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Was macht Ihnen Angst, Herr Schleehahn?

Ein Sicherheitsmann aus Dresden erzählt, wie der Job seine Familie gefährdet. Und das mitten in der Fußgängerzone.

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© Thomas Kretschel

Angst als Begriff ist schwer zu greifen. Respekt vor gewissen Situationen zu haben, das ist unabdingbar. Aber wo genau ist die Grenze zwischen Respekt und Angst? Natürlich gibt es immer wieder heikle Situationen. Aber da habe ich keine Angst, höchstens Angst, diese Situation nicht bewältigen zu können.

Im Job hat sich der Begriff, also das, was einem Angst macht, schon ganz schön verschoben. Man hat jetzt Angst oder Respekt davor, mit irgendwas nicht zurechtzukommen. Fragt sich, was passiert heute wieder, womit werde ich bei meiner Arbeit konfrontiert, kann ich alles lösen? Doch wer grundsätzlich Angst hat, auf Arbeit zu gehen, der sollte den Job wechseln.

Versagensängste, in dem Moment das Richtige zu tun, das kennt jeder. Klar passiert es bei meiner Arbeit, dass einer vor mir steht, plötzlich ein Messer in der Hand hat oder eine Eisenstange. Aber da sind immer die Kollegen hinter mir – wenn man sich an die taktischen Grundsätze hält und eben nicht alleine über den Flur schlappt.

Ist man zu zweit oder zu dritt unterwegs, kann man vielleicht die Situation nicht vollumfänglich lösen, aber man hat die Eisenstange nicht abgekriegt, hat seinen Kopf am Ende des Tages noch auf dem Hals. Es gibt heute andere Einflüsse auf unsere Arbeit, wir müssen uns anders und gegen anderes schützen. Wir brauchen mittlerweile Leute, die auf Handyfilmer aufpassen. Oft genug werden wir massiv provoziert und dann, wenn wir reagieren, gefilmt. Und nur dieser Ausschnitt der Wirklichkeit landet dann im Netz. Da müssen wir uns auch im privaten Umfeld Gedanken machen, sehen, wie wir mit Anfeindungen klarkommen.

Ja, das denke ich, ist dann schon wirklich Angst. Dass der Job sich aufs Private auswirkt. Vieles kann man wegstecken, kriegt auch bei bestimmten Sachen ein dickes Fell. Gesten wie die Handbewegung vorm Hals, dieses symbolische Kehledurchschneiden, oder Sprüche wie „Ich töte deine Mutter“, die sind zwar extrem, aber so etwas muss man nicht mit nach Hause nehmen. Das muss man in den Skat drücken. In neunzig Prozent aller Fälle ist das nichts anderes als dummes Gelaber.

Interessant sind die übrigen zehn Prozent, die das wirklich ernst meinen. Trifft man sich in der Innenstadt, wird dort wiedererkannt von jemandem, mit dem man Ärger hatte, wird es plötzlich richtig eklig. Wenn man sich nicht mehr angstfrei in der Stadt bewegen kann, ist das großer Mist. Deshalb meide ich mit meiner Familie die Prager Straße und fahre auch nur mit dem Auto, nie mit Bus oder Bahn. Angst macht mir also am ehesten, dass meiner Familie etwas passiert. Oder mir selbst auf gesundheitlicher Ebene. Der Gedanke, dass meiner Freundin oder meiner Tochter etwas passiert, der macht mir Angst. Weil ich da eben möglicherweise nichts machen kann. Und wenn irgendjemand mein Kind anfasst, da drehe ich durch.

Fakt ist ja aber, ohne uns würde es nicht gehen. Sicherheit wollen doch alle haben, in Sicherheit ein Konzert erleben, in Ruhe tanzen gehen. Wir sind letztlich die Guten, was neunzig Prozent der Leute auch so sehen. Aber zehn Prozent machen aus Prinzip Stress. Da gibt es so irre Kleinigkeiten: Wenn die Besucher eines Neustadt-Klubs ihre Bierflaschen vor der Tür abstellen, sammeln wir die sicherheitshalber ab und zu ein, um zu vermeiden, dass wir die auf den Kopf kriegen oder dass die sonst irgendwie zu Waffen gemacht werden. Und schon zeigt uns jemand wegen Diebstahl an, ruft die Polizei, die der Sache nachgehen muss. Ganz viel Lärm um gar nichts. Oder ein angeheiterter Besucher fällt im Klub die Treppe runter, unsere Leute gehen hin, helfen ihm hoch und er behauptet, die hätten ihn geschubst. Und zack, wieder eine Anzeige wegen Körperverletzung.

