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„Verfahren mit Ausländern sind schwieriger“

Viele Flüchtlinge – viele Vorfälle. Das bestätigt sich nicht. Dafür gibt es ein anderes Problem, sagt der Dippser Gerichtsdirektor.

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© Frank Baldauf

Von Franz Herz

Dippoldiswalde. Im Mai vor einem Jahr ist Rainer Aradei-Odenkirchen offiziell als Direktor des Amtsgerichts Dippoldiswalde eingeführt worden. Er folgte auf Joachim Thomas, der das Gericht 18 Jahre lang geleitet hat. Die Sächsische Zeitung sprach mit Aradei-Odenkirchen über seine Anfänge hier und die aktuelle Arbeit am Gericht.

Herr Aradei-Odenkirchen, als Sie vor einem Jahr nach Dippoldiswalde gekommen sind als Amtsgerichtsdirektor, was hat Sie hier überrascht?

Eigentlich gar nichts. Ich hatte vielfältige Erfahrungen in der Justiz, wusste, wie ein Amtsgericht funktioniert. Das hat mir keine Überraschungen gebracht. Mein Wechsel nach Dippoldiswalde war mit Hoffnungen verbunden, die sich erfüllt haben. Ich habe hier im Schloss ein schönes Arbeitsumfeld, das ich bewusst genieße.

Ein Westfale in Sachsen

Rainer Aradei-Odenkirchen leitet seit einem Jahr das Amtsgericht Dippoldiswalde. Er wurde 1966 in Nordrhein-Westfalen geboren und hat in Bayern seine Juristenausbildung absolviert.

1995 ist er nach Sachsen gekommen. Hier hat er unter anderem ein Jahr als Staatsanwalt in Pirna gearbeitet. Bekannt wurde Aradei-Odenkirchen, als er 2006 die Leitung der Einheit zur Korruptionsbekämpfung INES übernommen hat.

Vor seinem Wechsel nach Dippoldiswalde war er im Justizministerium für das Personal der Justizvollzugsanstalten verantwortlich. Zum Ausgleich hört der Gerichtsdirektor gerne Musik aller Art. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder. Seine Frau arbeitet als Mediatorin. (SZ)

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Welche Aufgaben haben Sie am Gericht übernommen?

Ich bin zu einem Drittel meiner Arbeitszeit Gerichtsdirektor und damit verantwortlich für 50 Bedienstete. Die Richter unterstehen ja nicht mir, sondern dem Landgerichtspräsidenten. Zum größeren Teil arbeite ich als Familienrichter. Mit diesem Rechtsgebiet hatte ich vorher in meiner beruflichen Tätigkeit noch nie zu tun gehabt.

Können Sie für einen Laien einmal die Aufgaben eines Familienrichters umreißen?

Dazu gehören natürlich Scheidungsverfahren. Hier sind viele überrascht, wie schnell eine Scheidung gehen kann, wenn sie gut vorbereitet ist. Schwierig wird es, wenn um Geld oder Kinder gestritten wird. Da muss das Gericht über Sorgerecht oder das Umgangsrecht entscheiden. Häufig geht es auch um den finanziellen Versorgungsausgleich nach einer Scheidung. Dabei stelle ich immer wieder fest, welch schlechte Altersversorgung viele Bürger haben – obwohl sie viele Jahre gearbeitet haben.

Die gerichtliche Fürsorge für Kinder, die von Verwahrlosung bedroht sind, gehört auch zum Familienrecht, ebenso das Thema psychiatrische Unterbringung, wenn Kinder aus Familien genommen werden müssen.

Haben Sie dem Gericht Ihren Stempel aufgedrückt?

Das war nicht mein Anliegen. Ich habe hier ein fachlich und strukturell gut aufgestelltes Gericht übernommen. Das ist auch ein Verdienst meines Vorgängers. Mein Anliegen ist eher, mich als Teamplayer einzubringen und weniger, eigene Spuren zu hinterlassen. Unter anderem an einem Punkt habe ich aber doch etwas geändert: Den Knauf an meiner Tür habe ich gegen eine Klinke tauschen lassen, damit sie problemlos von außen geöffnet werden kann. Wer das Gespräch sucht, kann einfach zu mir kommen. Es geht mir darum, die Kommunikationskultur im Gericht zu fördern mit allen Mitarbeitern auch über Hierarchien hinweg.

Sind Sie mit dem Personalstand zufrieden?

