Merken

Wie können Behinderte wohnen?

Falk Hofmann ist schwerbehindert und lebt in Bayern. Die Rückkehr zu seinen Eltern nach Dresden ist schwierig.

Teilen
Folgen
NEU!
© Sven Ellger

Von Juliane Richter

Beinahe jedes zweite Wochenende setzen sich die Dresdner Ute und Horst Hofmann ins Auto und fahren nach Altdorf bei Nürnberg. Dort holen sie freitags ihren schwerbehinderten Sohn Falk ab und nach Dresden. Nach dem Wochenende bringen sie ihn zurück. 1 200 Kilometer sind das jedes Mal. Die Hofmanns gehen stark auf die 80 Jahre zu, die Tour wird für sie immer anstrengender. Und doch nehmen sie es auf sich, weil sie ihren Sohn gern zu Hause haben möchten. Seit seiner Kindheit leidet der heute 47-Jährige unter spastischen Lähmungen. Laufen konnte er noch nie. Deshalb ist er auf den Rollstuhl angewiesen und kann auch die Hände nur eingeschränkt bewegen. Geistig ist er jedoch fit.

In Altdorf lebt er seit mehr als 20 Jahren im Wichernhaus, einer Einrichtung der Rummelsberger Diakonie, in stationärer Betreuung. Rund um die Uhr ist Personal vor Ort. Seine Behindertenwerkstatt befindet sich in unmittelbarer Nähe. Mit einem Freund hat er schon Konzerte in München oder Berlin besucht und nimmt auch sonst an Freizeitaktivitäten teil. Frank Hofmann fühlt sich wohl in Altdorf. Doch seit einigen Jahren plagen ihn Zweifel. „Eine Mitarbeiterin hat mich mal gefragt, wie es weitergeht, wenn meine Eltern mal nicht mehr können. Darauf hatte ich keine Antwort“, erzählt er. Der Wunsch, dauerhaft nach Dresden zurückzukehren, wächst.

Doch die Umsetzung ist aus Sicht der Familie schwierig. Eine vergleichbare Einrichtung wie in Altdorf gibt es hier für körperlich Behinderte nicht. Falk Hofmann hat sich verschiedene Heime angeschaut. Die Räume selbst waren ihm zu klein oder die Umstände passten nicht. Zum Beispiel würden die Bewohner bis spätestens 21.30 Uhr zu Bett gebracht. Dass der Nachtdienst das später am Abend übernimmt, sei nur im absoluten Ausnahmefall möglich. Falk Hofmann aber möchte auch in Dresden seine Freizeit genießen, er möchte selbstbestimmt leben.

Über die richtige Wohnform für ihn diskutieren seine Eltern schon lange mit dem zuständigen Kommunalen Sozialverband Sachsen (KSV). Je nach Einzelfall kommt dieser für die Unterbringungskosten auf. Allerdings verweist der KSV auf SZ-Anfrage auf das neue Bundesteilhabegesetz und den darin verankerten Gedanken, Menschen mit Behinderung wieder stärker ambulant zu betreuen.

Familie Hofmann kann sich jedoch nur schwer vorstellen, dass Falk in Dresden eine eigene Wohnung bezieht, in der er ambulant betreut wird und von der er zur Arbeit in eine Behindertenwerkstatt fährt. Egal ob beim Essen, Zähneputzen, Toilettengängen oder dem Baden – er braucht Hilfe. Das erleben die Eltern in ihrer Wohnung immer wieder hautnah. „Zum Glück wiegt er nur 45 Kilogramm“, sagt sein Vater. So gern sie ihren Sohn bei sich haben, eine dauerhafte Lösung sei das nicht. Viele Tätigkeiten mit ihm könnten sie nur noch zu zweit erledigen. Wiederholt betonen sie, dass die ambulante Betreuung kein Allheilmittel sei. „Es muss das Wahlrecht der Behinderten gewahrt werden, auch stationär betreut werden zu wollen“, sagt Horst Hofmann und verweist auf die Behindertenrechtskonvention, wonach die Behinderten auch in das städtische Leben integriert werden sollen.

Stadt will neue Studie präsentieren

Weil Hofmanns sich nach einer Lösung wie in Altdorf sehnen, schlagen sie den Bau eines ähnlichen Komplexes im Lingnerareal vor, das in den nächsten Jahren durch den Architekten Peter Kulka entwickelt wird. Der lässt ausrichten, dass die Idee der Familie begrüßenswert sei. „Allerdings liegt es allein an den Investoren, was für ein Mix in der Lingnerstadt entstehen wird“, sagt er.

Die zuständige Stadtverwaltung hält von der Idee dagegen wenig. Vergleichbare Angebote gebe es – historisch gewachsen – in Trägerschaft der Cultus gGmbH in Altleuben. Das ist allerdings eine Wohnstätte für geistig Behinderte. Andere Werkstätten und Außenarbeitsplätze für Behinderte seien im Stadtgebiet verteilt, um wohnortnah Arbeitsangebote unterbreiten zu können. Ein Weg zwischen Wohnen und Arbeiten sei Normalität und durchaus gewollt, sagt eine Sprecherin. Auch Matthias Pohle, Leiter des Dresdner Körperbehindertenverbandes, sieht das so. Er kennt mehrere Dresdner, die trotz schwerer Behinderung in den eigenen vier Wänden leben – und das organisiert und auch finanziert bekommen. Über das sogenannte „persönliche Budget“ sei sogar eine 24-Stunden-Assistenz buchbar. Einen Eigenanteil müssen die Bezieher allerdings leisten. Der könne durchaus 1 000 bis 2 000 Euro betragen, sagt Pohle. Gemessen an den Gesamtkosten von bis zu 30 000 Euro im Monat, sei das wenig, meint er.

Familie Hofmann ist von diesem Modell nicht überzeugt – wegen der Kosten und den Anträgen sowie Abrechnungen. Auch eine Betreuung in einer privaten Einrichtung können sie sich nicht leisten. Sie glauben, dass sie damit und mit dem Wunsch nach einer stationären Betreuung kein Einzelfall sind und wehren sich gegen diese Behauptung, die ihnen von den Behörden immer wieder entgegenschlage.

In den nächsten Wochen wird es über das Thema und die Sorgen der Betroffenen mehr Klarheit geben. Dann will die Stadtverwaltung die Ergebnisse einer Studie vorstellen, die sie bei der TU Dresden beauftragt hat. Sie trägt den Titel „Untersuchung über die Wohnsituation und Wohnwünsche von Menschen mit Mobilitätseinschränkung in Dresden.“