Merken

Was taugt die Ebersdorfer Mitfahrbank?

Die SZ hat den Test gemacht, sich auf die Bank am „Nußbaum“ gesetzt und gewartet, bis jemand anhält.

Teilen
Folgen
© SZ Thomas Eichler

Von Marcus Scholz

Was für ein schöner Morgen, denke ich mir am vergangenen Dienstag. Die Sonne wirft ein paar sanfte Strahlen vom Himmel und die Temperaturen sind angenehm. Nicht zu warm, um ins Schwitzen zu geraten und nicht zu kalt, um Frostbeulen zu bekommen. Es ist gegen 9 Uhr, als ich an der Bushaltestelle „Nußbaum“ im Löbauer Ortsteil Ebersdorf vom Beifahrersitz meines Autos steige, die Tür hinter mir zufallen lasse und sehe, wie mein Wagen ohne mich wieder davonfährt. Jetzt bin ich auf mich allein gestellt. Auch, weil sonst weit und breit niemand auf der Straße zu sehen ist. Aber ich wollte es ja nicht anders. Denn mein Ziel ist es, an diesem Tag herauszufinden, was Löbaus erste Mitfahrbank, die an besagter Bushaltestelle Nußbaum in Ebersdorf steht, denn eigentlich taugt. Wird mich jemand mitnehmen und zurück zu meinem Büro am Löbauer Neumarkt bringen oder muss ich den Weg zu Fuß bewältigen? Auf den Bus brauche ich nicht zu warten – laut Fahrplan fährt der erst wieder um die Mittagszeit.

Nach kurzem Sondieren der Lage setze ich mich schließlich auf die hölzerne Mitfahrbank, die durch ein orangefarbenes Schild am steinernen Buswartehäuschen (ob gut oder schlecht zu erkennen, darüber lässt sich streiten) gekennzeichnet ist. Mal sehen, wie lange es wohl dauern wird, bis sich meiner jemand erbarmt. Die ersten fünf Minuten vergehen. Eine Handvoll Autos kommt an mir vorbeigefahren. Anhalten will niemand. Naja, egal, denke ich, zücke mein Handy und schaue mir, um die Wartezeit zu überbrücken, Bilder der jubelnden Isländer an, die am Montagabend Englands Kapitel bei der Fußballeuropameisterschaft geschlossen haben. Weitere fünf Zeigerumdrehungen später passiert dann das, was ich so schnell nicht für möglich gehalten hätte: Horst Hennig stoppt seinen bläulichen Fiat direkt vor mir und winkt. „Wolln ’se mitfahrn?“, fragt er. Eigentlich ja, sage ich, steige aber dennoch nicht zu ihm ins Auto. Denn jetzt will ich wissen, ob Horst Hennigs Halt nur Zufall war oder, ob auch noch andere Ebersdorfer Mitleid mit mir haben werden. Herr Hennig jedenfalls würde jederzeit wieder den Blinker an der Mitfahrbank setzen und auf die Bremse drücken. „Ich habe schon viele mitgenommen. Das ist eine richtig gute Sache“, sagt er und braust wenig später weiter in Richtung Löbau.

„Ich teste die Mitfahrbank.“ - „Oh je.“

Mittlerweile ist es kurz nach halb zehn und der Verkehr auf der Niederen Dorfstraße nimmt zu. Doch die meisten Fahrer der vorbeirauschenden Autos interessieren sich eher wenig für mich. Einige von ihnen lächeln in meine Richtung, andere wiederum würdigen mich keines Blickes. Eine Omi, mit Terminen in der Stadt, wäre an meiner Stelle wahrscheinlich schon längst verzweifelt. Ich dagegen habe ja etwas Zeit mitgebracht. Als ich dann schon wieder mein Handy zücken will, kommt erneut Bewegung in die Sache. Ein Ehepaar mit grauem Skoda nähert sich und siehe da, hält sogar vor mir an. Er und sie, beide Mitte/Ende 60, steigen aus und grüßen verhalten. In der Hoffnung mitgenommen zu werden grüße ich zurück – aber wahrscheinlich hätte ich das auch ohne diesen Hintergedanken getan.