Die Methoden, wie der Bedarf an Stellen berechnet wird, bedingen immer eine gewisse Knappheit. Damit ist nicht jeder Ausfall aufzufangen. Aber derzeit sind wir auskömmlich ausgestattet. Bei den Richtern haben wir seit Anfang des Jahres einen neuen Kollegen, Dr. Patrick Pintaske, und sind damit sogar leicht überbesetzt. In zwei Bereichen haben wir aber Baustellen: im Grundbuchamt und bei den Gerichtsvollziehern. Im Grundbuch haben wir im März personelle Verstärkung bekommen. Es dauert noch ein wenig, bis sich das auswirkt. Unsere Gerichtsvollzieher halten sich wacker. Aber hier gibt es ein akutes Nachwuchsproblem in der sächsischen Justiz.

Wie spiegelt sich die technische Entwicklung in der Gerichtsarbeit?

Das ist ein schmerzhaftes Thema. Die Vorteile, welche die Computer bringen sollen, werden oft nicht wahrgenommen, weil sie teilweise nur holprig funktionieren. Das hat mit unzureichenden Datenleitungen zu tun und mit den Programmen selbst, mit denen wir in der Justiz arbeiten. Da gibt es immer wieder neue Kuriositäten. Aber die Telekom ist da auch dran, und wir hoffen auf eine schnellere Anbindung von Dippoldiswalde an unseren zentralen Server in Dresden .

Kann ein Bürger über Datenleitung mit dem Gericht kommunizieren?

Dafür brauchen Sie schon eine elektronische Signatur. Einzelne Anwälte nutzen diese Möglichkeiten bereits, aber flächendeckend ist das noch nicht im Einsatz. Eine normale E-Mail reicht nicht, um beispielsweise eine Frist zu wahren.

Fallen Ihnen regionale Unterschiede im Gerichtsbezirk auf?

Gerade im Bereich des Familienrechts bemerke ich, dass unser Gericht erhebliche Auslandsbezüge hat, die meisten nach Tschechien und Polen, aber auch in ganz andere Länder. Ich habe beispielsweise ein Scheidungsverfahren mit einem chinesischen Staatsbürger. Da müssen Sie gerichtliche Schreiben über den Rechtshilfeweg zustellen lassen. Aktuell habe ich ein Schreiben, da wurde nach zwei Jahren die Zustellung immer noch nicht bestätigt. Dabei muss auch immer erst geklärt werden, welches Recht gilt, das deutsche oder das des anderen Landes? Oft müssen dann die Folgen geregelt werden, wenn junge Leute im Ausland waren und sich dort wie im siebten Himmel gefühlt haben.

Nehmen bestimmte Problembereiche im Zivilrecht zu oder ab?

Hier ist aktuell zu beobachten, dass Mietwagenverträge ständig ein Thema sind. Dabei geht es beispielsweise um Streitigkeiten bei der Abrechnung.

Findet die politische Situation mit dem Zuzug von Flüchtlingen oder dem Anstieg rechtsextremer Strömungen ihren Ausdruck im Gericht?

Es gab angesichts der Flüchtlingswelle vor allem im Strafrecht die Erwartung, dass wir viele Verfahren mit Ausländern bekommen. Hier haben wir auch eine Zunahme, aber bei Weitem nicht so stark wie befürchtet. Diese Verfahren sind allerdings schwieriger zu führen. Meist benötigen die Richter Dolmetscher. Damit dauern dann auch die Termine länger. Dazu kommen auch Probleme, die Ladungen zu Verhandlungsterminen zuzustellen, wenn der Aufenthaltsort nicht feststeht. Gelegentlich ist das auch im Familiengericht ein Thema, wenn für minderjährige Flüchtlinge, deren Eltern nicht hier sind, ein Vormund bestellt werden muss.

Das Thema Reichsbürger bekommen wir am Amtsgericht Dippoldiswalde auch zunehmend zu spüren – bisher noch selten in Verfahren, aber dadurch, dass sie uns seitenlange krude Schreiben schicken.

Welche Entwicklungen beobachten Ihre Kollegen im Strafrecht sonst?

Wir haben eine gute Nachricht: Es gibt keinen Anstieg an Gewaltdelikten. Erheblich zugenommen hat aber das Thema Drogen. Das liegt sicher mit an der Nähe zur tschechischen Grenze, wo sie billig zu bekommen sind. Teilweise geht es dabei ja nur noch um Taschengeldbeträge.

Wir schätzen, dass 80 Prozent aller Jugendgerichtsverfahren mit Drogen zu tun haben. Das sind dann nicht nur die einschlägigen Delikte wie Drogenbesitz oder Handel mit Drogen, sondern das hat auch andere Folgen wie Fahrten unter Drogeneinfluss, Beschaffungskriminalität oder anderes.