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Unter Beschuss

In Bannewitz leben Anwohner gefährlich. Die unfreiwilligen Schützen sind Golfspieler von nebenan.

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© Andreas Weihs

Von Verena Schulenburg

Die Schrecksekunde in ihrem Garten hat sie noch nicht ganz verdaut. „Ich stehe gerade auf dem Wäscheplatz. Plötzlich pfeift etwas haarscharf an mir vorbei“, erzählt Isolde Glöß. Die 69-Jährige musste nicht lange überlegen, was es war. Das Flugobjekt landete unweit neben ihr.

Regelmäßig kommen Golfbälle von der benachbarten Anlage geflogen. Statt im Loch landen sie auf ihrem Grundstück, auf dem Rasen, in der Blumenrabatte oder neben dem Auto. „Unseren Nachbarn geht es damit nicht viel besser“, weiß Isolde Glöß. Fast jeder habe schon verirrte Golfbälle bei sich zu Hause entdeckt. „Wir liegen hier voll in der Einflugschneise.“ Der Golfclub Dresden Elbflorenz betreibt seine Anlage seit Anfang der 90er-Jahre direkt nebenan. Beinah genauso lange stehen die Anwohner unter Golfball-Beschuss. Momentan sei es aber besonders massiv. „Es ist eine Tortur“, sagt Isolde Glöß, die 1971 mit ihrem Mann Hartmut das Einfamilienhaus in Wilmsdorf bezog. Hätten sie damals geahnt, dass sie sich eines Tages kaum mehr sicher in ihrem eigenen Garten fühlen können, wer weiß, ob sie sich dann für dieses Zuhause entschieden hätten, abgesehen von dem Lärm durch Partys und Rasenmäher, der von der Anlage herüberschallt.

Einen ganzen Eimer voller Bälle haben sie und ihr Mann schon rund ums Eigenheim aufgelesen. „Irgendwann wird jemand so einen Ball an den Kopf bekommen. Und dann?“, fragt Isolde Glöß ratlos. „Muss denn wirklich erst etwas Schlimmes passieren?“ Die Wilmsdorferin macht sich ernsthaft Sorgen. Vor allem, wenn ihr kleiner Urenkel gerade im Garten spielt.

Genauso lange wie die Bälle schon auf das Grundstück der Familie treffen, genauso lange kämpfen sie gegen die Situation an – vergebens. „Wir fühlen uns wie eine Minderheit“, sagt Isolde Glöß. Erst kürzlich suchte die Wilmsdorferin erneut das Gespräch im örtlichen Rathaus, bat um Unterstützung. Ihr gehe es nicht nur um die Sicherheit ihrer Familie und der Nachbarn. Zwischen ihrem Haus und dem Golfplatz befindet sich die Poisentalstraße. „Hier herrscht reger Durchgangsverkehr“, sagt sie. Auch Radfahrer würden regelmäßig die Staatsstraße zwischen Possendorf und Freital nutzen. Einige scharfe Bremsmanöver von Autofahrern hätten die Wilmsdorfer aufgrund querfliegender Golfbälle schon beobachtet. „Ein Wunder, dass noch keiner ernsthaft verletzt wurde“, sagt sie. Unfälle habe es dagegen schon gegeben. Vor einigen Jahren sei die Scheibe eines Rettungswagens von einem Golfball zertrümmert worden. Ein Golfball-Schütze habe versehentlich sogar mal eine ältere Dame am Hals gestreift. Das sei alles mit Versicherungen und vermutlich dem nötigen Kleingeld geregelt worden.

Isolde Glöß weiß, dass sie mit dem Thema weder bei der Rathausspitze noch beim Golfclub auf Wohlwollen stößt, und will sich nicht als ewig Meckernde abstempeln lassen. Sie weiß aber, dass sie mit der Situation nicht allein ist und viele Anwohner an der Golfanlage betroffen sind. Es würden sich nur nicht alle öffentlich beschweren, vermutet sie. Vielleicht, weil sie wissen, dass sie ohnehin nichts bewirken, vermutet Glöß. Schon in der Vergangenheit sei diskutiert worden, die Abschläge der Golfspieler zu ändern oder Ballfangnetze zu errichten. Während Ersteres wohl merklich nichts änderte, ist das andere gar nicht erst umgesetzt worden.

Im Bannewitzer Rathaus ist man über die Sorgen der Anwohner im Bilde – seit Jahren schon. Damals seien dem Golfplatz-Management Auflagen erteilt worden, beispielsweise eine Bepflanzung zur Poisentalstraße hin. „Die Auflagen wurden auch alle erfüllt“, sagt die Bannewitzer Ordnungsamtschefin Sylvia Stiller. Zu den neuerlichen Problemen könne sie noch nicht viel sagen. Dies werde derzeit geprüft. Im benachbarten Golfclub nehme man die Beschwerden der Anwohner sehr wohl ernst, wie Jens Breunig versichert. Er ist zwar erst seit diesem Frühjahr Manager der Golfanlage in Possendorf. Der Ärger um die verirrten Überflieger-Bälle sei ihm aber bereits zu Ohren gekommen. Von Fangnetzen, Zäunen oder anderem sieht er ab. Um effektiv zu sein, müsse die Konstruktion etwa 30 Meter hoch sein, erklärt er. Ein so prägnantes Bauwerk sei aber weder im Sinn des Golfclubs, noch könne es im Sinn der Anwohner sein. Zudem gibt es zwischen der Golfanlage und Wohnhäusern einen hohen Baumbewuchs. Dieser müsste eigentlich, so Breunig, im Wesentlichen fehlgesteuerte Golfbälle aufhalten. Größere Vorkommnisse habe es auch rings um die Anlage noch nicht gegeben. Abgesehen davon, dass etwas Putz von einer Hausfassade erneuert werden musste oder ein Dachziegel zu Bruch kam. Mit den betreffenden Eigentümern sei bisher immer alles geregelt worden. Dies werde auch in Zukunft so gehandhabt. Bei Problemen könne sich jeder an ihn wenden.

Breunig macht deutlich: „Zu einhundert Prozent lässt es sich nicht vermeiden, dass Golfbälle über die Anlage hinwegfliegen.“ Das habe nichts damit zu tun, dass die einen Golfspieler mehr, die anderen weniger gut am Schläger sind. Auch Erfahrenen passiere es, dass der Wurf daneben geht. Meist seien es sogar versierte Spieler, denen ein Weitwurf von einigen Hundert Metern gelinge, wenn auch nicht immer zum Ziel. Auch Windböen haben die mehr als 700 Spieler des Clubs zu händeln. „Wind kann einen Golfball, der nicht einmal 50 Gramm wiegt, leicht sonst wohin tragen“, erklärt er.

Das Problem: Der Golfplatz grenzt unmittelbar an die Wohnbebauung, ähnlich wie in Ullersdorf, im Norden von Dresden. Dort stehen Wohnhäuser ähnlich nah am örtlichen Golfplatz. Allerdings wohnen da viele Golfer, die sind deutlich nachsichtiger als Unbeteiligte unter Beschuss.