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Warum die Polizei die Altstadt für gefährlich hält

Ein Bericht des sächsischen Innenministeriums sorgt für Unruhe in Görlitz. Dabei ist manches eine Frage der Definition.

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© Wolfgang Wittchen

Von Frank Seibel

Da war was los gestern! In der Polizeidirektion Görlitz riefen nicht nur Journalisten an, sondern auch besorgte Menschen, sagt Pressesprecher Thomas Knaup. Und in den sozialen Netzwerken des Internets gab es Verwunderung und Spott. „In der Polizeidirektion Görlitz gilt derzeit die historische Altstadt von Görlitz als gefährlich“, schrieb der Autor Mike Altmann und frotzelte: „Ich muss gleich aus der Tür und hab kein Pfefferspray. Werde ich überleben?“ Der Landtagsabgeordnete Mirko Schultze (Die Linke) nahm es weniger lustig: „Ich glaube, dass mit dem Konstrukt der ‚gefährlichen Orte‘ vor allem neue polizeiliche Maßnahmen, weitere Einschränkungen der Freiheitsrechte und erweiterte Polizeibefugnisse gerechtfertigt werden sollen.“

Tatsächlich hatte das sächsische Innenministerium auf eine Anfrage des Grünen-Abgeordneten Valentin Lippmann geantwortet und eine Liste von 61 Orten in Sachsen veröffentlicht, die von der Polizei als „gefährlich“ eingestuft werden. Da ist ganz viel von Leipzig und Dresden die Rede, bis hin zu einzelnen Gebäuden, die mit Straßennamen und Hausnummern aufgeführt werden. Auch die Polizeidirektion Görlitz hat dem Ministerium zugearbeitet. Als einziger „gefährlicher Ort“ in der ganzen Oberlausitz wird „der Bereich der historischen Altstadt Görlitz“ aufgeführt. Das wäre wirklich neu und verblüffend, wenn die Polizei dieselben Gegenden meinen würde, die auch offiziell gelten. Dann würde es um die „gute Stube“ rund um Obermarkt, Untermarkt und Peterskirche gehen. Da, wo sich zurzeit viele Touristen über die Schönheit des Lebens freuen.

Die Polizei definiert die „historische Altstadt“ hingegen anders und bezieht Teile mit ein, die offiziell als „Innenstadt Nord“, „Innenstadt Ost“ und „Nikolaivorstadt“ bezeichnet werden. Der Marienplatz ist dabei ein Grenzfall. Weil er vor allem im Sommer zum Anlaufpunkt für viele und sehr verschiedene Menschen wird, taucht er immer wieder auch als ein Ort im Polizeibericht auf, an dem es eine oder mehrere Straftaten gab: teils handfeste Rangeleien unter jungen Männern, Drogenhandel, Alkoholmissbrauch.

Doch während andere Polizeidirektionen in Sachsen die kritischen Orte exakt eingrenzen, dehnt die Görlitzer Direktion die Gefahrenzone pauschal auf mehrere Quadratkilometer aus. Nach ersten Medienberichten riet das sächsische Innenministerium gestern zu einer sachlichen Debatte: „Der Begriff gefährlicher Ort hat sich sprachlich etabliert, ist aber im sächsischen Polizeigesetz nicht vorgesehen“, stellte Ministeriumssprecher Jan Meinel klar. Es gehe allein um die Verhinderung von Straftaten: „Mit dem Begriff sollte vor dem Hintergrund einer möglichen Stigmatisierung verantwortungsvoll umgegangen werden.“ Die Benennung lasse auf Dauer keine abschließenden Schlüsse auf die „Gefährlichkeit“ eines Ortes zu. Meinel erinnerte daran, dass das Polizeigesetz Personenkontrollen in einem bestimmten Bereich und Zeitraum erlaube, um im Vorfeld von Straftaten aufzuklären. „Solchen Personenkontrollen wird per se auch eine präventive Wirkung zugeschrieben. Es ist nämlich wahrscheinlicher, dass ein potenzieller Täter, der durch die Kontrolle bei der Polizei namentlich bekannt ist, von der Begehung einer Straftat absieht.“

So rückt auch die Definition des Wortes „gefährlich“ in den Fokus. Und die Pressestelle der Polizeidirektion Görlitz sah sich am Dienstag veranlasst, die Dramatik zu dämpfen. „Ist es gefährlich, sich in Görlitz aufzuhalten? Nein, natürlich nicht, aber ...“ So ist eine umfangreiche Mitteilung vom Nachmittag überschrieben. „Görlitz ist eine schöne und lebenswerte Stadt. Die Polizei sorgt auch hier für die Sicherheit der Einwohner, Gewerbetreibenden und Besucher“, heißt es dann im Text.

Denn „gefährlich“ bedeutet nicht, dass normale Passanten gefährdet sind, etwa durch Räuber, Diebe oder Mörder. „Bei einem gefährlichen Ort handelt es sich um einen Ort, an dem sich erfahrungsgemäß Straftäter verbergen, Personen Straftaten verabreden, vorbereiten oder verüben, sich ohne erforderliche Aufenthaltserlaubnis treffen oder der Prostitution nachgehen.“ Bezogen auf den Marienplatz würde das bedeuten: Wenn ein Mensch einem anderen Drogen verkauft, ist das eine Straftat – aber kaum jemand bekommt das mit oder wäre gar in Gefahr.

In ihren Erläuterungen geht die Polizeidirektion aber gar nicht auf diesen Platz ein, sondern bezieht sich vor allem auf Diebstähle und Einbrüche. Die wiederum bringt Polizeisprecher Thomas Knaup mit zwei Phänomenen in Verbindung: der Nähe zur polnischen Grenze und dem verbreiteten Drogenkonsum sowohl von Polen als auch von Deutschen. Die Zahl der Einbrüche sei in dem Gebiet, das die Polizei als „historische Altstadt“ bezeichnet, doppelt so hoch wie im übrigen Stadtgebiet. Allerdings habe die Polizei jeden dritten Fall auch aufgeklärt, sagt Knaup. (mit dpa)