Merken

Überfordert und gemobbt

Immer mehr Mädchen und Jungen schwänzen im Landkreis Meißen. Manche Lernunlustige landen deshalb vor Gericht.

Teilen
Folgen
NEU!
© Symbolbild/Klaus-Dieter Brühl

Von Catharina Karlshaus

Großenhain. Am Montagvormittag war es wieder mal so weit. Amtsgerichtsdirektor Herbert Zapf hatte wieder mal eine von ihnen vor sich sitzen: Ein zwölf Jahre altes Mädchen mit klangvollem Doppelnamen begleitet von ihren akademisch gebildeten und beruflich durchaus erfolgreichen Eltern. Seit dem Jahresende verbleibt die junge Dame nun schon lieber in den eigenen vier Wänden, als sich ins Klassenzimmer ihrer gymnasialen Schule zu hocken. Ein neuerlicher Versuch in einer anderen Schule wurde vor ein paar Wochen bereits nach nur zwei Tagen beendet. Auch dieses Gymnasium sage ihrer Tochter nicht zu, so die Eltern, welche am Ende der Verhandlung mit einem Bußgeld von 150 Euro belegt werden. „Ich habe ihnen eindringlich vor Augen geführt, was ihre Billigung letztlich für ihr Kind bedeuten wird“, bekennt Zapf.

Scheinbar verständnisvolle Entscheidungen zugunsten des Nachwuchses, die in der Region längst keinen Einzelfall mehr darstellten. Nicht nur, dass sich Eltern – wie jüngst von der Sächsischen Zeitung berichtet – dafür entschieden, ihre Kinder als sogenannte Freilerner selbst zu unterrichten. Andere würden stillschweigend in Kauf nehmen, dass ihr Mädchen oder der Junge nicht mehr zur Schule geht. Ganz ohne jegliche Wissensvermittlung.

Allerdings: Im Gespräch ergebe sich dann häufig, dass es oft nicht nur Null-Bock-Stimmung sei, die zum Schwänzen führe. Manche Jugendlichen fühlten sich an der jeweiligen Bildungseinrichtung schlicht vom schulischen Pensum überfordert. Andere würden von Mitschülern gemobbt oder leiden aufgrund der ständigen Drucksituation unter gesundheitlichen Problemen. „Allerdings muss man deutlich sagen, dass das nicht immer so ist! Manche haben wirklich nur keine Lust“, weiß Herbert Zapf. Dass im Gegensatz zu anderen strafrechtlichen Delikten im Bereich Schulschwänzen das weibliche Geschlecht statistisch vorn dran ist, will der Riesaer Amtsgerichtsdirektor nicht verschweigen. Auch nicht jene Episode, die ihm noch heute deutlich in Erinnerung ist: „In die Verhandlung kamen mal Mutter und Tochter, beide auf sehr hohen Schuhen. Sie bauten sich vor mir auf und sagten gleich zu Beginn: Schauen Sie uns an! Wir sind nicht für die Schule gemacht!“

Ein vermeintlicher Schenkelklopfer, der freilich nicht vom tatsächlichen Problem ablenken soll. Allein im Landkreis Meißen ist die Zahl der Lernunwilligen seit 2011 gestiegen. Gab es damals laut Alexander Strelec vom Kreisordnungsamt lediglich 97 Verfahren wegen unentschuldigter Abwesenheit, sind es 2015 bereits 204 gewesen. „Im Jahr 2016 wurden 162 Ordnungswidrigkeitsverfahren bearbeitet. In 86 Fällen sind Bußgeldverfahren durchgeführt worden.“

Immerhin: Wer schwänzt, verstößt gegen die allgemeine Schulpflicht. Die gilt in Sachsen für alle Kinder, die bis zum 30. Juni eines Jahres das sechste Lebensjahr vollenden. Neun Jahre müssen sie dann den Unterricht der Primar- und Sekundarstufe besuchen. Wer nach der 9. Klasse die Schule verlässt, hat noch weitere drei Jahre Berufsschulpflicht. Nach dem sächsischen Schulgesetz ist es eine Ordnungswidrigkeit, nicht am Unterricht und an den übrigen als verbindlich erklärten schulischen Veranstaltungen teilzunehmen. Ein Verfahren werde eingeleitet, wenn ein Schüler fünf und mehr Tage in einem Schulhalbjahr unentschuldigt fehlt.Im Landkreis Meißen, so Alexander Strelec, würden von den Schulen überwiegend Verstöße als sogenannte Ordnungswidrigkeit angezeigt. Im Fokus stünden hierbei die unentschuldigten Fehlzeiten, die im Rahmen eines Ordnungswidrigkeitsverfahren mit einem Verwarnungsgeld bis 55 Euro belegt werden. Schließlich drohen Bußgelder gar bis zu 1 250 Euro.

Wer überhaupt nicht einsichtig ist, macht im Zweifelsfall persönliche Bekanntschaft mit Herbert Zapf. „In aller Regel werden bei Gericht Bußgelder umgewandelt, mit Stundensätzen von fünf Euro. Die können die Jugendlichen dann als gemeinnützige Arbeitsstunden ableisten“, erklärt der Jurist. Nicht jeder der Mädchen und Jungen – häufig notorische Schwänzer – würde indes davon Gebrauch machen. Mehrere rückten im Jahr stattdessen in den siebentägigen Arrest nach Dresden ins Gefängnis ein. Für welche Entwicklung sich das Mädchen mit dem klangvollen Doppelnamen entscheidet, bleibt abzuwarten.