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„Wer sind die Blauen?“

Und noch einige andere Fragen an die scheidende AfD-Chefin. Auch nach ihren Diäten.

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© Marco Klinger

Von Thilo Alexe

Drei Minuten vor Sitzungsbeginn betritt Frauke Petry den Plenarsaal des sächsischen Landtags. Ihren vier Monate alten Sohn Ferdinand auf dem Arm. Petry steuert die letzte Bankreihe an und nimmt hinter ihren ehemaligen Fraktionskollegen Platz, den Säugling auf dem Schoß.

Am Tag zuvor hatte die Parteichefin ihren Abschied von der AfD angekündigt. Seit Mittwoch ist sie fraktionslos – so wie ihre Vertrauten Kirsten Muster und Uwe Wurlitzer. Die beiden rahmen Petry auf den benachbarten Plätzen ein und nehmen ihr gelegentlich den Kleinen ab.

Die meisten AfD-Abgeordneten passieren das Trio grußlos. Allerdings begrüßt Silke Grimm ihre bisherige Vorsitzende mit Handschlag. Und Gunter Wild spricht lange mit ihr. Der AfD-Abgeordnete aus dem Vogtland trat am Tag nach der Bundestagswahl als Kreischef der Partei zurück. Er zeigte sich wie Petry genervt vom drastischen Rechtsruck und kritisierte als ein Beispiel dafür das von Spitzenkandidat Alexander Gauland postulierte Recht, auf Leistungen der Wehrmachtssoldaten stolz sein zu dürfen.

Landtagspräsident Matthias Rößler (CDU) eröffnet die Sitzung. Er verpflichtet die Linke Antje Feiks, die für einen ausgeschiedenen Abgeordneten nachrückt. Feiks und Rößler schütteln sich dazu die Hand, dann unterbricht der Präsident die Sitzung. Durch die Fraktionsaustritte muss das Redezeitmodell neu berechnet werden.

Das Präsidium braucht eine Auszeit, schließlich steht fest: Zu den aktuellen Debatten an diesem Mittwoch können Petry, Muster und Wurlitzer zumindest zeitlich nur wenig beitragen. Sie haben dafür je zwei Minuten, die aber jeder von ihnen. Dann folgt Petrys erste Entscheidung als fraktionsloses Mitglied des Landtages. Das Parlament wählt ein Mitglied des Rates für sorbische Angelegenheiten.

Die Frage, die Journalisten am Rande des Plenums derweil stellen, lautet: „Wer sind die Blauen?“ Immerhin hat die AfD ein blau grundiertes Logo. Ein in der Nacht aufgetauchter Eintrag auf dem Kurznachrichtendienst Twitter gibt Rätsel auf. Darin verkünden die Blauen, dass es in Kürze mehr zur gleichnamigen Parlamentariergruppe im Bundestag zu lesen gibt.

Es folgen weitere Einträge, unter anderem spötteln die bis dahin Unbekannten über ihre rege Erwähnung in den Medien. Petry verlässt schließlich für wenige Minuten den Plenarsaal, um der Presse in der Lobby Antworten zu geben. Sind die Blauen eine Partei? Petry sagt, sie habe eine Internetadresse unter dem Namen angemeldet. Noch gehe es eher um eine Idee. Später verneint Petry in einem Gespräch mit der SZ die Frage, ob die Blauen ein eingetragener Verein werden sollen. In Deutschland brauche es schon eine Partei.

Auch Petrys Ehemann nährt solche Spekulationen. Der Europaabgeordnete Marcus Pretzell will ebenfalls aus der AfD austreten. Im ZDF sagte er, es gebe „derzeit keine Partei, die in der Lage wäre, politische Veränderungen in Deutschland durchzusetzen“. Das legt nahe, dass Pretzell eine gründen will. „Lassen sie sich mal überraschen, was wir so vorhaben.“

Petry will jedenfalls im Landtag bleiben und auch ihr Bundestagsmandat als Fraktionslose wahrnehmen. Im SZ-Interview weist sie den Vorwurf der Wählertäuschung zurück. Auf die Frage, warum sie nicht früher mit offenen Karten gespielt habe, antwortet sie: „Wenn Sie als Chefin einer Partei so exponiert sind, wie ich das in den vergangenen Jahren war, gibt es keinen richtigen Zeitpunkt.“ Die Wähler wollten, dass sie vernünftige Politik für sie macht. Sie habe gesagt wofür sie stehe, dabei bleibe es. Petry, die das Direktmandat in der Region Pirna gewann, sieht sich dem AfD-Programm weiter verpflichtet.

Zuvor hatte der frühere AfD-Politiker Hans-Olaf Henkel Petry und Pretzell im MDR als „gnadenlose Opportunisten“ bezeichnet. Wäre Petry vor der Wahl ausgetreten, hätte sie womöglich kein Mandat errungen. Die Landtagsfraktion der Linken sprach von einem „Schmierentheater mit Stühlerücken“.

Weil Petry im Landtag bleiben und das Bundestagsmandat annehmen will, hat sie auf vergleichsweise hohem Niveau finanzielle Einbußen. Sie erhält die Bundestagsdiät, aber keine Landtagsdiät mehr. In Zahlen heißt das: Die Grunddiät des Bundestages beträgt im Monat 9 327 Euro und 21 Cent. Dazu kommt eine Aufwandsentschädigung etwa für Reisekosten. Die Landtagsdiät für einfache Abgeordnete ist zwar geringer. Doch als Fraktionschefin hat Petry bislang die doppelte Diät erhalten: brutto 11 336,32 Euro pro Monat.

Im Landtag ändert sich einiges. Die AfD verliert zulasten der SPD je einen Sitz in den Ausschüssen – was kaum Einfluss auf die Mehrheitsverhältnisse hat. Die Zuschüsse für die AfD verringern sich. Petry und ihre beiden Verbündeten können in Ausschüssen nicht mehr mitstimmen, allerdings beratend an den Sitzungen der Gremien teilnehmen. Und wie ist das Verhältnis der nun Getrennten? Beide Seiten bemühten sich um Fairness, sagt Petry. Man sollte die Trennung so handhaben „wie bei einer Ehescheidung, wenn Kinder betroffen sind“. (mit SZ/dsz,wer/dpa)