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Verliebt in die Görlitzer Villa

Die Goethestraße 5 hat einen neuen Eigentümer. Der will das Haus schnell sichern, bevor es noch weiter verfällt.

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© Pawel Sosnowski/80studio.net

Von Ingo Kramer

Görlitz. Rafal Kordeusz ist ein zurückhaltender Mann. Mit Foto in die Zeitung? Auf gar keinen Fall! Ein Interview? Nein, deutsch spricht er ohnehin nicht. Aber auch nicht in seiner polnischen Muttersprache. Wer ihn erlebt, wie er ganz unscheinbar in Arbeitssachen in der Goethestraße 5 mit anpackt, der käme nie auf die Idee, dass er derjenige ist, der die einstige Ingenieurschule und spätere Fachhochschule – eine der schönsten Villen in Görlitz – Ende Dezember gekauft hat. Und doch ist er es.

„Er war schon eine Weile auf der Suche nach einem Wohnhaus für sich und seine Familie in Görlitz“, sagt Helmut Bolzek, ein Bekannter von Kordeusz, der für ihn dolmetscht und Behördentermine wahrnimmt. Als Kordeusz dann durch die Goethestraße kam und das Gebäude mit dem „Zu verkaufen“-Schild entdeckte, habe er sich prompt in die Villa verliebt, ohne Besichtigung den Kaufpreis von 340 000 Euro auf den Tisch gelegt – und sich erst danach den Schlüssel geben lassen, um sein neues Eigentum auch von innen anzuschauen.

Das kann sich sehen lassen: 2 876 Quadratmeter Nutzfläche, verteilt auf das Hauptgebäude von 1896/97 und einen Anbau aus DDR-Zeiten, im Haupthaus edle Holzvertäfelungen an Wänden und Decken, historische Schiebetüren, Stuck, ein Hörsaal mit halbkreisförmig angeordneten Holzsitzen, andere repräsentative Räume und obendrauf ein Türmchen mit drei Etagen. Die mittlere hat Fenster in alle Richtungen, von hier reicht der Blick auf die Altstadt mit der Peterskirche, auf die komplette Landeskrone vom Fuß bis zum Gipfel, und in der Ferne auf Iser- und Riesengebirge. Die unteren Etagen haben so viele Räume, dass man sich überall verlaufen kann, mehrere Treppenhäuser erschließen das Haus. Keine Frage: Die Villa Hagspihl ist eines der schönsten Gebäude weit und breit. Hinzu kommen im ersten Stock eine riesige Terrasse zum Garten und ein Hanggrundstück von 5 400 Quadratmetern mit einigen alten Bäumen. Das Haus und auch das Grundstück sind denkmalgeschützt.

Der Haken: Die Villa ist nach jahrelangem Leerstand in schlechtem Zustand. Hier und da gibt es deutlich sichtbare Einregenstellen, das Parkett wölbt sich. Allerdings sind noch keine Decken durchgebrochen. „Für die Villa ist es fünf vor zwölf“, sagt Bolzek. Hinzu kommen auch noch Diebstahls- und Vandalismusschäden: In einigen Räumen und Treppenhäusern sind die Holzvertäfelungen gestohlen worden, anderswo mit Schriftzügen beschmiert.

Damit das Haus nicht weiter verfällt, will Kordeusz so schnell wie möglich loslegen, vor allem mit der Sanierung des Daches. „Alles geht ihm viel zu langsam“, sagt Bolzek. Ende Dezember hat er die Villa gekauft, vor zwei Wochen erhielt er die Genehmigung, sie einzurüsten. Vier Tage nach der Erlaubnis begann der Gerüstbau. „Er hat das Gerüst nicht gemietet, sondern gleich gekauft“, sagt Bolzek. Es sei ja nicht klar, wie lange es benötigt wird. Noch gibt es keine Baugenehmigungen. Doch nach Bolzeks Aussage will der Eigentümer alles nach historischem Vorbild herrichten. Deshalb rechnet er damit, dass es keine großen Schwierigkeiten mit dem Denkmalschutz geben wird. Die Außenhülle würde er am Liebsten bereits über den Sommer fertigstellen, um sich im Winter auf den Innenausbau konzentrieren zu können.

Ob das Gebäude mit Hörsaal und Turm tatsächlich zum Einfamilienhaus werden soll, steht offenbar noch nicht fest. Sicher ist nur: Kordeusz will selbst einziehen. „Alles Weitere überlegt er sich gerade erst“, sagt Bolzek. Auch die Zukunft des Anbaus ist offen – und von den Auflagen der Behörden abhängig. Eine Sanierung als Mehrfamilienhaus mit Tiefgarage sei ebenso möglich wie ein Komplettabriss. Der DDR-Anbau spielt für den Eigentümer derzeit ohnehin keine Hauptrolle. Wichtig sei es, erst einmal das Haupthaus zu sichern, bevor es weiteren Schaden nimmt.

Über die Person Rafal Kordeusz will Bolzek nicht alles verraten. Nur so viel: Kordeusz ist 46 Jahre alt und lebt mit seiner kleinen Familie 60 Kilometer nordwestlich von Zgorzelec. Er ist ein erfolgreicher Bauunternehmer. Die Goethestraße 5 ist sein erstes Gebäude in Deutschland. Bisher hat er zumeist in den polnischen Riesengebirgsorten Karpacz (Krummhübel) und Szklarska Poreba (Schreiberhau) Wohnhäuser neu gebaut und die Wohnungen verkauft. „Die vergangenen zwei Jahre sind bei ihm sehr gut gelaufen, er verkauft die Wohnungen schon vor Baubeginn“, sagt Bolzek. So dürfte genug Geld da sein für die Sanierung der Goethestraße 5. Was die kosten wird, ist im Moment noch völlig unklar. Kenner der Immobilienbranche rechnen mit etwa drei Millionen Euro, wenn es gut werden soll. Und dass es das wird, daran lässt Bolzek keinen Zweifel: „Er macht es für sich selbst, also legt er Wert auf Qualität.“