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Von der Waffenfabrik zum Eventwerk

Zuerst Kaserne, dann Waffenfabrik, später Garant für schicke Hosen und trockene Autos: Die deutsche Geschichte hat das heutige Eventwerk kräftig hin und hergeschubst und irgendwann links liegengelassen.

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Von Sebastian Schneider

Zuerst Kaserne, dann Waffenfabrik, später Garant für schicke Hosen und trockene Autos: Die deutsche Geschichte hat das heutige Eventwerk kräftig hin und hergeschubst und irgendwann links liegengelassen. Langweilig war es davor nie. Und heute erst recht nicht. Im Jahr 1873 lässt die Sächsische Militärverwaltung die Anlagen in der Albertstadt bauen. Der Militärbezirk soll völlig autark arbeiten. Es entstehen Kasernen, Schießstände und Werkstätten für die Produktion von Geschützteilen und Munition. Der Komplex wird bis zur Jahrhundertwende mehrfach erweitert.

Die Artilleriewerkstätten entwickeln sich bis zum Ersten Weltkrieg zum wichtigsten Rüstungsbetrieb der sächsischen Armee. Weil der Bedarf während der Materialschlachten des Krieges ständig steigt, wird zwischen 1915 und 1918 eine neue Produktionshalle für die Artilleriewerkstätten aus dem Boden gestampft: Das heutige Eventwerk. Mehr als 3500 Beschäftigte stellen hier vor allem Munition her. 1916 kommt es bei einem Arbeitsunfall zu einer Explosion, die einen Teil des Gebäudes zerstört. Bei dem Brand kommen 17 Arbeiter ums Leben.

Mit der Kapitulation des Deutschen Reiches müssen die Anlagen 1919 laut Versailler Vertrag geschlossen werden. Ab 1922 siedeln sich vor allem Privatunternehmen auf dem Gelände an, die sich zur Mietergesellschaft Albertstadt zusammenschließen. Sie übernehmen einen Großteil der Maschinen und beschäftigen Rüstungsarbeiter weiter.

Boom in den Zwanzigern

Eine der Firmen ist der Radiohersteller H. Mende & Co., auch Radio-Mende genannt. Nach Hermann Mende wird später die Straße benannt, in der das heutige Eventwerk steht. Mende wird bis Mitte der Dreißiger über eine Million Rundfunkempfänger produzieren und profitabel mit den Nazis zusammenarbeiten. Sein Neffe gründet später den Bremer Fernsehhersteller Nordmende.

Mendes Erfolg ist beispielhaft für den Boom des Industriegeländes in den 20er-Jahren. Erst mit der Weltwirtschaftskrise 1929 geht es bergab: Einige Betriebe müssen schließen.

Vier Jahre später nehmen die Nazis die Rüstungsproduktion auf dem Industriegelände wieder auf. Im gleichen Jahr geht der nahe Flughafen in Betrieb. 1935 ziehen eine SA-Motorsturmstaffel und die Landespolizei ein. Nur weil die alten Mietverträge noch gelten, untersteht das Industriegelände erst ab 1941 wieder der Militärverwaltung. Schon seit Beginn des Zweiten Weltkriegs produzieren die Firmen vollständig für die Kriegswirtschaft. Radio-Mende etwa fertigt Funkgeräte und elektrische Zünder. Obwohl die Alliierten genau über das Industriegelände in der Albertstadt Bescheid wissen, bleibt es von größeren Bombenangriffen verschont.

Nach Kriegsende wird die Albertstadt eingemeindet – und das Industriegelände gehört der Stadt Dresden. Die Sowjets bestehen darauf, fast alle Produktionsanlagen zu demontieren. Auch alle Maschinen von Radio Mende werden abgebaut. 1946 wird die Firma wie alle anderen auch in Staatsbesitz überführt und zum VEB Funkwerk Dresden. Weil aber die Reparationsforderungen der Sowjets ohne die Anlagen unmöglich zu erfüllen sind, wird ein Teil der Ausrüstung bald zurückgegeben oder ersetzt.

Bedeutendster Betrieb wird der VEB Strömungsmaschinenbau, in dem Triebwerke für Flugzeuge und Lokomotiven hergestellt werden. In der heute denkmalgeschützten Halle des Eventwerks nimmt die Dresdner Fabrik des VEB Solidor Heiligenstadt ihre Arbeit auf.

Shanty Rostock-Jeans

340 Beschäftigte stellen hier sogenannte Kurzwaren her: Druckknöpfe, Nieten und Reißverschlüsse – aber auch Kunststoffschnallen für Schulranzen, Haken für BHs oder Türdichtungen für Trabants. Durchaus erfolgreich, wie sich Designer Eberhard Marx erinnert. Der heute 58-Jährige leitet zwischen 1986 und 1988 die Produktentwicklung in der 5500 Quadratmeter großen Fabrikhalle. „Wir waren einer der wenigen Betriebe, die ordentlich Devisen erwirtschaftet haben“, sagt Marx. „Alle paar Wochen kam ein Vertreter aus dem Westen, packte unsere Muster in den Kofferraum und verschwand wieder.“ Ein später Erfolg wird die Jeanslinie Shanty Rostock, für die die Dresdner Fabrik alle Metallteile herstellt. Ein Jahr nach dem Marx Solidor verlässt, fällt die Mauer – und der Betrieb mit seinen neu angeschafften Maschinen wird aufgelöst. „Irgendwann kam jemand und hat den Laden in einer Nacht-und-Nebel-Aktion für eine Mark abgewickelt“, erinnert sich Eberhard Marx.

Treuhand und Tristesse

Danach steht die Solidor-Halle für über zwölf Jahre leer. Erst Anfang des neuen Jahrtausends wird sie wieder als Raum für Veranstaltungen genutzt – 2004 tauft eine Veranstaltungsagentur sie Eventwerk und saniert sie von Grund auf. Heute buchen vor allem große Firmen den imposanten Industriebau für Kongresse, Präsentationen oder Bankette. Im ehemaligen Waschraum der Fabrikarbeiter wird heute unter dem schlichten Titel „Washroom“ jeden Freitag getanzt.