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Wie die Siemensianer ihr Görlitzer Werk neu erfinden

Regierungschef Michael Kretschmer erfährt am Dienstag viel über neue Abläufe und Produkte. Doch unklar bleibt, wieviele der über 800 Jobs noch wegfallen.

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© Pawel Sosnowski

Von Sebastian Beutler

Görlitz. Für Sachsens Regierungschef reiste auch Christoph Ebert aus Dresden an. Als gestern Ministerpräsident Michael Kretschmer unmittelbar nach seinem Sommerurlaub in Portugal das Görlitzer Siemens-Werk besucht, steht auch der Mitarbeiter vom Institut für Leichtbau und Kunststofftechnik an der Technischen Universität Dresden in der Werkhalle. An einer Präsentation erklärt Ebert dem Gast, woran er gerade mit den Görlitzer Siemensianern forscht. Schon seit einigen Jahren verbindet die Maschinenbauer eine enge Forschungszusammenarbeit mit den Dresdnern Forschern. Immer drehen sich die Projekte um die Frage, wie können die Dampfturbinen effizienter und leichter gebaut werden. Bei den Turbinenschaufeln ist ihnen schon der Durchbruch geglückt, nun haben sie sich an die Tragstruktur der Turbine gemacht, die ein Drittel des Gesamtgewichtes der Anlage ausmacht. Wenn sie hier Stahl durch leichtere Metalle ersetzen könnten, brächte das Einsparungen bei Material, Transportkosten und vielem mehr. In zwei Jahren, schätzt Ebert, könnte es so weit sein.

Um Kosten und Effizienz dreht sich derzeit alles im Görlitzer Siemens-Werk. Seit Konzernchef Joe Kaeser Anfang Mai dem Standort eine Chance als weltweite Zentrale für das Industriedampfturbinengeschäft eingeräumt und die Schließungspläne beiseitegelegt hat, müssen die rund 800 Mitarbeiter nun zeigen, ob ihre Strategien auch Erfolg haben. Es sei eine „einmalige Chance für die Mitarbeiter, um ihre Zukunft zu gestalten“, sagt am Dienstag der Görlitzer Standortleiter Ronald Schmidt, der ab 1. Oktober das weltweite Industriedampfturbinengeschäft bei Siemens verantwortet, nachdem er zwischenzeitlich auch mal für Dampfturbinen Verantwortung trug.Das Ziel ist dabei klar. Es sollen keine Verluste mehr beim Bau der Industriedampfturbinen entstehen, eine schwarze Null fordert Kaeser. „Ein herausforderndes Ziel“, findet Schmidt, „aber ein machbares.“ Derzeit ist das Geschäft noch defizitär, das soll sich ab 1. Oktober aber ändern.

Dafür steht auch Martin Vogel auf einer Plattform in der Montagehalle. Über ihm hängt ein Banner, das Kretschmer signalisiert, hier lerne er eine Pilotanlage der künftigen Fertigung kennen. Deren Kernbotschaft: Durch speziell von einem mittelständischen Unternehmen aus der Region angefertigte Montageplattformen sollen Leerzeiten beim Turbinenbau der Geschichte angehören. Die Digitalisierung hilft zudem, die Produktion ohne Papier zu ermöglichen. Mithilfe von 3-D-Modellen der Turbinen, sogenannte digitale Zwillinge, können die Mitarbeiter einfach und schnell die Zulieferteile auf Genauigkeit prüfen. Auch das soll dazu beitragen, Kosten zu sparen, Montagezeiten zu verringern, die Effizienz zu steigern.

Kretschmer würdigt denn auch die Anstrengungen der Siemens-Mitarbeiter und sieht sich darin auch in seiner Einschätzung aus dem vergangenen Herbst bestätigt. Er hätte immer daran geglaubt, dass das Görlitzer Werk gerettet werden könne, weil er die Belegschaft als motiviert und kompetent kennengelernt habe, die sich nicht gegen den Strukturwandel stellt, aber ihre Chance gefordert habe, ihre Arbeitsplätze zu retten. Wie viele ihren Job durch die noch nötigen Umstrukturierungen gleichwohl doch noch verlieren werden, lässt Schmidt gestern offen. Ende September sollen die Vereinbarungen mit dem Betriebsrat vorliegen. Trotz dieser Unsicherheit für die Mitarbeiter bleibt Kretschmer aber zuversichtlich, dass auch in den kommenden Jahren Industriedampfturbinen das Görlitzer Werk verlassen werden. „Wir stehen jedenfalls auf einem wesentlich festeren Fundament als noch vor Monaten“, erklärt er. Das sieht auch Ronald Schmidt so. Siemens habe mit den Görlitzer Industriedampfturbinen ein „tolles Produkt“, das auf die Akzeptanz der Kunden stößt und sei damit „Weltmarktführer“. Das zeige sich auch bei der Auftragslage, die Schmidt für das nächste Jahr, abgesehen „vielleicht von einer kleinen Delle am Jahresanfang“, als gut und stabil bezeichnete. Doch Schmidt und Kretschmer haben hinter verschlossenen Türen auch über neue Geschäftsfelder gesprochen. Speicherlösungen für Batterien könnte ein Thema sein, wie Schmidt andeutet, wo Siemens sich Unterstützung von Sachsen erhofft. Kretschmer sichert sie ihm zu.