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Unser tägliches Nitrat

In Maßen sind Gülle und Ammoniak wertvoll, im Übermaß gefährlich. Nachfragen dazu mögen die Betreiber großer Mastanlagen in Sachsen nicht.

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© kairospress

Von Ulrich Wolf

Dresden. Weithin grüßt das Schwein. In Rosarot auf schwarzem Grund eines 28 Meter hohen Futtermaissilos. Mit einem vierblättrigen Kleeblatt im Maul. Wohl eine Anspielung auf die Marke „Sachsenglück“, dem Qualitätslabel des Fachzentrums für Fleischerei und Gastronomie in Dresden. Es wird verliehen an Betriebe, die sich „der Tradition und der sächsischen Heimat verpflichtet“ fühlen und beweisen, „dass sich ehrliche, nachhaltige Landwirtschaft, höchster technischer Wissensstand und gelebter Tier- und Verbraucherschutz vereinbaren lassen“. Das Label prangt auch am Eingang zur Klixer Edelfleisch GmbH.

Ammoniak-Ausstoß von Mastanlagen

Auf Platz eins des Ammoniak-Ausstoßes in Sachsen liegt die Tiergut Elbland GmbH in Streumen bei Riesa: Etwa 79 Tonnen sind es im Jahr. Das Unternehmen gehört einem niederländischen Konzern.
Auf Platz eins des Ammoniak-Ausstoßes in Sachsen liegt die Tiergut Elbland GmbH in Streumen bei Riesa: Etwa 79 Tonnen sind es im Jahr. Das Unternehmen gehört einem niederländischen Konzern.
In Zwethau bei Torgau kommen 20 Schweine auf einen Einwohner. Die westfälische Familie Oberhoff hat dort eine Schweinemast aufgebaut, Strom- und Wärmeerzeugung sowie 65 Tonnen Ammoniak inklusive.
In Zwethau bei Torgau kommen 20 Schweine auf einen Einwohner. Die westfälische Familie Oberhoff hat dort eine Schweinemast aufgebaut, Strom- und Wärmeerzeugung sowie 65 Tonnen Ammoniak inklusive.
Der Schweinehof in Skassa gehört der Meißner Agrarprodukte AG (MAP). Die Ferkel kommen aus einer Aufzuchtanlage bei Hoyerswerda. Insgesamt sondern MAP-Betriebe 55 Tonnen Ammoniak jährlich ab.
Der Schweinehof in Skassa gehört der Meißner Agrarprodukte AG (MAP). Die Ferkel kommen aus einer Aufzuchtanlage bei Hoyerswerda. Insgesamt sondern MAP-Betriebe 55 Tonnen Ammoniak jährlich ab.
Mehr als 22 Tonnen Ammoniak lässt die Hühnerfarm Waldrose GmbH bei Radeburg jährlich in die Luft entweichen. Die versteckt im Wald liegenden sieben Ställe bieten Platz für rund 400.000 Stück Geflügel.
Mehr als 22 Tonnen Ammoniak lässt die Hühnerfarm Waldrose GmbH bei Radeburg jährlich in die Luft entweichen. Die versteckt im Wald liegenden sieben Ställe bieten Platz für rund 400.000 Stück Geflügel.

An Bauernhofromantik erinnert hier, am Rand des Örtchens Sdier bei Bautzen, nichts. Eher an DDR-Grenzschutzanlagen. Die Güllelager-Becken sind umzäunt. Wenn es dunkel wird, gehen Laternen an. Das Automatiktor an der Zufahrt ist aus Stahl, wird mit Videokameras überwacht. Verbots- und Warnschilder allerorten.

Klixer mästet Schweine. Bis zu 22 000 Stück. Pro Tier fallen jährlich etwa 1 500 Liter Gülle an. Die Brühe landet als Dünger auf den Feldern unterhalb des Czornebohs, einem rund 550 Meter hohen Berg in der Oberlausitz. Was direkt von den Ställen aus in die Umwelt gelangt, ist Ammoniak, ein scharfes, übelriechendes Gas. Es entsteht durch den Kot und Urin der Tiere. Ammoniak belastet die Luft mit Feinstaub. Nach Daten des Bundesumweltamtes pustete Klixer im Jahr 2015 fast 63 Tonnen Ammoniak in die Luft. Einen Grenzwert gibt es nicht, nur einen Schwellenwert. Der beträgt für große Agrarbetriebe zehn Tonnen pro Jahr. Wer den überschreitet, muss das dem Bundesumweltamt melden.

