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„Unsere Patienten wissen mehr als wir“

Tobias Loder ist Apotheker und gibt seit 2014 Cannabis ab. Was er sich für das deutsche Modell wünscht.

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© Birgit Ulbricht

Herr Loder, seit März 2017 ist medizinisches Cannabis in Deutschland erst legal. Wie kam es denn, dass Sie schon seit 2014 Patienten versorgen?

Per Gerichtsurteil. Aber nicht ich habe geklagt, sondern ein Akut-Schmerzpatient. Die Richter gaben ihm recht, dass er Cannabis nehmen darf. Er musste daraufhin dem Gericht eine Liefer-Apotheke benennen und da kam er zu mir und hat mich gefragt, ob ich sein Apotheker sein will. So bin ich überhaupt erst dazu gekommen.

Wie ist denn heute in Deutschland der normale Weg, wenn ein Patient meint, Cannabis könnte ihm helfen?

Er geht zu seinem Arzt – jeder Mediziner außer Tierärzten und Zahnärzten – kann Cannabis verschreiben. Das Problem ist ein ganz anderes. Die meisten Ärzte kennen sich damit nicht aus. Woher auch? Das Wissen ist seit 1941, als es Cannabis zuletzt in den Apotheken gab, schlicht verloren gegangen. Es existieren über hundert Pflanzensorten, die Wirkungen können kombiniert werden oder über den Tag unterschiedlich verteilt. Zum Beispiel morgens etwas zur Muskelentspannung und abends zum Einschlafen ein Mittel zur Schmerzlinderung. Aber das muss man ausprobieren, da muss man mit dem Patienten gemeinsam Erfahrungen sammeln. Die Wahrheit ist: Unsere Patienten wissen über Cannabis weit mehr als wir. Entweder, weil sie es selbst jahrelang probiert haben, oder weil sie vieles gelesen und gehört haben. Mit dieser Situation, sich etwas sagen zu lassen, kommen manche Ärzte nicht gut klar und lassen lieber ganz die Finger davon. Zumal es für den Arzt schwierig ist, auf das Rezept zu schreiben, wie Produkt und Hersteller heißen, so wie wir es in Deutschland eben von herkömmlichen Medikamenten gewöhnt sind. Hier sehe ich eine klassische Aufgabe unseres Berufsstandes. Wer wenn nicht die Apotheker, meinetwegen einige Schwerpunkt-Apotheken, soll denn die Patienten sonst beraten? Das ist die große Herausforderung, das in Deutschland zu regeln. In Kanada haben sich die Apotheken dem Prozess verweigert und jetzt läuft alles über die Hersteller, die eigene Patienten-Agenturen betreiben. Das ist in Deutschland verboten, meines Erachtens zu Recht. Das können wir besser machen.

Wenn es so viel Variationen von Cannabinoiden gibt, haben Sie denn die jederzeit vorrätig?

Nein, wir können nicht alles auf Lager legen, die Ware ist nur begrenzt haltbar. Der Patient muss vorher anfragen, ob das gewünschte Medikament auch vorrätig ist. Ein BtM-Rezept ist nur sieben Tage gültig.

Wie haben Sie das Problem gelöst?

Seit 14 Tagen habe ich eine eigene Webseite dazu freigeschaltet, auf der sich Arzt und Patient informieren können, was tagaktuell im Bestand ist, und dazu noch, wie die Cannabinoide verteilt sind, und speziell THC, dem die Rauschwirkung zugeschrieben wird. Außerdem Packungsgrößen und Lieferfristen. Sie heißt www.cannabis-apotheke.de und wird ständig aktualisiert. Die ersten Reaktionen darauf sind sehr positiv.

Mit welchen Leiden kommen die Patienten vor allem zu Ihnen? Und was kostet so eine Behandlung?

Es sind vorwiegend Akut-Schmerzpatienten, Bandscheibenvorfälle, Rheuma, Entzündungen, MS, um einige zu nennen. Man rechnet so im Monat mit Ausgaben von 500 bis 800 Euro pro Patient.

Zahlen das die Kassen anstandslos?

Anstandslos schon mal nicht. Es gab viele Klagen, nachdem zunächst fast alle Anträge abgelehnt wurden. Inzwischen zahlen die Krankenkassen etwa für zwei Drittel der Fälle. Wenn man bedenkt, dass dafür andere Medikamente wegfallen, die erhebliche Nebenwirkungen haben und auch teuer sind, ist das gut. Daraus erklärt sich aber auch, warum Cannabis mächtige Feinde hat. Die Pharmalobby will der Rückkehr dieser uralten Kulturpflanze nicht widerstandslos zusehen.

Das Gespräch führte Birgit Ulbricht.