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Walz und Weizenmehl

Auf Wanderschaft lernte Urs Büttner Bäckereien aus aller Welt kennen. In Freital lässt er Kunden sein Wissen schmecken.

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© Karl-Ludwig Oberthür

Von Tobias Hoeflich

Freital. Er war gerade 21, als Urs Büttner in die Welt hinauszog. Anfang der 90er traf der frisch ausgelernte Bäcker in seiner Heimatstadt Berlin zwei Gesellen, die sich auf Walz befanden. Diese Tradition ist viele Hundert Jahre alt und war lange Zeit Voraussetzung für die Meisterprüfung. Die beiden Gesellen, ein Maurer und ein Zimmermann, suchten einen Job und eine Bleibe in der Bundeshauptstadt. Büttner nahm sie auf – und ließ sich von der Wanderschaft begeistern. „Die beiden haben mir gesagt: Zieh doch auch los auf Walz und lern dein Handwerk richtig kennen.“

Die Walz führte Büttner Mitte der 90er auch in die Sächsische Schweiz.
Die Walz führte Büttner Mitte der 90er auch in die Sächsische Schweiz. © privat

Büttner zog los. Er streifte die typische Kluft über und schnürte sein Gepäck. Dass er fünf Jahre unterwegs sein würde, ahnte der Bäcker damals nicht. Offiziell dauert eine Walz mindestens drei Jahre und einen Tag. Büttner zog los, zunächst ins Gebiet der ehemaligen DDR. „Für mich als Westberliner war das durchaus spannend“, sagt der 46-Jährige. Seine Tour führte ihn nach Schweden, Spanien und schließlich auch außerhalb Europas.

So viele Deppen wie auch anderswo

In dieser Zeit war er in unzähligen Backstuben tätig und lernte die jeweiligen Eigenheiten der Regionen und Bäcker kennen, Tausende Kilometer von seiner Heimat entfernt. „Der Höhepunkt war ein Segelschiff, mit dem wir nach Ecuador gereist sind“, berichtet Büttner. Gut zwei Jahre blieb er in Südamerika, reiste sogar hinunter zum Kap Hoorn in Chile. „Dass es so weit geht, habe ich nicht geplant. Das hat sich einfach so ergeben.“

Und nun Freital. Seit Februar arbeitet Büttner in der Bäckerei Grafe auf der Weißiger Straße in Oberdöhlen. Tilo Grafe, der den Betrieb in vierter Generation leitet, suchte schon lange nach Verstärkung. „Wir haben in den letzten Jahren mehrfach keinen Lehrling gefunden“, sagt er. Die ungünstigen Arbeitszeiten, die geringe Bezahlung, all das mache den Bäckerberuf heute wenig attraktiv. Um die Probleme weiß auch Büttner, der Nacht für Nacht in der Backstube steht: „Wer heute noch Bäcker wird, der wird es aus Leidenschaft.“

Über Bekannte erfuhr er von der Stelle bei der Bäckerei Grafe. Büttner hatte zuvor 16 Jahre im Kreis Lüneburg gearbeitet, suchte etwas Neues. Von heut auf morgen wegzugehen, sei ihm nicht schwergefallen. „Natürlich hängt da vieles dran. Aber auf Walz baut man auch Beziehungen auf und bricht sie nach Wochen oder Monaten wieder ab. Das Angebot aus Freital klang cool.“

Gänzlich unbekannt war Büttner die Region ohnehin nicht. Während der Wanderschaft verbrachte er die letzten Monate in Helmsdorf bei Stolpen. Sieben Monate war er auf der Meisterschule und beendete dort die Walz. In Freital fühlt er sich wohl – auch wenn die vielen Negativschlagzeilen der vergangenen Monate freilich nicht unbemerkt blieben. „Was da zum Teil berichtet wird, ist Humbug. Vieles wird aufgebauscht. Hier gibt es genauso viele Deppen wie in anderen Orten auch.“ Büttner ist sich sicher: Er wird in Freital bleiben.

Sowohl beruflich als auch privat hat er Ziele vor Augen. In der Bäckerei will er sich mit eigenen Kreationen einbringen. So hat es zum Beispiel schon sein Dinkelbrot ins Sortiment geschafft – mit hundert Prozent Dinkel. „Das ist für alle, die keinen Weizen vertragen.“ Zudem will er die Brezelkultur wieder aufleben lassen. Mit einem Korb Brezeln durch die Stadt ziehen, abends durch die Kneipen, so stellt sich Büttner das vor. „In den 80ern war das mal total hip in Deutschland.“

Zusätzlich will Büttner die Walz wieder populär bei jungen Bäckern machen. Das ist ihm in den vergangenen Jahren schon gut gelungen. Gemeinsam mit dem Zentralverband des Bäckerhandwerks hat er für die Wanderschaft unter jungen Gesellen geworben und vergangenes Jahr in Schneeberg die Vereinigung Vereinigte Löwenbrüder & Schwestern Europas mitbegründet. Seit über hundert Jahren habe es eine solche Vereinigung fürs Lebensmittelhandwerk nicht mehr gegeben. „Wir haben uns zum Ziel gesetzt, die Traditionen des Handwerks zu pflegen und junge Menschen moralisch zu festigen.“

Acht Gesellen aus der Vereinigung sind derzeit auf der Walz, neben Bäckern auch Brauer und Konditoren. Mit ihnen hat Büttner regelmäßig Kontakt. Vielleicht kommt einer von ihnen auch zur Bäckerei Grafe.