Nitrat - wichtig, aber bedenklich

Nitrat ist ein natürlicher Stoff - Pflanzen brauchen ihn für ihr Wachstum. Sie nehmen Nitrat über die Wurzeln auf und bauen daraus Eiweiße auf. Zu viel Nitrat im Boden oder im Wasser kann aber Folgen für Mensch und Natur haben.

Der Stoff ist eine chemische Verbindung aus Stickstoff und Sauerstoff. Mit Gülle oder Kunstdünger steigern Landwirte häufig den Nitratgehalt auf ihren Äckern, um höhere Erträge zu erzielen. So kommt der Stoff auch ins Grundwasser.

Nitrat selbst ist für den Menschen relativ unbedenklich. Allerdings können Bakterien den Stoff in Nitrit umwandeln. Nitrite können den Sauerstofftransport im Blut blockieren, was vor allem bei Säuglingen zu akuten Problemen führen kann.

Außerdem steht Nitrit im Verdacht, durch Bildung von Nitrosaminen krebserregend zu sein. Ein zu hoher Nitratgehalt in Gewässern kann dazu führen, dass Algen stärker wachsen und andere Pflanzen behindern. (dpa)

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Mehr aber auch nicht. Konsequenzen? Keine. Obwohl für das Amt in Berlin feststeht: „Die Tierindustrie ist Hauptverursacher der Nitratvergiftung des Grundwassers und trägt massiv zur Feinstaubbelastung bei.“ Wenn der Regen das Ammoniak in der Luft auswäscht und es in den Boden spült, entsteht Nitrat.

Vor allem aber enthält Gülle dieses Salz der Salpetersäure. Es stellt die Trinkwasserversorger in den deutschen Agrarindustrie-Regionen vor große Probleme. Vor allem in Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Sachsen-Anhalt. In Sachsen ist die Lage nicht so dramatisch, gleichwohl hat auch der Freistaat seine Nitratregionen. Die Messstellen nahe der mit Klixer-Gülle gedüngten Flächen zeigen bei Sornßig einen Wert für Nitrat von 14 Milligramm je Liter an. In Großpostwitz sind es bereits 49 und in Litten sogar 82 Milligramm. Zum Vergleich: Der EU-Richtwert ist bei 50 Milligramm je Liter festgezurrt. Etwa die Hälfte der rund 500 Grundwasser-Messstellen in Sachsen registrieren zwischen zwei und 25 Milligramm. Das Umweltamt des Landratsamts Bautzen stellt dazu im November 2015 zu Klixer fest: „Von der Anlage gehen keine Umweltbeeinträchtigungen aus.“

Die EU-Nitratrichtlinie existiert seit 25 Jahren. Im April vorigen Jahres verklagte die Europäische Kommission die Bundesrepublik. Deutschland habe mehrfach gegen die Richtlinie verstoßen, hieß es. Milliardenschwere Zahlungen drohten. Die Bundesregierung reagierte. Seit Mai gibt es ein neues Düngegesetz, seit Juni eine reformierte Düngeverordnung.

Große Agrarbetriebe müssen ab 2018 melden, wie viel Gülle und Ammoniak entsteht und wo sie die ganze Jauche verteilen. Sie müssen genau bilanzieren, wie viel Dünger, Gärrückstände, Futtermittel, Saat- und Pflanzgut, Mais und Kartoffeln, Nutztiere und Hülsenfrüchte durch ihr Hoftor rein- und wieder rauskommen. Der Bauernverband beklagt einen „erheblichen zusätzlichen Aufwand“.

Das hätte man gern auch vom Klixer-Chef gehört, doch dort bleiben Anfragen zu dem Thema unbeantwortet. Dabei verändert insbesondere die Düngeverordnung die bisherige Praxis. „Die sächsischen Landwirte werden vor neue Herausforderungen gestellt“, teilt das Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie mit. Der Bauernverband spricht von der „wohl weitreichendsten Überarbeitung der düngerechtlichen Vorschriften der letzten 20 Jahre“.

So sinkt die bisherige Grenze von jährlich 170 Kilogramm Stickstoff je Hektar auf intensiv genutzten Agrarflächen auf 60 Kilogramm. Die Güllelager müssen bei Großbetrieben künftig nicht mehr für sechs, sondern für neun Monate reichen. Auch die Sperrfristen für das Ausbringen der Jauche verlängern sich. Wer dagegen verstößt, riskiert Bußgelder von bis zu 150 000 Euro.

