im Vorverkauf. Im Kino war er seinerzeit offenbar nur ein einziges Mal zu sehen.