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Visum-Pflicht füllt klamme DDR-Kassen

Vor genau 50 Jahren beschloss die DDR-Volkskammer eine Pass- und Visumpflicht für den Transitverkehr zwischen West-Berlin und der Bundesrepublik.

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© imago/Rust

Von Michael Ossenkopp

Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel brachte es auf den Punkt und titelte: „Deutschland zum Ausland gestempelt.“ Die neuen Passbestimmungen der DDR galten ab Mitternacht des 13. Juni 1968. West-Berliner bekamen in einer „Anlage zum Personalausweis“ einen Visum-Stempel und wurden von den DDR-Behörden als „Bürger der selbständigen politischen Einheit Westberlin“ bezeichnet (was unrechtmäßig war), Bundesbürger erhielten einen Stempel in ihren Reisepass. Ab sofort war der eine Teil Deutschlands auf Geheiß der SED und mit Billigung Moskaus für den anderen Ausland. „Gutgelaunt wie selten“, schrieb der Spiegel, „hatten die DDR-Abgeordneten die neue Visaregelung beschlossen.“ Das Protokoll verzeichnete angeblich sogar „seltene Heiterkeit“.

Dafür gab es Gründe. Denn die stets unter Devisenknappheit leidende DDR kassierte fortan für jedes Transitvisum fünf D-Mark und für Einreisevisa jeweils 15 D-Mark, eine „Tagesaufenthaltsgenehmigung“ für Ost-Berlin kostete fünf D-Mark.

Die westdeutschen Geheimdienste wurden damals kalt erwischt. Selbst als erste Gerüchte über eine bevorstehende Visaeinführung aufkamen, wiegelte der BND noch ab: „Alles ruhig.“ Der damalige Bundesaußenminister Willy Brandt sagte nach der Bekanntgabe: „Die westlichen Schutzmächte werden es über jeden Zweifel klarmachen müssen, dass sie für die Lebensfähigkeit von Berlin und für den ungehinderten Zugang nach Berlin mit allem Nachdruck einstehen.“ Der Erhalt von West-Berlin als „Enklave der Freiheit“ war für die Bundesregierung teuer: Jeden Tag flossen Subventionen in Höhe von acht Millionen D-Mark in Richtung Spree.

Sprudelnde Einnahmequelle

Vom 1. Juli 1968 bis 30. Juni 1969 gab es mehr als sieben Millionen Transitreisende – davon eine Million mit der Eisenbahn – zuzüglich einer weiteren Million DDR-Besucher. So summierten sich die Gebühren schnell zur ordentlich sprudelnden Einnahmequelle. Allein in den ersten zwölf Monaten seit der Einführung konnte die DDR dadurch knapp 51 Millionen D-Mark kassieren. Die von den Reisenden entrichteten Gebühren wurden ihnen nachträglich von der Bundesregierung erstattet.

Als weitere Devisenquelle diente der DDR die „Steuerausgleichsabgabe“ für Transporte mit Lastwagen und Binnenschiffen. Die nach Tonnage und Kilometer gestaffelte Maut für Waren und Produkte, mit denen West-Berlin versorgt wurde, spülte im Jahr 1969 weitere 40 Millionen D-Mark in die DDR-Kassen.

Die Transitvisa wurden an den Grenzübergangsstellen ausgestellt. Weitere Schikanen blieben nicht aus. Zolldokumente, die eine „Alleinvertretungsanmaßung“ beinhalten, wurden nicht länger anerkannt. Die DDR-Behörden stellten dann ersatzweise „eigene Dokumente“ aus. Schon im Dezember 1966 hatte die DDR ihr Passgesetz geändert, Westdeutsche wurden als „Hauptverantwortliche für die Förderung einer völkerrechtswidrig annexionistischen Politik der Alleinvertretungsanmaßung“ gescholten. Dieser Passus bezog sich auf die von Westdeutschland angewandte Hallstein-Doktrin, deren Grundlage der Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik Deutschland als Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reiches war.

Zusätzlich zu den Visagebühren wurde bei Besuchen der DDR oder Ost-Berlins noch ein verbindlicher Mindestumtausch („Eintrittsgeld“) fällig, der ab November 1964 fünf Mark betrug. 1973 wurde er auf 20 Mark angehoben und 1980 auf 25 Mark pro Tag festgesetzt. Der Zwangsumtausch erfolgte zum Kurs von einer Ost- zu einer D-Mark, obwohl der tatsächliche Kurs im Laufe der Jahre zwar schwankte, aber stets bei mindestens 1:3 lag, zeitweise sogar bei 1:8. Bis zum Mauerfall gerieten auf diesem Weg rund 4,5 Milliarden an harten West-Devisen in den Osten.

Gegen den Visumzwang wirkte die Bundesregierung ohnmächtig. Auch die Alliierten wollten sich nicht für eine Abschaffung der Visapflicht engagieren, solange ihr Berlin-Zugang unangetastet blieb. Bereits 1948 hatte Sowjetführer Josef Stalin die Zufahrtsstraßen nach Berlin gesperrt, mit der Luftbrücke wurde der Westteil der Stadt dennoch am Leben erhalten.

Zur Einführung des Visumzwanges 1968 stellten die Westalliierten fest, dass diese Maßnahme im Widerspruch zu den Verpflichtungen stehe, die die Sowjetunion 1949 bei der Pariser Außenministerkonferenz bestätigt hatte. Zudem sei Deutschland ein einheitliches Staatsgebiet ohne interne Grenzen.

Als Reaktion auf die Visagebühren beschloss der Nato-Rat, künftig bei Reisegenehmigungen für DDR-Funktionäre in Nato-Staaten eine Gebühr zu erheben. Diese „Gegenmaßnahme“ dürfte von der SED-Führung höchstens mit einem Schmunzeln quittiert worden sein.

Bereits seit den 1950er-Jahren war der innerdeutsche Reiseverkehr eingeschränkt. Für West-Berliner bestand seit 1952 praktisch keine Möglichkeit mehr, in die DDR zu reisen. Nach dem Mauerbau 1961 konnten sie nicht mehr den Ostteil der Stadt besuchen. Erst die Passierscheinabkommen ab 1963 machten wieder tageweise Aufenthalte möglich.

Erleichterungen im Transitverkehr

Spürbare Erleichterungen im Transitverkehr brachte schließlich der Abschluss des Viermächteabkommens und des Transitabkommens zwischen beiden deutschen Staaten im Rahmen der Ostverträge im Dezember 1971. Die DDR veranlasste ab Ostern 1972 die Visaerteilung direkt am Fahrzeug oder in der Bahn. Für den Autoverkehr wurden offizielle „Transitstrecken“ zwischen der Bundesrepublik und Westberlin eingerichtet. Das waren Teilstrecken der A 2, A 4, A 9 und A 24.

Die Transitgebühren an die DDR zahlte die Bundesrepublik einmal jährlich mit einer Pauschale. 1972 lag sie bei 234,9 Millionen D-Mark, sie stieg kontinuierlich an und betrug 1990 rund 890 Millionen D-Mark. Zusätzlich leistete Bonn Zahlungen zum Erhalt von Straßen, Eisenbahnlinien und Wasserstraßen, die für den Transfer von Waren und Personen zwischen der Bundesrepublik und West-Berlin nötig waren.

Über Bußgelder sammelte die Volkspolizei jährlich weitere sieben Millionen D-Mark ein, die im ostdeutschen Haushalt fest verplant waren. Insgesamt hat die DDR durch die Transitpauschale knapp acht Milliarden D-Mark eingenommen.