Damit plagen wir uns, plagt sich die Polizei, das Gericht. Wir beschäftigen also eine Anwaltskanzlei, die sich ständig um Nichtigkeiten kümmern muss, andererseits aber auch Psychotherapeuten, weil manche von unseren Leuten alleine nicht mehr verarbeiten können, womit sie so konfrontiert werden. Manche erzählen alles ihren Partnern, andere verdrängen es, andere gehen ins Fitnessstudio und reagieren sich am Sandsack ab. Jeder geht anders mit diesen Belastungen um. Manchmal ist es einfach besser, nicht zu viel zu erzählen, weil sich sonst die Familie nur ängstigt. Ich bin eh nicht so der gesprächige Typ. Und ich habe festgestellt, dass es nicht zielführend ist, mit meiner Freundin über gewisse Abläufe in meinem Job zu reden.

Natürlich haben auch die Gäste heute mehr Angst als früher. Nach den ganzen Terroranschlägen ist da eine ganz andere Sensibilität zu beobachten. Da werden wir schon mal gerufen, weil eine Tasche rumliegt. Und nun? Sechstausend Leute evakuieren? Da müssen wir in dem Moment abwägen, entscheiden und handeln. Das ist eine Gratwanderung, denn wir müssen das ernst nehmen, dürfen aber auch nicht überreagieren.

Die Leute haben mehr Angst, ja, und wir müssen versuchen, sie ihnen zu nehmen. Obwohl sie uns das wahrlich nicht leicht machen. Alle wissen, das verschärft kontrolliert wird, die meisten wollen das auch so. Deshalb sind die Einlasszeiten bei Konzerten weit nach vorn verlegt worden. Aber die Leute kommen trotzdem eine halbe Stunde vor Beginn und maulen, wenn sie nicht rechtzeitig drin sind. Das macht einen schon etwas ratlos.

Das, womit wir in den Flüchtlingsunterkünften konfrontiert werden, ist jedoch wirklich was anderes und beunruhigender. Dort sind die Unfallzahlen unserer Leute wesentlich höher als bei allen anderen Einsatzgebieten. Aber das ist auch normal. Der Flüchtling will eigentlich nicht in diesem Heim sein, kriegt nach Wochen vielleicht einen Lagerkoller, wird möglicherweise selbst bedroht, verliert irgendwann die Nerven. Mit Anmache, Selbstverstümmelung, Prügeleien und anderem ungewöhnlichen Verhalten sind wir dort schon öfters konfrontiert. Das zehrt körperlich, mental.

Andererseits sehen wir dort Dinge, die wir auch lieber nicht sehen möchten. Schon weil wir vieles hilflos hinnehmen müssen. Zum Beispiel den teils rabiaten Umgang mit Frauen und Kindern. Manche Kollegen sind zu sensibel, um das mitzumachen. Die müssen dann versetzt werden. Das war am Anfang noch viel krasser. Mit der ersten großen Welle kamen im Gegensatz zu heute viele Familien mit Kindern. Das war teilweise ein Elend, dass es einige von uns nicht ertragen haben. Sie konnten ja schließlich nichts machen. Nicht bei so vielen Leuten. An die Nieren ging es uns dann auch, dass wir dort quasi zwischen den Fronten standen. Erst marschierten die Nazis auf, die uns dafür beschimpften, dass wir den Aufbau des Lagers bewacht haben. Später kam die Antifa und beschimpfte uns als Nazis. Als die Autonomen vorm Lager demonstrierten und irgendwelche Parolen skandierten, konnten wir den Flüchtlingen gar nicht erklären, was da abgeht und dass die auf ihrer Seite sind. Die hatten einfach nur Angst.

Selbst hatte ich richtige Angst nur einmal in meinem Leben. Beim Bund war ich 2001 als Schießaufsicht bei den Rekruten eingeteilt. Ich habe einen von ihnen angesprochen. Der drehte sich prompt zu mir um, mitsamt dem Gewehr. Unabsichtlich, völlig in Gedanken. Doch der Lauf des geladenen G36 zeigte genau auf mich. Der Mann hatte den Finger am Abzug und ich sah mein ganzes Leben vorbeirattern. Wie im Film. Das war Angst. Todesangst.

