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Wenn Liebe in Gewalt endet

In immer mehr Partnerschaften in Dresden kommt es zu Schlägen, Tritten oder emotionalen Drangsalierungen.

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© picture alliance / dpa

Von Julia Vollmer

Das blaue Auge verschwindet hinter einer dicken Schicht Make-up, die Tränen hinter einer Sonnenbrille – doch die Narben auf der Seele lassen sich nicht verstecken. Wenn die Liebe zum Partner in einer Spirale aus Gewalt versickert, leiden beide. Immer mehr Paare in der Stadt sind in dieser Spirale gefangen. Die Fälle von häuslicher Gewalt steigen.

2017 gab es 1 112 Fälle in Dresden, 2002 nur rund 300 in ganz Sachsen. Das liegt einerseits an einem Anstieg der tatsächlichen Fälle. Zum anderen daran, dass sich mehr Opfer trauen, die Taten anzuzeigen, so die Polizei. Noch vor zehn Jahren war die Dunkelziffer deutlich höher. Aber hoch sei sie auch 2018 noch, betont Frau Lesch, die im Fachbereich häusliche Gewalt bei der Polizeidirektion Dresden-Nord arbeitet. Ihren Vornamen will sie aus eigenem Schutz für sich behalten. Außerdem gibt es erst seit 2002 das Gewaltschutzkonzept, bis dahin waren die Opfer schlechter geschützt.

Wer sind die Opfer, wer die Täter? Mit rund 68 Prozent ist die überwiegende Zahl der Opfer weiblich, so Tom Bernhardt, Sprecher des Landeskriminalamtes Sachsen (LKA). Fast jede Zweite wurde bei den Übergriffen verletzt. Die Täter waren meist der eigene Partner oder nahe Angehörige, in der Mehrzahl der Fälle ehemalige Partner. Der Anteil der nicht deutschen Täter lag bei rund 17 Prozent. Dabei stammen die Täter aus allen sozialen Schichten und allen Altersklassen. „Es gibt auch Einsätze beim Professor auf dem Weißen Hirsch“, so Expertin Lesch.

Die Polizei unterscheidet zwischen körperlicher, seelischer, sexualisierter und ökonomischer Gewalt. „Auch wenn ein Mann seiner Partnerin über Jahre das Geld abnimmt, ist das eine Form von Gewalt“, so Lesch bei einer Diskussionsrunde der SPD Dresden-Neustadt. Zu den typischen Vorfällen zählen Schläge, Tritte, Würgen, das Verbrennen von Kleidung oder Hausfriedensbruch. Anzeigen kommen von Nachbarn, aus der Familie oder von Ärzten, die die Opfer behandeln. Geht bei den Beamten eine Anzeige ein, überprüfen sie die Situation und fahren bei den Betroffenen vorbei. Bei der sogenannten Gefährderansprache des Täters können sie ihm Kontaktverbot erteilen und ihn auch für 14 Tage aus der gemeinsamen Wohnung verweisen.

Die Gründe, warum ein Streit in Gewalt eskaliert, sind Unzufriedenheit in der Beziehung, Stress im Job oder Verhaltensstörungen bei den Tätern. Viele wiederholen aber schlicht ein Muster, das sie in ihrer Kindheit erlebten. Konflikte mit Schlägen „lösen“ – so erlebten es viele Täter bei ihren eigenen Eltern, berichtet die Expertin vom Polizeirevier.

Wenn die Beamten von einem Fall wissen, heißt es, schnell zu handeln. „Innerhalb der ersten 14 Tage ist die Bereitschaft, sowohl vom Opfer als auch vom Täter, viel höher, darüber zu reden, als danach“, so Lesch. Das erlebt auch Frau Nätsch von der Täter-Beratungsstelle Escape. „Zu uns kommen hauptsächlich Männer in die Beratung, die von ihren Frauen geschickt wurden.“ Gleich nach der Tat seien die Schuldgefühle am höchsten und damit die Bereitschaft, sich Hilfe zu suchen.

Die Berater um Frau Nätsch nehmen sich viel Zeit für jeden Betroffenen, egal ob Täter oder Opfer. 25 Sitzungen gäbe es mindestens. Dabei wird geschaut, wie die Lebensumstände sind. Gibt es Kinder in der Beziehung? Wie würde sich eine Trennung regeln lassen? Einziges Ausschlusskriterium: Alkohol- und Drogensucht. „Dann raten wir erst mal zur Therapie“, so Netzsch.

Doch warum bleiben so viele Opfer bei ihren gewalttätigen Partnern? Oft ist Abhängigkeit das größte Problem. Emotional vom langjährigen Ehemann oder Vater der Kinder. Aber auch wirtschaftlich vom Ernährer oder Partner, der jahrelang den Alltag und die Behördenangelegenheiten erledigt hat. Viele Frauen hätten weder eigenes Geld noch ein Konto und flüchten mit ihren Kindern aus Angst vor dem finanziellen Ruin nicht aus ihrer privaten Hölle und bleiben. Jahrelang. „Im Schnitt trennen sich die Opfer erst nach sieben Jahren“, so Lesch von der Polizei.

Hilfe bekommen die Betroffenen bei den Beratungsstellen in der Stadt. Eine von ihnen ist neben Escape das D.I.K., das zum Frauenschutzhaus gehört. Hier erfahren die Frauen, wo sie Hilfe bekommen, und können mit ihren Kindern unterkommen. Angebote für die Opfer speziell in der Neustadt will das Projekt Stop machen. Die Engagierten beraten Frauen und potenzielle Zeugen, wie Nachbarn. Die Bewohner des Stadtteils sollen geschult werden, wie sie Warnsignale, wie laute Konflikte, erkennen und entsprechend handeln können.