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Warum Essen keine Privatsache mehr ist

Der Ernährungswissenschaftler Markus Keller plädiert für den weitgehenden Fleischverzicht und die Umstellung des Essverhaltens, weil unsere Ernährungsgewohnheiten gefährliche Auswirkungen auf Klima, Umwelt, Gesundheit und Ressourcen haben.

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Von Markus Keller

Ernährung ist wieder in aller Munde. Nach BSE und Gammelfleisch verunsichert die Affäre um dioxinverseuchtes Tierfutter die Verbraucher. Und wie bei den vergangenen Lebensmittelskandalen laufen die üblichen Mechanismen ab: Verbraucherschützer fordern strengere Lebensmittelkontrollen, die Politik verspricht, derartige Missstände in Zukunft abzustellen, und die Konsumenten reagieren mit kurzfristiger Kaufverweigerung oder stürmen die Bioläden. Diesmal ging es sogar so weit, dass sich in meinem örtlichen Naturkostgeschäft die Stammkunden darüber beschwerten, dass die „Neuen“ ihnen die ganzen Bio-Eier wegkaufen würden. Spaßeshalber wurde vom Inhaber schon die Ausgabe von Bezugsscheinen für Altkunden vorgeschlagen.

Wenn es um die vermeintliche Gefährdung der eigenen Gesundheit geht, läuten bei uns Verbrauchern die Alarmglocken. Allerdings klaffen zwischen dem tatsächlichen Gefährdungspotenzial und der gefühlten Bedrohung Welten. So kann im aktuellen Fall selbst bei einem (unrealistisch) hohen Verzehr von täglich zwei extrem mit Dioxin belasteten Eiern über ein Jahr eine Gesundheitsgefährdung mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden.

Das Risiko, aufgrund der üblichen Durchschnittsernährung mit ihrem Zuviel an Kalorien und tierischen Lebensmitteln an Diabetes Typ2 zu erkranken oder vorzeitig an einem Herzinfarkt zu sterben, ist hingegen ganz real und greifbar. So kann beispielsweise durch eine vernünftige vegetarische Ernährung das persönliche Diabetesrisiko um die Hälfte und das für einen tödlichen Herzinfarkt um etwa 25 Prozent gesenkt werden.

Aber ist das nicht mein Problem, wenn ich mich ungünstig ernähre und dadurch meine Gesundheit ruiniere? Fakt ist: Ernährungsmitbedingte Erkrankungen belasten unser Gesundheitssystem mit über 70 Milliarden Euro pro Jahr. Das entspricht etwa einem Drittel aller Krankheitskosten. Noch viel gravierender sind jedoch die globalen Auswirkungen unseres Ernährungsstils. Das, was wir auf unsere Teller laden, hat Effekte auf die Umwelt, das Klima, den Wasser- und Landverbrauch, die Welternährungslage und nicht zuletzt auf die Tiere in der weitgehend industrialisierten Landwirtschaft.

Dass unser täglich Fleisch das Klima aufheizt, spricht sich langsam herum. Nach Berechnungen der Welternährungsorganisation FAO ist die weltweite Tierhaltung für 18 Prozent der anthropogenen Treibhausgasemissionen verantwortlich. Das ist mehr als der globale Verkehrssektor, also alle Autos, Schiffe, Flugzeuge, Züge und Lkw zusammengerechnet (die kommen auf etwa 14 Prozent).

Mit jedem Kilo Rindfleisch, das wir essen, belasten wir die Atmosphäre mit umgerechnet 14 Kilo . Bei Hartkäse und Wurst sind es etwa acht und bei Schweinefleisch etwa vier Kilo. Pflanzliche Lebensmittel sind hingegen um ein Vielfaches klimafreundlicher: Pro Kilogramm Brot entstehen etwa 750 Gramm, bei Kartoffeln 200 und bei Gemüse nur 150 Gramm . In einem durchschnittlichen deutschen Haushalt entfallen etwa 20 Prozent der Klimagase auf den Ernährungsbereich, der Löwenanteil stammt aus der Produktion tierischer Lebensmittel. Wer Fleisch und Wurst vom Speisezettel streicht und auf klimafreundlichere – und gesündere – vegetarische Kost umsteigt, kann seine Treibhausgase im Ernährungsbereich um etwa die Hälfte reduzieren.

