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Wenn Kinder von Fremden angesprochen werden

Immer wieder gibt es Fälle in Dresden. Ein Projekt kümmert sich seit zehn Jahren um mehr Sicherheit.

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© imago/photothek

Von Julia Vollmer

Es ist noch still in der Neustadt, außer Schulkindern und deren Eltern oder Hundebesitzern ist kaum jemand unterwegs. Um 7.15 Uhr spricht ein älterer Mann am Martin-Luther-Platz zwei Mädchen an. Sie sind gerade auf dem Weg zur Schule. Der Mann bietet den achtjährigen Kindern an, sie zu begleiten. Die beiden Mädchen lassen sich nicht darauf ein und wenden sich an ihre Schulleitung.

Wollte der Mann nur freundlich sein oder hatte er andere Absichten? Taten wie diese vor wenigen Wochen bewegen sich immer in einer Grauzone. „Das Ansprechen an sich ist noch keine Straftat“, so Polizeisprecher Marko Laske. Gerade ältere Menschen würden es zum Teil gar nicht böse meinen, wenn sie Kinder ansprechen. Vielleicht fühlten sie sich nur an ihre Enkel erinnert.

Doch die Polizei mahnt auch zur Vorsicht. Natürlich gebe es auch Täter, die ein klar kriminelles sexuelles Interesse an den Kindern hätten. „Das Manipulieren am Geschlechtsteil oder das Entblößen vor Kindern ist sexueller Missbrauch und natürlich eine Straftat“, so Laske. Der Polizeisprecher nennt keine konkreten Zahlen, wie oft es zu diesem „Ansprechen“ kommt. „Die Zahl bewegt sich pro Jahr im mittleren zweistelligen Bereich“, so Laske.

Ähnliche Zahlen nennt auch Tom Bernhardt, Sprecher des Landeskriminalamtes (LKA). Für 2017 seien 34 Fälle, für 2018 29 Fälle in Dresden erfasst. Er verweist darauf, dass die Täter aber gar nicht immer Fremde sind. Die tatsächliche Bedrohungslage stimme erfahrungsgemäß nicht mit dem subjektiven Unsicherheitsgefühl überein. Die Kriminalstatistiken und wissenschaftlichen Forschungsstudien zeigen, dass nur rund 20 Prozent der Täter „fremde Personen“ sind, etwa 50 Prozent stammen aus dem Bekanntenkreis und weitere 30 Prozent aus dem familiären Umfeld des Kindes. „Die Gefahr für unsere Kinder geht also in der Regel nicht von unbekannten Menschen aus und lauert auch nicht hinter dem Busch“, so Bernhardt. Das Risiko, dass Kinder in der Familie, im Bekannten- und Freundeskreis oder im Sportverein sexuell missbraucht werden, sei weitaus höher.

Polizeilich bekannte Missbrauchstäter oder Tatverdächtige, die vor der Tat keine Beziehung zum kindlichen Opfer hatten, begehen in erster Linie exhibitionistische und ähnliche Handlungen, so Bernhardt. Nur in sehr seltenen Fällen werden Kinder von unbekannten Personen überfallen und schwer missbraucht. Bei der Motivation gehe es in dieser Tätergruppe nur teilweise um sexuelle Befriedigung, sondern vielmehr um das Aus- und Erleben von Macht. „Der Missbrauch eines Kindes wird dazu benutzt, um soziale Misserfolge in Familie, Partnerschaft und Beruf auszugleichen“, berichtet der LKA-Sprecher. Die Täter versuchten, durch den Missbrauch ihr meist beschädigtes oder geringes Selbstwertgefühl zu kompensieren.

Der bärenstarke August

Die Polizei hat Tipps für Kinder und Eltern, wenn das Kind von Fremden angesprochen wird. Dem Kind sei alles erlaubt, was dabei hilft, auf sich aufmerksam zu machen, wie schreien, kratzen, beißen oder treten, so Bernhardt.

Doch Veit Rößner, Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Uniklinik, warnt vor Panikmache. „Eltern müssen aufpassen, dass sie nicht zu starke Ängste in den Kindern auslösen, wenn sie auf mögliche Gefahren hinweisen, die durch die Kontaktaufnahme durch Fremde entstehen können.“ Sie sollten möglichst sachlich darüber informieren und Regeln aufstellen wie Abstand halten, nicht zu lange reden und nicht alleine mit Fremden sprechen. Die Kunst bestehe also darin, das Thema ernsthaft anzusprechen, aber nicht unnötig Sorgen und Ängste zu schüren, so Rößner.

Doch wenn ein Kind bedrängt oder zum Mitgehen oder Mitfahren aufgefordert wird, sei Wegrennen zu anderen Menschen in Geschäfte, Praxen oder in die Schule die beste Alternative für ein Kind, um sich Hilfe zu holen, raten Experten.

Seit zehn Jahren gibt es in Dresden das Projekt „Bärenstarker August“, das sich dem Kinderschutz widmet und in genau solchen Situationen helfen will, wie sie die beiden Mädchen am Martin-Luther-Platz erlebt haben. „In den letzten Jahren hat sich in Bezug auf den Kinderschutz in Dresden sehr viel verändert,“ sagt Projektkoordinatorin Annett Grundmann. Der Fokus liege auf der Sicherheit für Kinder und Jugendliche. „Das Thema Prävention spielt auch eine große Rolle.“ Verschiedene Instrumente, wie der Kinderschutzordner stehen allen Schulen zur Verfügung.

Von der sächsischen Landesärztekammer gibt es seit kurzem die Kinderschutz-App „Hans&Gretel“. Diese soll Fachleuten auch mobil die Beurteilung erleichtern, ob Kinder gefährdet sind.