Aus Fehlern lernt man – supertolle Floskel. Aber es ist so. Wahrscheinlich macht es das gerade aus, dass man immer wieder in völlig unvorhersehbare Situationen kommt, dass man sich seinen Ängsten stellen muss. Am Ende sind es Menschen, die uns unseren Job schwer machen, aber die Menschen machen ihn auch interessant.

Keine Ahnung, wie oft ich schon bedroht wurde. Bei schwerwiegenden Gefährdungslagen ist man zum Glück nie allein. Da sieht man dann sofort, ob ein Team funktioniert. Wir sind nie Einzelkämpfer, sondern immer ein Team. Deshalb haben wir keine Angst, wollen vielmehr anderen die Angst nehmen, auf gar keinen Fall anderen Angst machen.

Früher lief das alles ohne große Ausrüstung, heute geht kaum noch was ohne Schutzwesten. Seit drei, vier Jahren ist das extrem. Der Deutsche ist ja eher der Faustkämpfer, daran waren wir gewöhnt. Doch speziell Migranten aus Nordafrika fuchteln schnell mit dem Messer rum. Ob sie auch zustechen würden, weiß man nicht. Aber plötzlich hatten wir regelmäßig solche Begegnungen. Da muss man vorsorgen. Und bewegt sich sofort auf sehr, sehr dünnem Eis. Springt da eine Gruppe von zehn, zwölf Leuten vor einem rum, alles zetert, weil man sie nicht reinlässt und dann greift einer mit wütendem Gesicht in die Jackentasche, packt man sicherheitshalber zu. Hat er wirklich ein Messer in der Hand, war alles richtig. War es nur das Handy, ist man angeschmiert. Das ist das, was ich meine, wenn ich Angst habe, in einer undurchschaubaren Szene das Falsche zu machen.

Früher war der Job schlechter bezahlt, aber cooler. Man war bei Konzerten dabei, konnte Frauen kennenlernen und hatte mehr Spaß. Heute gibt es mehr Geld, doch die Risiken sind höher. Stress gab es immer, doch die Hemmschwelle, Gewalt anzuwenden, ist sehr niedrig geworden.

Dabei legen wir ja die Einlassregeln nie fest, müssen sie aber durchsetzen, denn genau dafür werden wir bezahlt. Wenn ein Disco-Betreiber also festlegt, dass nicht alle Personen in das Lokal reingelassen werden dürfen, sondern beispielsweise nur Personen ab einem gewissen Alter oder nur in bestimmter Bekleidung oder keine größeren Männergruppen, müssen wir das umsetzen. Da ist es passiert, dass sich Leute über diese Praxis massiv beschwerten, der Betreiber einknickte, wir dann doch diese Männerguppen reinlassen mussten und eine halbe Stunde später sich wiederum jede Menge Frauen aufregten, weil sie angegrapscht und belästigt wurden. Und nun waren wir wieder dran und sollten die Herren möglichst lautlos rausschaffen. Super. Wir waren an einem einzigen Abend gleich mehrfach die Bösen. Und dann das Ganze am besten noch geschickt geschnitten als Video ins Internet gestellt. Keiner weiß, was da wirklich passiert ist, aber alle giften gegen uns.

Das macht mir schon Angst, dass das immer schlimmer wird, man vermeintliches Fehlverhalten anprangert und sich nie Gedanken über die Hintergründe macht oder sieht, was alles gut gelaufen ist. Angst zeigen aber würde bedeuten, dass wir unsere Arbeit nicht richtig machen. Es mag wie Angst aussehen, wenn man sich zurückzieht, ist aber taktisch manchmal das einzig Vernünftige. Dann stellt man sich neu auf, holt sich Hilfe und kriegt die Situation in den Griff. Man sollte sich nicht einschüchtern lassen, aber auch niemals einen auf Held machen. Am Ende ist doch klar: Man kann eh nicht die ganze Welt kontrollieren.

Notiert von Andy Dallmann.

In der Reihe „Ich & Wir“ erzählen Menschen aus Sachsen, wie sie die Brüche in der Gesellschaft erleben.