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Viel zu laut

Sind wir oft Lärm ausgesetzt, greift das unsere Gesundheit an. Die genauen Folgen untersuchen Dresdner Wissenschaftler.

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© 123RF/Michael Biehler

Von Jana Mundus

Es ist Schlafenszeit. Trotzdem ist der Verkehr auf der nahen Autobahn gut zu hören. Auf den Schienen nebenan rollt ein Zug vorbei. Ein Flugzeug setzt zur Landung auf den Flughafen der Stadt an. Der Mensch liegt im Bett und schläft – merkt vom Lärm da draußen nichts. Zumindest nicht bewusst. Sein Körper nimmt die Geräuschkulisse trotzdem wahr und kommt nicht zur Ruhe. Der Schlaf ist gestört. Im Ernstfall kann das zu schwerwiegenden Erkrankungen wie Herz-Kreislauf-Beschwerden oder sogar Depression führen. Wissenschaftler der TU Dresden beschäftigen sich mit den Folgen von Lärmstörungen auf den Menschen – und mahnen Konsequenzen an.

Den Flughafen Frankfurt am Main kennt Andreas Seidler gut. Nicht nur von Geschäfts- oder Urlaubsreisen. Er weiß um die Lärmbelastung, die durch den größten Airport Deutschlands entsteht, vor allem auch in der Nacht. Bereits vor ein paar Jahren waren der Professor für Arbeits- und Sozialmedizin der TU Dresden und seine Kollegen an einer großen Studie beteiligt, die die gesundheitlichen Folgen von Verkehrslärm erforschte. Adressgenau sahen sich die Wissenschaftler dafür an, wie groß die Belastung durch Flug-, Schienen- und Straßenlärm in der Umgebung des Frankfurter Flughafens ist. „Drei Krankenkassen stellten uns dafür Gesundheitsdaten von knapp einer Million Menschen aus dem Untersuchungsgebiet zur Verfügung“, erklärt Seidler. Die Ergebnisse zeigten eines ganz deutlich: Das Risiko einer Erkrankung steigt unter Lärmbelastung. Straßen- und Schienenlärm erhöhen zum Beispiel das Risiko für einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall. Das Auftreten von Depressionen und Herzinsuffizienz nimmt mit dem kontinuierlichen Anstieg des Lärmpegels ebenfalls zu.

Das Interesse der Forscher war geweckt – und sie erkannten Ansätze für weiterführende Studien. Bisher beschäftigen sich nur relativ wenige mit dem Zusammenhang zwischen Verkehrslärm und psychischen Erkrankungen. Die Frankfurter Ergebnisse zeigten erstmals, wie er das Entstehen von Depression beeinflusst. Basierend auf den Versichertendaten ermittelten die Wissenschaftler damals 77 300 Menschen, bei denen die Erkrankung diagnostiziert wurde. Sie litten unter dem Lärm von Autos, Zügen oder Flugzeugen.

Wissenschaftler schauen jetzt im Auftrag des Umweltbundesamts noch genauer hin und untersuchen den Zusammenhang zwischen Lärm und psychischen Erkrankungen. Dafür nutzen die Mitarbeiter des Instituts und der Poliklinik für Arbeits- und Sozialmedizin der TU Dresden die Frankfurter Daten noch einmal. „Wir schauen sie uns aber unter neuen Fragestellungen an“, sagt Andreas Seidler. Wie etwa, ob die Entwicklung von Demenz etwas mit Lärm zu tun hat. Hinzugezogen wird außerdem das Datenmaterial der aktuell von der Universität Leipzig durchgeführten Life-Studie. Dafür werden 10 000 Leipziger befragt. Die nochmalige Analyse der Daten könnte den Einfluss weiterer Störfaktoren auf den Zusammenhang zwischen Verkehrslärm, psychischen Erkrankungen und Lebensqualität zeigen. So könnten beispielsweise auch Luftschadstoffe einen Anteil haben.

Eine weitere Untersuchung für das Umweltbundesamt steht kurz vor dem Abschluss. Zum ersten Mal wird dabei gezeigt, wie schädlich mehrere Lärmquellen zusammen sind. Bisher wird diese Frage nur mit dem Lärmpegel in Verbindung gebracht. Für die Ermittlung des Gesamtlärms aus Straßen-, Flug- und Schienenverkehr nutzen Akustiker eine spezielle Berechnungsregel. Werden bei den drei Lärmquellen zum Beispiel jeweils 60 Dezibel gemessen, ergibt sich am Ende ein Gesamtlärmpegel von 65 Dezibel. „Wir gehen jetzt aber davon aus, dass die Risiken für die menschliche Gesundheit deutlich höher sein können“, blickt Andreas Seidler schon einmal auf die Ergebnisse der neuen Untersuchung. Das entspräche in dieser Situation eher einer Belastung von 100 Dezibel. Genau der Stress für den Körper, den etwa ein einfahrender U-Bahn-Zug auslöst. Wer dem dauerhaft ausgesetzt ist, wird krank.

Andreas Seidler hofft, dass die Ergebnisse eine Diskussion über derzeit geltende Grenzwerte in Gang bringt. „Wir können dafür eben nicht nur auf die berechnete Durchschnittslärmbelastung schauen.“ Es ließe sich nicht sagen, dass eine Geräuschkulisse unter 50 oder 60 Dezibel keine Probleme macht. „Eine untere Schwelle kann derzeit gar nicht festgelegt werden.“ Der Bericht soll in den nächsten Monaten veröffentlicht werden. Die Dresdner wollen am Thema dranbleiben. Dafür wird gerade ein neues Forschungscluster vorbereitet. Wissenschaftler aus unterschiedlichen Bereichen wollen dafür zusammenarbeiten und sich auch mit der Mobilität der Zukunft beschäftigen. Denn auch wenn Autos bald mit Elektromotoren durch die Städte rollen. Fahr- und Reifengeräusche bleiben – und können den Schlaf stören.