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Lernen im Freien

Mareen Wolf schickt ihre Tochter auf die Freie Schule in Klotzsche. Obwohl die Schließung droht.

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© Thorsten Eckert

Von Thomas Drendel

Klotzsche. Die Natur- und Umweltschule (NUS) liegt weiter entfernt von der Wohnung, der Einrichtung droht die Schließung und Schulgeld müssen die Eltern auch noch zahlen. Dennoch schickt Familie Wolf aus Klotzsche ihre Tochter genau auf diese Schule am Rande der Dresdner Heide. „Wir haben uns die Entscheidung nicht leicht gemacht. Als die Einschulung unserer Tochter anstand, sahen wir uns mehrere Schulen an, waren bei Tagen der offenen Tür und haben bei einigen sogar hospitiert, sagt Mareen Wolf. „Die Wahl von uns Eltern, aber auch von unserer Tochter fiel auf die NUS.“

Umso größer war dann die Enttäuschung, als es keinen Platz gab. Zu voll. Familie Wolf landete auf einer Warteliste. „So ist unsere Kleine auf die Grundschule in Hellerau gekommen. Ich muss sagen, es ist eine wunderbare Schule, auch die Klassenlehrerin war sehr gut. Tolle Freunde hat sie ebenfalls gefunden.“

Veränderungen waren enorm

Nach fünf Wochen kam dann ein Anruf: „An der Naturschule ist ein Platz frei geworden. Wollen sie nachrutschen?“ Lange überlegt haben die Wolfs nicht. „Trotz der Freunde und trotz der guten Erfahrungen an der staatlichen Grundschule sind wir den Schritt an die NUS gegangen.“

Die Veränderungen waren enorm. Schon äußerlich. Die Naturschule ist relativ klein. Sie ist in einem Flügel eines Gebäudes am Ardennering in einem Gewerbegebiet in Klotzsche untergebracht. Nur wenige Räume werden hier von der Schule genutzt. Die Zahl der Kinder ist mit 65 weit geringer als bei durchschnittlichen staatlichen Grundschulen.

Vor allem aber sind die Veränderungen im Tagesablauf groß. Anstelle von einzelnen Klassen gibt es altersübergreifende Gruppen. An der Schule gibt es davon zwei, in denen Schüler der ersten bis zur dritten Klassenstufe zusammengefasst sind und eine, in denen die Viertklässler lernen. „Sie bekommen einen Wochenplan. Darin ist beispielsweise festgelegt, dass sie einen Brief an einen Mitschüler schreiben sollen mit bestimmten Anforderungen. Dafür haben sie diese eine Woche Zeit. Sie können selbst entscheiden, wann sie das erledigen. Oder in Mathe werden mehrere Aufgaben aus dem Lehrbuch aufgegeben. „Die Kinder können selber entscheiden, wann sie die jeweilige Aufgabe angehen.“

Es gibt keine Zensuren

In jeder Gruppe leiten zwei Lehrer den Unterricht an. Es gibt keine Zensuren. „Die altersübergreifenden Gruppen waren uns wichtig. Das ist gut für die soziale Entwicklung. Die Größeren kümmern sich um die Kleinen. Sie bringen sich gegenseitig etwas bei.“ Auch der Unterricht ohne Noten ist ein Argument für Mareen Wolf gewesen. „Bei Zensuren vergleichen sich die Kinder schnell. Bei unserer Tochter haben wir bemerkt, dass sie im direkten Vergleich schnell zumacht und nicht mehr an einer Aufgabe weiterarbeitet“, sagt Mareen Wolf.

Der Vorteil bei den Wochenplänen ist für sie, dass die Kinder die für sie geeignete Struktur finden können. In einer Kinderkonferenz können die Mädchen und Jungen bereits wichtige Entscheidungen treffen. „Sie sind da durchaus verantwortungsbewusst. Überraschenderweise haben sich die Kinder gegen technische Geräte wie Handys an der Schule ausgesprochen und gegen Süßigkeiten.“

Dass an der NUS viel draußen passiert, ist schon auf den ersten Blick klar. Statt eines großen Schulhofes nutzen die Kinder quasi ein Stück der Heide. Umgeben von Bäumen und Sträuchern stehen Tische und Bänke, sie sind alle überdacht. Jede Gruppe hat ihren eigenen Bereich. Mindestens einen Tag in der Woche verbringen die Kinder unter freiem Himmel. Dann findet der Unterricht draußen statt, während der Pausen sind sie sowieso draußen. Auch die Frühstück und Mittagessen futtern die Grundschüler im Freien. „Das passiert bei fest jedem Wetter. Mittlerweile genießt unsere Tochter das Draußensein sehr. Selbst Kälte, Wind oder leichter Regen kann sie nicht abhalten. Das merken wir auch am Wochenende. Dann will sie oft raus.“ Nach Einschätzung von Mareen Wolf sind die Kinder dadurch auch weniger krank.

Bildungsagentur nicht begeistert

Der Bildungsagentur schmeckt das Konzept der NUS nicht ganz so wie den Eltern und den Kindern. Sie würde die Einrichtung lieber heute als morgen schließen. „Der Träger hat zu keinem Zeitpunkt eine Genehmigung zum Betrieb der Natur- und Umweltschule erhalten“, sagt Anja Stephan, Leiterin der Regionalstelle Dresden. Aus Sicht der Sächsischen Bildungsagentur lagen und liegen die erforderlichen Genehmigungsvoraussetzungen laut Schulgesetz nicht vor. „Im Rahmen einer Genehmigung ist ein besonderes Augenmerk auf die Erfüllung der Lehrziele, der schulischen Einrichtung sowie der gleichwertigen Ausbildung der Lehrkräfte zu legen“, erläutert die Leiterin der Regionalstelle. Bei einer Grundschulgründung müsse die pädagogische Ausprägung so wesentlich sein, dass ihr gegenüber das Prinzip der öffentlichen Grundschule zurücktritt. Dies setzt eine wissenschaftlich fundierte Alternative zu bestehenden öffentlichen und freien Grundschulen voraus. „Im Fall der Natur- und Umweltschule konnte dieses besondere pädagogische Interesse nicht anerkannt werden“, heißt es in einer Stellungnahme der Bildungsagentur.

Ein weiterer Vorwurf: Die Schüler seien durch den vorwiegend im Wald stattfindenden Unterricht gefährdet. Vor einigen Wochen hatte ein Verwaltungsgericht festgestellt, dass die Schule durchaus genehmigungsfähig ist. Dagegen legte die Bildungsagentur Berufung ein. Der Fall wird derzeit vor dem Oberverwaltungsgericht behandelt.

Mareen Wolf ärgert sich über die Argumente der Bildungsagentur. „Mir wird quasi die Kompetenz abgesprochen, die richtige Entscheidung für mein Kind treffen zu können. Das macht mich wütend. Ich weiß dass mein Kind gut an der NUS aufgehoben ist“, sagt sie.