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Von guten Freunden

Im Tschechischen gibt es mehr deutsche Wörter als wir glauben.

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© Petr Špánek

Von Steffen Neumann

Tschechien. Wer schon mal versucht hat, tschechisch zu sprechen, und über die Wörter „pivo“, „hospoda“ und „dobry den“ hinauszukommen, kennt das: Die Aussprache ist ein reines Gezische und die Wörter wirken fremd. Und falls jemand in der Schule noch Russisch gelernt hat, kommt er damit auch nicht weiter. Denn wenn man etwas in Tschechien besser nicht macht, dann ist es Russisch sprechen.

Šlofik = Schläfchen. Wörter, die aus dem Tschechischen nicht mehr wegzudenken sind.
Šlofik = Schläfchen. Wörter, die aus dem Tschechischen nicht mehr wegzudenken sind. © Zeichnung: Adela Bierbaumer
Flaška = Flasche
Flaška = Flasche © Zeichnung: Adela Bierbaumer
Štamgast = Stammgast
Štamgast = Stammgast © Zeichnung: Adela Bierbaumer

Dabei hat die tschechische Sprache mehr Bekanntes auf Lager als wir zunächst denken. „Klika ist zum Beispiel das Glück. Wenn jemand Glück hatte, nehmen wir nicht das tschechische Wort, sondern wir sagen: ‚Mel kliku‘ - ‚Er hatte Glück!‘“, erzählt Adela Bierbaumer. Die Grafikerin aus Usti nad Labem (Aussig) hat ein ganzes Buch mit solchen Wörtern geschaffen und es Wörtnik genannt, eine Kombination aus Wörterbuch und dem entsprechenden tschechischen Wort slovnik. Insgesamt hat sie im Rahmen ihrer Diplomarbeit 360 für das Buch ausgewählt.

Sie stammt eigentlich aus dem südböhmischen Cesky Krumlov (Krumau) und ist in einer halb österreichischen Familie aufgewachsen. „Meine Vorfahren wurden nach 1945 nicht vertrieben.“ Die 29-Jährige wuchs zwar nicht zweisprachig auf, aber die Germanismen spricht ihre Familie ganz normal. Durch die Deutschen, die vor 1945 über Jahrhunderte in Böhmen und Mähren lebten, sind sie erst in die tschechische Sprache gekommen. Heute gibt es in Tschechien nur noch wenige Angehörige der deutschen Minderheit. Laut der letzten Volkszählung sind es rund 20 000 Menschen. Doch die Germanismen haben sich erhalten. „Diese Wörter sind im Tschechischen ganz normal und gebräuchlich, egal ob bei mir zu Hause, in Usti oder in Prag“, fährt Bierbaumer fort. Der Sprachhistoriker Mirek Nemec sieht jedoch regionale Unterschiede. „Nicht überall werden Germanismen gleich stark verwendet. Und sind sie auf dem Rückzug.“ Verdrängt werden sie von Anglizismen. Außerdem fehlt die deutsche Umgebung, die sie einst erst hervorgebracht hat. Von Tausenden Wörtern ist nur ein Teil verblieben. Dabei sind viele dabei, die von den Tschechen oft gar nicht mehr als Germanismen wahrgenommen werden.

Die Beispiele reichen von Wörtern, die leicht zu erkennen sind wie banda für die Bande, stamgast für Stammgast oder pauza für Pause bis zu vercajk für Werkzeug oder sajrajt für Sauerei, bei denen der Ursprung schon entfernter ist. Manche Wörter sind als deutsche aber kaum noch zu erkennen. „Ich sage zum Beispiel ganz normal do foroty – auf Vorrat. Es gibt natürlich auch ein tschechisches Wort dafür, aber das nutze ich nicht“, so Bierbaumer weiter.

Sie brachte ihr Buch mangels Verlag auf eigene Kosten heraus. Es ist ein bibliophiler Band geworden, mit Illustrationen zu jedem Wort – der eigentlichen Domäne der Grafikerin. Bierbaumer glaubt, dass die Germanismen beim Erlernen des Deutschen wie Tschechischen eine nützliche Renaissance erfahren können. Das glaubt auch die Euroregion Elbe/Labe und hat einen Teil der Arbeit in einer kleinen Broschüre veröffentlicht.

Auch Anke Hahn bestätigt die Nützlichkeit der Wörter beim Lernen. Die studierte Geografin arbeitet nebenbei als Sprachanimatorin für deutsche und tschechische Kindergärten und Grundschulen, um die Kinder spielerisch an die jeweils andere Sprache heranzuführen. Wörter, wie sie Bierbaumer gesammelt hat, nennt sie gute Freunde. „Klavir – Klavier, bryle – Brille oder auto – Auto“, nennt Hahn einige Beispiele. „Dadurch schöpfen die Kinder gleich Vertrauen, dass ihnen die Sprache ja doch nicht so unbekannt ist. Sie bekommen das Gefühl, schon einige Wörter zu kennen.“ Und nicht nur die Kinder. Auch Anke Hahn selbst haben diese Wörter geholfen.

Doch nicht immer sind die guten Freunde wirklich so gut. Bei manchen muss man vorsichtig sein mit der Verwendung. „Es gibt Wörter, die im Deutschen eine andere Bedeutung haben, als die, welche wir ihr im Tschechischen gegeben haben“, sagt Adela Bierbaumer. „Ksicht“ ist so ein Beispiel. Es ist vom deutschen Gesicht abgeleitet, hat aber im Tschechischen eine pejorative Bedeutung. „Man würde es im Deutschen vielleicht eher mit Visage übersetzen“, sagt Bierbaumer.

Das ist auch ein Grund, warum Bierbaumer ihr Wörterbuch mit Zeichnungen versehen hat. Die sind nicht nur gelungene und einprägsame Illustrationen „Sie sollen auch zeigen, dass sich die Bedeutung verschoben hat.“ So meint das Wort barak nicht nur eine Baracke, sondern in der Umgangssprache jedes gewöhnliche Haus. Oder hajzl (von Klohäusl) ist vor allem ein böses Schimpfwort. Und bordel wird weniger als das berüchtigte Etablissement verwendet, sondern als Synonym für eine unaufgeräumte Wohnung. Den meisten Wörtern ist gemeinsam, dass sie expressiv eingesetzt werden. Und das geben die Zeichnungen wunderbar wieder.

Ob sie Deutschen rät, die Wörter trotzdem zu verwenden? „Aber sicher“, lacht sie. Mag sein, dass man mit manchem Wort mal leicht daneben liegt. Aber in den Augen der Tschechen macht das sympathisch, was ja schon mal eine gute Voraussetzung für gelungene Verständigung ist.