Derzeit haben weltweit etwa eine Milliarde Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser, bis zum Jahr 2050 werden fast zwei Milliarden Menschen von Wasserknappheit betroffen sein. Unser Ernährungsverhalten trägt maßgeblich dazu bei. Neben den zwei bis drei Litern Wasser, die wir täglich trinken, verbrauchen wir rund 175 Liter pro Tag und Person für Haushaltstätigkeiten wie Duschen, Spülen, Waschen und so weiter. Für die Erzeugung unserer Lebensmittel wird unser persönliches Wasserkonto jedoch mit sage und schreibe 3900 Litern belastet – jeden Tag! Das sind 20 volle Badewannen. Allein in einem Hamburger stecken 2400 Liter unsichtbares Wasser, und für den Wasserverbrauch von einem Kilo Rindfleisch könnten wir ein Jahr lang täglich duschen. Natürlich trinken die Nutztiere diese gewaltigen Wassermengen nicht, sie werden hauptsächlich beim Anbau der Futtermittel verbraucht.

Auch hier schneiden pflanzliche Lebensmittel deutlich besser ab: Um ein Kilo Kartoffeln zu erzeugen, werden im globalen Durchschnitt etwa 900 Liter Wasser verbraucht, bei Getreide sind es 1300 und bei Sojabohnen 1800 Liter. Bei Schweinefleisch fallen hingegen 4800 Liter, bei Käse 5000 und bei Rindfleisch sogar über 15000 Liter pro Kilo an. Welche Rolle spielt da noch der tropfende Wasserhahn in der Küche? Je weniger tierische Lebensmittel ich konsumiere, umso weniger Wasser verbrauche ich. Eine vegetarische Lebensmittelauswahl verringert den persönlichen Wasserverbrauch um über ein Drittel.

Derzeit hungern fast eine Milliarde Menschen weltweit. Gleichzeitig leisten wir uns den Luxus, etwa die Hälfte der globalen Getreideernte und rund 80 Prozent der Sojabohnen an Tiere zu verfüttern. Eine riesige Verschwendung, denn abhängig von der Tierart gehen bis zu 90 Prozent der in den Futtermitteln enthaltenen Nahrungskalorien und des Proteins durch den Umweg über das Tier verloren. Bereits heute erzeugen wir weltweit mehr Lebensmittel, als für die ausreichende Versorgung der Weltbevölkerung notwendig wären.

Der steigende Hunger nach Fleisch und anderen tierischen Produkten wird jedoch immer mehr Getreide in Form von Futtermitteln verschlingen. Die FAO prognostiziert bis zum Jahr 2050 eine Verdoppelung des weltweiten Fleischkonsums. Der Verlust an Nahrungskalorien über Futtermittel wird dann dem Jahresbedarf von 3,5 Milliarden Menschen entsprechen – mehr als ein Drittel der Weltbevölkerung. Neben steigendem Druck auf die vorhandenen Wasserreserven wird dadurch auch der Flächenbedarf ansteigen. Da die vorhandene landwirtschaftliche Nutzfläche nur noch geringfügig ausgeweitet werden kann, bedeutet das eine weitere Abholzung von Regenwäldern für den Anbau von Futtermitteln und für Viehweiden. Während Sie diesen Artikel lesen, werden alleine für den Sojabohnenanbau in Brasilien Waldflächen in der Größe von etwa 35 Fußballfeldern abgeholzt, das sind sieben pro Minute. Fleisch frisst Fläche. Unsere übliche fleischreiche Wohlstandsernährung benötigt etwa drei- bis fünfmal so viel Land wie eine pflanzenbasierte Ernährungsweise. Land, das zunehmend knapp wird.

Über 1000 Tiere verspeist ein Deutscher im Laufe seines Lebens (ohne Fische). Unter welch abscheulichen Bedingungen diese Lebewesen ihr Dasein fristen, bis sie in Folie verschweißt in der Fleischtheke landen, ist uns allen bekannt. Anders sind die derzeit verzehrten 60 Kilo Fleisch pro Kopf und Jahr allerdings auch gar nicht produzierbar – Masse statt Klasse.

Ist also die Devise „Ich esse, was mir schmeckt“ angesichts dieser kurz skizzierten Auswirkungen unseres Ernährungsverhaltens heute noch vertretbar? Nein, zumindest nicht als einziges Entscheidungskriterium dafür, wie wir uns ernähren. Wir alle stehen als Verbraucher in der Verantwortung, auch unser Essen und Trinken nachhaltiger zu gestalten. Mehr pflanzliche und deutlich weniger tierische Lebensmittel auf unserm Teller schonen Ressourcen, Klima, Umwelt, Tiere und unseren Geldbeutel, selbst in Bio-Qualität. Auch zwei halbe Vegetarier sind ein ganzer. Fangen wir doch einfach an.