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Warum die USA mit dem Waffenkult leben

Konzert in Las Vegas, Nachtklub in Orlando, Schule in Newton: Trotz der Massaker ändert sich nichts in Amerika.

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© dpa

Von Thomas J. Spang, SZ-Korrespondent in Washington

Mehr als 1 500 Schießereien mit mehr als drei Toten in den vergangenen 1 735 Tagen. Das ist der blutige Alltag in einem Land, in dem es mehr Waffen als Einwohner gibt. Der Massenmord aus der 32. Etage des Mandalay Ressorts war bereits das 273. Massaker in diesem Jahr.

Massenschießereien gehören in den USA so sehr zum Alltag, dass sie nur noch dann wahrgenommen werden, wenn sie eine bestimmte Aufmerksamkeitsschwelle überschreiten. Ganz zu schweigen von den individuellen Morden und Selbstmorden, die den allergrößten Teil der mehr als 32 000 Opfer des Waffenkults in den USA ausmachen.

Das Risiko, in den USA durch eine Schusswaffe getötet zu werden, ist rund 16-mal so groß wie in Deutschland. Wobei Massenschießereien ein Phänomen sind, das in den USA besonders verbreitet ist. Obwohl hier weniger als fünf Prozent der Weltbevölkerung leben, ereignet sich hier fast ein Drittel der Massaker.

Wissenschaftler haben wiederholt den Zusammenhang zwischen Waffenbesitz und Waffengewalt aufgezeigt. Eine Vergleichsstudie von 130 Untersuchungen in zehn Ländern in der Fachzeitschrift Epidemiologic Reviews aus dem vergangenen Jahr belegt, dass Länder mit strikteren Regulierungen im Waffenrecht geringere Opferzahlen haben.

Genau hier sehen Experten ein Problem, das die Situation in den USA besonders macht: Die schiere Menge an Waffen, die sich im Umlauf befindet. Selbst bei einer Regulierung wären noch mehr als 300 Millionen bereits existierende Waffen im Umlauf.

Ein garantiertes Recht

Mehr als weltweit die Hälfte aller privaten Schusswaffen befinden sich in amerikanischem Besitz. Etwa vier von zehn US-Bürgern besitzen eine Waffe. Wobei drei Prozent aller Waffenbesitzer, wie der Täter von Las Vegas, zu den Enthusiasten gehören, die im Schnitt 17 Waffen haben.

Hinzu kommt – und auch das ist einzigartig in der westlichen Welt – ein in der Verfassung garantiertes Recht, Waffen zu tragen. Das sogenannte „second amendment“ schafft so etwas wie einen individuellen Rechtsanspruch auf alles, was schießt und knallt. Das rechtfertigt den Waffenkult als Abwehrrecht gegen den Staat und beschränkt die Möglichkeiten der Gesetzgeber, regulierend einzugreifen.

Allerdings fehlt auch der politische Wille dazu. Die Satire-Seite The Onion brachte das nach dem „Mandalay-Massaker“ so auf den Punkt: „Keine Chance so etwas zu stoppen, sagt die einzige Nation, wo so etwas regelmäßig passiert.“

Das entspricht der Reaktion von Präsident Donald Trump, der von dem Wirken des „Bösen“ spricht und „Gebete“ anbietet, aber nichts an den laxen Waffengesetzen ändern will. Das Weiße Haus möchte nicht einmal über das Thema sprechen. Wie auch die Republikaner im Kongress keine Anstalten dazu machen. Obwohl eine Umfrage nach der anderen zeigt, dass große Mehrheiten der Amerikaner für Regulierungen sind.

Das liegt an der mächtigen Waffenlobby, die Amerikas Politik fest in der Hand hält. Die „National Rifle Association“ (NRA) unterstützte Trump mit 30 Millionen Dollar im Wahlkampf. Im Gegenzug trat dieser nach seiner Wahl als erster Präsident bei der Lobby auf und versprach, „ein treuer Freund“ im Weißen Haus zu sein.

Die NRA vertritt fünf Millionen Mitglieder und ist so mächtig, dass sich Abgeordnete im Kongress aus Sorge um ihre Wiederaufstellung bei den Vorwahlen nicht trauen, der Lobby zu widersprechen.

Seit dem Massaker an 20 Grundschulkindern 2012 in Sandy Hooks scheiterten mehr als 100 Gesetzesvorstöße im Kongress. Darunter das Verbot für Personen, die auf der Terror-Beobachtungsliste stehen, Waffen zu erwerben, lückenlose Personen-Überprüfungen oder beim Verkauf von Magazinen für Schnellfeuergewehre.

Das letzte größere Waffengesetz, das der Kongress beschlossen hatte, war 1994 ein Bann von Kriegswaffen, der zehn Jahre später auslief, ohne erneuert zu werden. All das erlaubte dem Schützen von Las Vegas das Kriegsgerät einzukaufen, das er am Sonntagabend bei seinem Massenmord einsetzte.

Die NRA steht selber unter Druck durch noch radikalere Gruppen wie die „Gun Owners of America“. Die Konkurrenz im Lager der Rechten sorgt mit dafür, dass die kleinsten Veränderungen bei den Regulierungen keine Chance haben. Das Argument: Damit begönne die schleichende Einschränkung des Verfassungsrechts.