Ein Betrieb wie Klixer wird die wegen der neuen Vorschriften notwendigen Investitionen wohl stemmen können. Schließlich zahlt die EU Subventionen. Allein der größte Anteilseigner bei Klixer, die Agrargenossenschaft Heidefarm Sdier, kassierte 2015 und 2016 Beihilfen aus Brüssel von fast 3,6 Millionen Euro. Der Kieler Agrar-Professor Friedhelm Taube hält das für paradox: „Die Bürger zahlen doppelt. Auf der einen Seite für Subventionen, auf der anderen für die Umweltschäden.“ Etliche Betriebe, bei denen viel Ammoniak anfalle, erhielten hohe Subventionen.

Die Meißner Agrarprodukte AG in Priestewitz bei Großenhain, kurz: MAP, zählt dazu. In Datenbanken zu Agrarsubventionen taucht sie zwar kaum auf. Sie hat jedoch mehrere Standorte und Einzelgesellschaften, die Empfänger von Fördermitteln sind. Etwa der in einem Wald versteckte Ferkelhof Dörgershausen bei Hoyerswerda oder der abseits gelegene Schweinehof Skassa bei Großenhain. 2015 und 2016 kassierte der Firmenverbund rund zwei Millionen Euro aus Brüssel. Gleichzeitig zählen die Priestewitzer mit gut 55 Tonnen zu den größten Ammoniak-Produzenten Sachsens. Etwa die Hälfte davon entfällt auf die Mastanlage in Skassa.

Insgesamt betreibt die MAP zehn computergesteuerte Mastställe mit Platz für rund 30 000 Tiere. Auch ihr Fleisch trägt das Qualitätssiegel „Sachsenglück“. Das Futter für die Tiere baut die MAP überwiegend selbst an, zum Großteil auf Feldern zwischen Großenhain, Meißen und Riesa, gedüngt mit eigener Gülle. Das Grundwasser in dieser Region ist stark belastet. Das sächsische Landesumweltamt registrierte dort im vorigen Jahr drei der zehn höchsten Nitratwerte. Die Messstelle Riesa spuckte einen Mittelwert von 180 Milligramm aus, Großenhain und Lommatzsch kamen auf 170 Milligramm. Wie Klixer hüllt sich auch die MAP in Schweigen. Schriftliche Fragen bleiben unbeantwortet, am Telefon fühlt sich niemand zuständig, und vor Ort in Skassa heißt es lapidar: „Wir geben keine Auskunft.“

Vor zwei Wochen sorgte das Bundesumweltamt mit einer Presseerklärung für Furore, derzufolge die Trinkwasserpreise in einigen Regionen um bis zu 45 Prozent steigen könnten. Grund seien die Reinigungskosten für Grundwasser, das wegen zu viel Gülle und Dünger zu stark mit Nitrat belastet sei. Steht den Bürgern im Landkreis Meißen ein Preisschock bevor?

Die Stadtwerke Meißen GmbH, die ihr Wasser vorwiegend aus Talsperren erhält, gibt Entwarnung. Höhere Preise seien „weder angezeigt, noch erwarten wir diese“, heißt es. Der durchschnittliche Nitratwert belaufe sich auf lediglich zehn Milligramm.

Beim Zweckverband Meißner Hochland sieht das anders aus. Dieser Versorger bezieht sein Wasser aus vier Fassungen. An zweien wird der Nitrat-Grenzwert von 50 Milligramm bereits überschritten. Geschäftsführerin Sabine Zinnecker sagt, zwar gebe es um eine der Anlagen eine Trinkwasserschutzzone. Dort dürfe weniger gedüngt werden, und ihr Verband überweise deshalb „seit vielen Jahren Ausgleichszahlungen“ an die dort arbeitende „landwirtschaftliche Einrichtung“. Dennoch steige der Nitratgehalt.

Für zwei weitere Wasserentnahmestellen werde nun schon seit 15 Jahren „an der Ausarbeitung eines Schutzgebiets gearbeitet“. Für einen Brunnen habe sie ein Trinkwassergutachten erstellen lassen und eine Schutzzone beantragt. „Aufgrund von Überlastung der zuständigen Behörden“ sei die Bearbeitung der Anträge jedoch „nicht in Aussicht gestellt worden“. Zinneckers Fazit: Es könne nicht sein, dass einige Landwirte aus dem Anbau von Monokulturen und Energiepflanzen private Gewinne zögen, die daraus resultierenden Schäden im Grundwasser aber sozialisiert würden.

Die Trinkwasserversorgung Riesa-Großenhain GmbH ließ die Fragen der SZ dazu unbeantwortet. Die beiden größten Wasserwerke dieses Versorgers, Riesa und Fichtenberg, kamen bei Analysen im April und im August 2016 auf Nitratwerte von 16,9 beziehungsweise 30 Milligramm. Die von den Umweltämtern fixierte Grenze des „Besorgniswertes“ liegt bei 25 Milligramm. Sie wird an nahezu der Hälfte der sächsischen Grundwasser-Messstellen erreicht oder überschritten.