Anstatt mir eine Fahrt nach Löbau anzubieten, gehen beide in Richtung Kofferraum, öffnen ihn, holen eine Kiste mit Tischdecken und Laken hervor und steuern zielstrebig in Richtung Bushäuschen. Dann unterbricht auf einmal ein Rattern die Ebersdorfer Stille am Vormittag und mir wird klar, warum das Pärchen angehalten hat: Er und sie sind gekommen, um die „Rolle“ im Wartehäuschen zu nutzen und ihre Wäsche durch die Mangel zu drehen. Oder besser gesagt: Nur sie dreht. Er kommt stattdessen wieder nach draußen und schaut mich fragend an. „Ich teste die Mitfahrbank“, sage ich. „Oh je“, sagt er. Dann frage ich, ob sich der Mann vorstellen könne, selbst jemanden mitzunehmen. Seine Antwort macht mir Hoffnung. Es käme darauf an, wer auf der Bank sitze, sagt er. Vernünftige Leute oder Ältere würde er einladen. Bei Halbwilden, am Ende noch mit einer Bierflasche in der Hand, so seine Worte, würde er nicht anhalten. Das oberflächliche Geplänkel dauert eine halbe Stunde. Danach ist sie mit Wäscheglätten fertig und er bringt die Kiste mit den fein säuberlich zusammengelegten Tischdecken und Laken wieder zurück in den Kofferraum. Autos, die währenddessen an mir vorbeifahren, wollen nicht anhalten. Fest davon überzeugt, dass er und sie mich gleich zum Einstieg auffordern – beide sind extra aus Löbau zum Wäscheglätten nach Ebersdorf gefahren – stört mich das aber wenig. Dann gehen die Türen des Skodas auf. Er steigt ein, sie säuselt leise „Wiedersehn“, steigt ebenfalls ein und beide fahren ohne mich davon. Ungläubig schaue ich dem grauen Wagen hinterher. Mist, denke ich. An der Bierflasche kann es zumindest nicht gelegen haben – die habe ich zu Hause gelassen.

Meine Hoffnung schwindet

10.05 Uhr. Margarete Pätzold schiebt ihr Fahrrad in meine Richtung und spricht mich an. „Mir wäre das ja zu unsicher, bei jemand Fremdem mitzufahren“, sagt die Senioren. Auf der hölzernen Bank habe aber auch sie schon oft gesessen, um auf den Bus zu warten, über dessen Fahrzeiten sie mir dann ihr Leid klagt. Die Mitfahrbank überzeugt sie nicht: „Hier hält kaum jemand. Schlimme Zeiten, jeder ist sich selbst der Nächste“, so Frau Pätzold. Noch nicht mal Bekannte würden anhalten, um sie mitzunehmen. „Seit mein Mann gestorben ist, bin ich darauf angewiesen“, sagt sie, wünscht mir alle Gute und schiebt ihr Rad weiter die Niedere Dorfstraße hinauf.

Mittlerweile haben ein paar Wolken die wenigen Sonnenstrahlen aufgefressen, Wind kommt auf und es wird leicht frisch. Es ist halb elf und meine Hoffnung eine Mitfahrgelegenheit zu ergattern, schwindet zunehmend. Als ich mich schon zu Fuß zurück in Richtung Bürosessel machen will, kommt ein schwarzer BMW um die Ecke, wird langsamer und stoppt. Heiko Wolf am Steuer ist nach nunmehr anderthalb Stunden des Wartens erst der Zweite, der bereit ist, mich mitzunehmen. „Ich finde die Idee gut. Allerdings ist sie viel zu wenig publik gemacht worden“, sagt Wolf. Mitnehmen würde er jeden. Diese Einstellung würden aber nicht alle teilen: „Die Angst, den Falschen einzuladen, fährt sicherlich bei vielen mit. Die Leute kennen sich doch kaum noch“, sagt er und chauffiert mich bis zum Löbauer Bahnhof. Dort steige ich aus, bedanke mich artig und frage mich aber kurz darauf, wie ich anstelle einer Omi denn wieder zurück nach Ebersdorf kommen soll?

Die Optionen sind rar gesät. Denn man muss den passenden Moment und die passende Jahreszeit erwischen, um von Löbau wieder zurück in die Ortsteile oder umliegenden Dörfer zu kommen. An Schultagen etwa fahren Busse von 11.19 Uhr bis 14.40 Uhr im Stundentakt vom Löbauer Busbahnhof nach Ebersdorf. Während der Ferien sieht das schon anders aus: Dann nämlich fährt nur ein Bus regulär aus der Stadt in Richtung Jäckel. Als Alternative stehen die kostenpflichtigen Varianten Rufbus oder Taxi bereit. Oder man macht sich mit seiner Mitfahrgelegenheit von der Hinfahrt einen Termin für die Rückfahrt aus. Aber ob das immer so klappt, wie erwünscht? Ich weiß nicht so recht.

Mein Testergebnis fällt auf alle Fälle etwas ernüchternd aus. Während meines 90- minütigen Wartens auf der Ebersdorfer Mitfahrbank am „Nußbaum“ haben sich von rund 40 Autofahrern lediglich zwei dazu entschlossen, mir ihre Hilfe anzubieten. Dass die Bilanz so schlecht ausfällt, damit habe ich nicht gerechnet. Die Mitfahrbank ist ohne Zweifel eine gut gemeinte Idee. Wird es dabei auch bleiben?