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Wann kommt der Hochwasserschutz für Dittersbach?

Drei massive Rückhaltebecken könnten Dittersbach vor Fluten schützen. In der nötigen Größe werden sie aber wohl nie gebaut.

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© Dirk Zschiedrich

Von Dirk Schulze

Dittersbach. Es sind beängstigende Zahlen, die André Jurides vom Ingenieurbüro für Wasser und Boden an die Leinwand projiziert. Über 60 Liter Regen pro Quadratmeter gingen in einer knappen Dreiviertelstunde oberhalb von Dittersbach nieder. Das entspricht sechs vollen Wassereimern, die auf einer Stelle ausgeschüttet werden. Die Anwohner können sich nur zu gut an die Dramatik dieser Unwetternacht im Juni 2016 erinnern. Der Kalte Bach trat binnen kürzester Zeit über die Ufer, ein Erdwall auf den Feldern oberhalb des Dorfes hielt den angestauten Wassermassen nicht stand, die Feuerwehr musste sich im ersten Angriff zum Selbstschutz zurückziehen, weil ihr das Wasser auf der Hauptstraße so stark entgegen strömte. Bis zu einem Meter hoch stand die Schlammbrühe in den Häusern.

Die Ingenieure haben anhand der Geländedaten ein Modell errechnet, das zeigt, wie viel Wasser bei einem Starkregen wohin abfließt. Der Kalte Bach allein hat ein Einzugsgebiet von 3,24 Quadratkilometern, zur Hälfte Felder, die nicht viel Niederschlag zurückhalten. Durch zwei kleine Seitenflüsse kommt noch einmal die gleiche Fläche hinzu. „Das ist ein großes Problem“, sagt Fachmann Jurides. Der Kalte Bach allein könnte das Wasser aufnehmen. Doch im Bereich der Zusammenflüsse verdoppelt sich die Wassermenge. Bei einem Hochwasser wie es statistisch gesehen alle hundert Jahre auftritt, macht das vier Kubikmeter Wasser pro Sekunde. Dafür ist das teils eingemauerte Flussbett nicht ausgelegt. Verschärfend kommen die vielen Brücken im Ort hinzu. Dort passen die Fluten nicht hindurch.

Die wenig überraschende Schlussfolgerung: Das Wasser muss schon weiter oben aufgehalten werden. Das Ingenieurbüro hat dafür drei Rückhaltenbecken konzipiert: eins am Kalten Bach und je ein weiteres an seinen beiden Zuflüssen. Die Dämme wären zwischen sechs und mehr als acht Meter hoch. Die drei Becken böten zwischen 50 000 und knapp 90 000 Kubikmeter Stauraum und könnten ein Hochwasser der Kategorie HQ 100 aufhalten.

In dieser Größe werden die Rückhaltebecken aber kaum gebaut werden. Die Gesamtkosten lägen bei 4,5 Millionen Euro, und das übersteigt die laut Kalkulation zu erwartenden Schäden bei weitem. Das Kosten-Nutzen-Verhältnis wäre nicht gegeben. Diplom-Ingenieur André Jurides hat auch eine Erklärung für die hohen Kosten. Es genüge nicht, einfach nur einen Damm aufzuschütten. Das Wasser muss kontrolliert ablaufen können und das Bauwerk so konstruiert sein, dass es im Extremfall auch einer Überspülung standhält. Hinzu kommen Zufahrten für Feuerwehr und Technisches Hilfswerk, regelmäßige Wartung und Reparaturen, und zahlreiche einzuhaltende Vorschriften.

Wenn man Kosten und Schäden gegenüberstellt, wäre für den Kalten Bach ein deutlich kleinerer Damm wirtschaftlich, einer, der ein statistisch alle zehn Jahre vorkommendes Hochwasser (HQ 10) zurückhält, für die Nebenflüsse vielleicht Kategorie HQ  50. Gerade gegen diese Berechnung gab es bei der Einwohnerversammlung am Mittwochabend entschiedenen Widerspruch. Für die Kalkulation standen den Ingenieuren nur veraltete Richtwerte von 2004 zur Verfügung. Die tatsächlichen Schäden könnten deutlich darüber liegen. Allein bei den drei Hochwassern seit 2010 sind in Dittersbach 1,3 Millionen Euro Schaden an Privathäusern entstanden. Das hat eine von den Anwohnern initiierte Umfrage in der Nachbarschaft ergeben. Die Eigenleistung fürs Schlammschaufeln ist da noch nicht mal eingepreist.

Wie geht es jetzt weiter? Da die Dittersbacher sich von ihrer Gemeindeverwaltung nicht ernstgenommen fühlen, hatten sie auf eigene Faust auch Landrat Michael Geisler (CDU) und den Referatsleiter für Hochwasserschutz der Landesdirektion eingeladen. Geisler bot an, eine erste Gesprächsrunde zu moderieren, bei der alle Beteiligten an einem Tisch sitzen. Viele kleine Schritte, wie die Aufweitung des Bachbetts, könnten aus seiner Sicht schon helfen. Die direkten Anlieger müssten dafür einen Streifen Land abtreten. Bei den Rückhaltebecken seien aber nur niedrigere Bauwerke als die präsentierten realistisch. Die könnten laut seiner Einschätzung innerhalb von drei bis fünf Jahren stehen – wenn die Gemeindeverwaltung das forciert. Am Geld soll es nicht liegen. Wenn der Kosten-Nutzen-Faktor stimmt, stehen die Fördermittel laut Landesdirektion bereit. Bürgermeister Jens-Ole Timmermann (Unabhängige Bürger) will jetzt eine Arbeitsgruppe aus Anwohnern und Gemeindemitarbeitern gründen, um erste kleinere Maßnahmen zu koordinieren.