Dazu wird auch die Tiergut Elbland GmbH ihr Scherflein beitragen. Die Agrarfirma betreibt ihre Ställe völlig abgeschirmt an der Bahnstrecke zwischen Riesa und Elsterwerda. Dort, am Rande des Dorfes Streumen, in einem Gewerbegebiet zwischen Rübenfeldern und Windkraftanlagen, steht bereits 300 Meter vor dem Eingangstor ein Schild, das die Weiterfahrt auf der Betonpiste verbietet. Wer es trotzdem wagt, wird kurz- und schmerzlos abgefertigt. „Die Chefs sind nicht da, kommen Sie nächste Woche wieder, besser noch übernächste“, knarzt die Stimme aus der Gegensprechanlage. Auch dort blieben via Mail übermittelte Fragen ohne Antwort.

„Tiergut“, das klingt positiv. Der Firmenname ist relativ neu. Bis zum Juni 2015 lautete der noch Vabor Agrarproduktion GmbH. Das trifft es schon eher. Vabor steht als Abkürzung für die niederländische Agrarindustriellenfamilie van den Borne. Sie macht allein in Sachsen einen Umsatz von rund zehn Millionen Euro. Dem Bundesumweltamt meldete sie ein Ammoniak-Volumen von fast 93 Tonnen. Das ist Spitze.

Etwa 35 Kilometer entfernt von der tierisch guten Schweinemastanlage der Niederländer steht im Landkreis Nordsachsen an einem Walde hinter dem Örtchen Blumberg still und stumm ein knapp ein Meter hoher Metallzylinder herum. Auf der Rückseite klebt ein Sachsen-Wappen. Es ist die Grundwasser-Messstelle mit der Kennziffer 4445002. Im Inneren des Zylinders geht ein Bohrloch in die Tiefe. Die Analyse des dort entnommenen Grundwassers hat für 2016 einen Nitratwert von 220 Milligramm ergeben. Auch das ist Spitze, sogar einsame.

Die Landkreise Nord- und Mittelsachsen gehören ebenfalls zu den Nitrat-Sorgenkindern im Freistaat Sachsen. Nirgendwo sonst ist das Grundwasser in Teilen so stark belastet. Der Wasserverband Döbeln-Oschatz, der rund 100 000 Menschen versorgt, musste bereits zwei Entnahmestellen schließen.

An seinem wichtigsten Reservoir, der Jahna-Aue bei Ostrau, rechnet Sprecherin Tina Stroisch mit steigenden Nitratwerten. Das Trinkwasser werde mit dem aus anderen Quellen gemischt, um den Anteil zu reduzieren. Stroich geht davon aus, dass der Verband nicht umhinkommen wird, „gezielt Nitrat aus dem Rohwasser zu entfernen“. Man müsse deshalb in neue Technologien investieren und neue Brunnen erschließen. Ob sich große Agrarbetriebe an den Kosten dafür beteiligen werden?

Ein letzter Versuch, darüber ins Gespräch zu kommen, startet in Zwethau. In dem Dorf östlich von Torgau kommen auf einen Einwohner 20 Schweine. Die aus Westfalen stammende Familie Oberhoff betreibt hier eine der größten Mastanlagen der Republik. Täglich werden 120 000 Liter Gülle und zwanzig Tonnen gehäckselter Mais gemischt und vergoren. Aus dem Biogas entstehen Strom und Wärme. Angeblich sind die Ställe mit Ammoniak-Filtern ausgestattet, was etwa in den Niederlanden und Dänemark längst vorgeschrieben ist. Dennoch ist die Zwethauer Anlage mit 65 Tonnen Ammoniak zweitgrößter Luftverpester Sachsens in dieser Kategorie.

Das Zufahrtstor steht diesmal offen, ein schickes Einfamilienhaus im Toskana-Stil liegt etwas verloren neben dem Verwaltungstrakt aus DDR-Zeiten. Der Bau wird gerade saniert, gefördert vom Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums. Der Betriebsleiter entschuldigt sich für die unbeantwortete Mail, bittet kurz in einen Konferenzraum, nimmt Rücksprache mit wem auch immer und sagt dann: „Wir möchten uns hier ganz ruhig verhalten und äußern uns nicht.“

Die Recherchen wurden in einigen wenigen Teilen unterstützt vom Rechercheverbund Correctiv. Informationen unter www.correctiv.org