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Viel Sprengstoff im Prozess gegen Moscheebomber

Es werden immer mehr eklatante Ermittlungspannen bekannt. Neue Termine bis Ende Mai.

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© dpa

Von Alexander Schneider

Er würde vor der Sprengung der Rohrbomben gerne noch einige Spuren sichern, will der Experte für Werkzeugspuren im Kriminaltechnischen Institut des Landeskriminalamts Sachsen (LKA) seinen sprengwütigen Kollegen noch gesagt haben. Er wolle Kratzer und Verformungen sichern, die es ermöglichten, den zur Herstellung der Bomben genutzten Schraubstock zu identifizieren. Aber nein, es wurde erst gesprengt.

Der verdutzte Gesichtsausdruck des Vorsitzenden Richters Herbert Pröls sprach Bände. Am Donnerstag befragte er den 56-jährigen Kriminaltechniker zu dieser Sprengung. Kein Zweifel. Am 2. Mai 2017 wurden die zwei originalen Rohrbomben auf einem Truppenübungsplatz in der Lausitz zu Testzwecken in die Luft gejagt, berichtete der Ingenieur, er habe aus Interesse teilgenommen. Die Suche nach Schraubstock-Kratzern hatte sich jedoch erübrigt.

Seit Januar läuft der Prozess gegen Nino K. wegen versuchten Mordes und Herbeiführens von Sprengstoffexplosionen am Landgericht Dresden. Der 31-jährige Lüftungstechniker hat gestanden, am Abend des 26. September 2016 die Anschläge auf die Moschee und das Kongresszentrum begangen zu haben. Er habe jedoch niemanden töten wollen.

Ohne Experten lässt sich die Frage, wie gefährlich die selbst gebastelten Sprengsätze des Angeklagten waren und ob von ihnen eine tödliche Gefahr ausging, nicht beantworten. Und genau hier beginnen nun die Probleme in der Beweisaufnahme. Die zerstörten Rohrbomben sind leider nicht das einzige Problem mit diesen Testsprengungen. Weil es am LKA Sachsen keinen Sachverständigen für sogenannte Sprengvorrichtungen gibt, wurde auch auf diese Expertise einfach verzichtet. Auch das hat Richter Pröls in dieser Deutlichkeit erst am Donnerstag von dem Kriminaltechniker erfahren. Der Spreng-Gutachter sei schon seit Jahren in Pension, seine Stelle wurde nicht nachbesetzt.

Die beiden unversehrten, aber zündfähigen Rohrbomben hatte die Polizei nach dem Anschlag auf die Moschee in der Hühndorfer Straße sichergestellt. Sie lagen vor der Wohnungstür, hinter der der Imam mit Frau und zwei Söhnen lebte. Ob es sich bei dem detonierten Sprengsatz um einen identischen dritten handelt, ist nun eine Frage in diesem Prozess.

Lange gingen die Staatsschutzermittler im Fall der Moschee von einem „Brandanschlag“ aus. Erst im April 2016 wurde ein Splitter gefunden, der nahelegt, dass auch der detonierte Sprengsatz eine Rohrbombe war. Er lag in einer Tüte mit am Tatort gesichertem Kehricht. Die Verteidiger bezweifeln, dass der Splitter von der Moschee stammt. Auf einem Foto des Kehrschutts sei der 2,5 mal 2 Zentimeter große Stahlsplitter nicht zu erkennen. Nebenklage-Anwältin Kati Lang wundert das, schon wegen der beiden unversehrten Bomben.

Es gibt noch einige weitere Pannen und Mängel in diesem Ermittlungsverfahren. Wichtige Tatzeugen wurden nicht von der Polizei vernommen – die Frau des Imam und ein etwa 80-jähriger Türke, der in einem Nebengelass des Moscheeanwesens lebt und spätestens beim Löschen vor Ort war. Der Imam wurde angeblich nur einmal vernommen, frühmorgens nach dem Anschlag, es soll Probleme mit Übersetzungen des Dolmetschers gegeben haben. „Tatort-Fotos“ in der Wohnung des Imam wurden erst im Februar 2017 angefertigt, mehr als vier Monate nach dem Anschlag. Die Wohnungstür lag schon lange auf dem Sperrmüll, als die Beamten sie nach Monaten nochmals untersuchen wollten.

Natürlich ist die Polizei Werkzeugspuren nachgegangen. So wurden etwa auch Schraubstöcke in der Firma, in der Nino K. gearbeitet hatte, untersucht. Niemand begutachtete jedoch Schraubstöcke aus der Firma eines Kumpels des Angeklagten, der ihm die Deckel für die Rohrbomben eigens angefertigt hatte – angeblich ohne etwas von ihrem Einsatzzweck zu ahnen.

Am Nachmittag hat das Gericht mit den weiteren Prozessbeteiligten neue Sitzungstermine bis Ende Mai vereinbart. Zunächst war der Prozess bis Anfang April terminiert. Richtig laut wurde Pröls, als Oberstaatsanwalt Ricardo Schulz anregte, man könne auf den Spreng-Sachverständigen verzichten. Die tödliche Wirkung von Rohrbomben sei „naheliegend“. Pröls entgegnete, das Gericht brauche ein vernünftiges Fundament, dem Angeklagten werde eine vorsätzliche Tat vorgeworfen.