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Von Technokellern bis ins Residenzschloss

Dresdens Klubkultur ist ein weit aufgeklappter Fächer. Die fünfte Ausgabe des Festivals Dave zeigt ab Freitag zehn Tage lang ein Konzentrat der Vielfalt.

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© Moritz Schlieb

Von Franziska Klemenz

Als hätte man Beats in einen schwerelosen Raum gekippt, wo Schall Materie direkt bewegt. Wie Roboter strecken Kristin Mente und Yamile Navarro ihre Arme im 90-Grad-Winkel von sich. Statisch, ruckartig. Die Musik so eckig wie ein Geodreieck. Dann legt sich ein melodischer Schleier über die Beats, greift um sich, vereinnahmt den Klang. Die Tänzerinnen gleiten über den Gummi-Untergrund, als wäre er aus Eis. Sie werfen sich zu Boden, zwirbeln die Oberkörper um ihre eigenen Achsen, die Arme bewegen sich durch die Luft wie die Tentakel einer Qualle durch das Meer.

Eine Party zum Einpennen

Beide Frauen stehen still. „Was wollen wir als Nächstes machen?“ Die Musik, zu der sie tanzen, hören sie zum ersten Mal. DJ Maltin Worf sitzt im Schneidersitz hinter Laptop und Mischpult. Er komponierte den Soundtrack für die Eröffnungs-Show des diesjährigen Dave-Festivals. Other Worlds ist das Motto. Andere Welten. Kristin und Yamile vom Tanznetz Dresden erarbeiten sich eine Choreografie zum Sound, die sie am Freitag im Festspielhaus Hellerau vorführen werden. Gefilmt von einer Infrarotkamera, projiziert ein Beamer die Bewegungen in bunten Farben auf die Leinwand und den Boden unter ihren Füßen.

Es ist der Auftakt eines Festivals, das wie ein Schaufenster wirkt. „Wenn die Klubkultur ein Eisberg ist, sind wir nur seine Spitze. Wir zeigen komprimiert über zehn Tage hinweg, was in Dresden abgeht“, sagt Philipp Demankowski, der seinen Kopf während der Tanzprobe hin und wieder durch die Tür steckt. Er ist Teil des rund 25-köpfigen Dave-Teams.

Gut 200 Künstlerinnen und Künstler beteiligen sich an mehr als 70 Veranstaltungen in 28 Locations. „Am Anfang war es ein übelstes Experimentierfestival“, sagt Demankowski. „Ein richtiges Manifest haben wir immer noch nicht, aber bestimmte Punkte, die wir erfüllen wollen.“ Nachwuchs fördern, Künstlerinnen wie Yamile, Kristin und DJ Maltin Wolf vernetzen und sie etwas kreieren lassen, das sie bisher nie gemacht haben. „Wir wollen zeigen, dass Klubkultur nicht nur Party bedeutet, sondern auch kulturpolitische Institution ist. Das ist ein enormer Attraktivitäts-Faktor für Dresden.“

Dave spreizt das Spektrum. Von Bildung und Workshops bis zur zeitvergessenen Ekstase in düsteren Techno-Kellern. Von Events im pompösen Residenzschloss, Staatsschauspiel oder dem Militärhistorischen Museum bis in den rauch- und nebelumwobenen Ohrenkratz-Klub TBA am Bahnhof Neustadt. „Dave soll nicht nur das ureigene Klub-Publikum hofieren, sondern auch andere Menschen abholen.“

Kann Dave das? „Es ist unsere große Hoffnung.“ Dave steht für Dresden Audio Visual Experience. Dresdens audiovisuelle Erfahrung. Bisschen klingt Dave wie Rave. Was das heißt? Muss man erleben. Dolmetscherinnen würden vielleicht vom leidenschaftlichen Tanz auf elektronische Musik sprechen. Als bewegungsreicher Zustand hat der Rave natürlich auch sein Verb, raven, und seinen Akteur, den Raver. Die Grundstruktur des fünften Festivals bleibt ähnlich, neu sind etwa die „Twilight Sounds“ im Kleinen Haus. Ein Gegenpol zur klischierten Endlos-Party, deren Gäste niemals ruhen. 40 Betten pflastern den Dancefloor, sphärische Töne hüllen sie in Trance-Zustände. Wer will, nickt weg.

Dresden ist gar nicht so statisch

Das Event verdeutlicht eine Hürde von Dave: Steuern und Bürokratie. Eigentlich sollten es viel mehr Betten sein, das verhinderten die Brandschutzvorschriften. „Vorher waren wir Leute, die auflegen, Partys veranstalten. Dann mussten wir uns plötzlich mit so was befassen“, sagt Demankowski. Das Event zeigt auch einen Trumpf des Kollektiv-Daseins: Die Betten verdanken die Daveler dem Kontakt eines Mitglieds, sie kommen von den Johannitern. „Jeder von uns bringt Kontakte und Stärken ein. Als Grafiker, Schreiber, Finanz-Experten ...“

Für manche Disziplinen erweitern sie den Kreis der Beteiligten. 45 DJs haben sich im Vorfeld mit ihren Einsendungen beim DJ-Contest beworben. „Für die Abstimmung haben wir uns Dresdner DJ-Crews aus allen möglichen Genres ins Boot geholt.“ Sie urteilen nur nach Klang über das beste DJ-Set, die Namen der Einsenderinnen und Einsender bleiben geheim. Genauso geschlossen soll Dave nach außen wirken. „Manche Bereiche tragen durchaus die Handschrift eines bestimmten Mitglieds, aber wir sagen zu allem: das Dave-Team.“ Neben Team-Fähigkeit haben sie nach fünf Jahren viel über institutionalisierte Kultur gelernt. „Man kommt in den großen Kulturtanker leichter rein als gedacht. Die Tür steht vielleicht nicht offen, aber sie ist angelehnt. Die Stadt ist nicht so statisch, wie sie wahrgenommen wird.“

Aber was passiert mit der Kultur, wenn die AfD bei den nächstjährigen Wahlen stärkste Kraft wird? Wie politisch ist Dave überhaupt, wo kommen seine Werte her? Und überhaupt: Was passiert mit dem Thema Kulturhauptstadt 2025? Wie wird die freie Szene integriert? Manche dieser Fragen beschäftigen Dave intern, andere besprechen Interessierte während des Festivals in einer offenen Diskussionsrunde. „Jede Veränderung in der Gesellschaft spiegelt sich in der Kultur wider“, sagt Demankowski. „Wenn es überhaupt so etwas wie das Wesen der elektronischen Musik gibt, dann ist es ihre Wandelbarkeit.“

19. bis 28. Oktober, Eröffnung am Freitag, 20 Uhr, im Festspielhaus Hellerau; weitere Daten und Tickets unter www.dave-festival.de