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Tschüss, Frau Doktor

Elisabeth Gnoykes Berufswunsch erfüllte sich auf Umwegen. 34 Jahre war sie Ärztin in Heidenau. Nun packt sie Kisten.

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© Norbert Millauer

Von Heike Sabel

Heidenau. Wann ist Januar? Fast täglich fragen die drei Enkel von Elisabeth Gnoyke das. Andere Kinder fragen nach Weihnachten. Für ihre Enkel ist ab Januar gewissermaßen jeden Tag Weihnachten. Dann nämlich arbeitet die Oma nicht mehr. Elisabeth Gnoyke hat die Übergabe ihrer Praxis lange vorbereitet. Vor zwei, drei Jahren hatte sie das mit sich abgemacht. Das gab ihr Zeit und Gelassenheit. Wenn die Arbeit zur Last wird, ist es zu spät. Ein Anruf und ein Angebot halfen ihr dabei. Ihre Nachfolgerin hat sie gefunden. Die junge Frau rief sie an, fragte, ob sie bei ihr die Facharztausbildung machen kann. „Ein Glücksfall“, sagt Elisabeth Gnoyke. Viele andere Hausärzte erleben es anders.

Am 21. Dezember ist ihr letzter Sprechtag, am Freitag macht sie ihre letzte Abrechnung. Zwischen Weihnachten und Silvester und zu Jahresbeginn wird die Technik erneuert, um- und ausgeräumt. Die Sprechzimmereinrichtung bleibt vorerst. Je nachdem wie die Handwerker fertig werden, wird wieder geöffnet.

Auf dem Waschbecken steht ein Alpenveilchen, darunter steht eine Kiste mit Geschenken. Es ist schon die dritte. Geschenke von den Patienten, genau wie das Alpenveilchen. Viele kommen noch einmal extra mit einem Dankeschön vorbei.

1983 begann Elisabeth Gnoyke in der Heidenauer Poliklinik, 1991 ließ sie sich privat nieder. Es war ihre Antwort auf die neue Freiheit. Eine Fügung und ihr Weg, wie sie sagt. Zu dem gehören auch Umwege. Die Oberschule blieb ihr als Christin verwehrt. Sie wurde auf eine Spezialschule nach Dresden geschickt, wo sie im letzten Jahrgang Abitur mit Beruf machte. So wurde sie Krankenschwester. Ein erster Schritt auf dem Weg zur Ärztin.

Doch trotz Bestnoten war das Medizin-Studium nicht möglich. Sie bewarb sich für die Theologie, wurde auch angenommen, begann aber nicht. Sie blieb ihrem Traum von der Medizin treu. Sie ging ins Pirnaer Krankenhaus, wurde Fachschwester, später in Dresden Oberschwester. Der Chefarzt dort schrieb ihr eine Delegierung zum Studium. Dafür sollte sie sich nun aber erst noch ein Jahr „gesellschaftspolitisch“ bewähren. Sie hatte Glück, durfte in der Ausbildung arbeiten. Über das Studium in Berlin und Dresden kam sie dann schließlich zurück nach Heidenau, erst ans Krankenhaus, dann in die Poliklinik. „Es hat sich alles gefügt und gepasst“, sagt sie heute. „Der Weg war mühsam, aber nicht schlecht.“ Nach der Wende standen die Parteien bei ihr vor der Tür, wollten sie fürs Mitmachen, als Stadträtin gewinnen. Elisabeth Gnoyke ist ein politischer Mensch, aber keiner, der hinter einer Fahne herläuft. Sie hat sich gesundheitspolitisch engagiert, hat manches bewegt, und oft den Leuten erklären müssen, was die Politik entschied. Sie hat den Ärztestammtisch in der Region geleitet und ist froh, dass er weitergeführt wird. Auch den Chor der singenden Ärzte initiierte sie. Der hatte diese Woche seinen letzten Auftritt auf Gut Gamig.

Was ist das Beste



Elisabeth Gnoyke ist nicht traurig. Es hat eben alles seine Zeit. Und nun ist eben für manches mehr Zeit. Für das Singen und die Kirche. Für das Singen in der Pirnaer Kantorei hat sie in all den Jahren Zeit gefunden. Vor der Sanierung der Heidenauer Christuskirche hat sie die Reihe „Kultur in der Kirche“ organisiert. Danach wird sie sich auch wieder einbringen. Elisabeth Gnoyke wird in kein Loch fallen, wenn sie die Praxis nicht mehr hat. Ihr wird es nicht so gehen wie einem Kollegen, der mal sagte: Warte nur ab, wie es ist, wenn Du niemand mehr bist. „Eigentlich war der arm.“ Es ist wohl das, was man heute Empathie oder soziale Kompetenz nennt. Von Ärzten verlangt man sie. Doch manchmal verstehen unterschiedliche Menschen unterschiedliches darunter. Wenn zum Beispiel die Kinder sterbenskranker Menschen bei ihr sitzen und das Beste für ihre Eltern wollen. Künstliche Ernährung und Beatmung ist aber nicht immer das Beste. Dann richtige und ruhige Worte zu finden, das bringt die Erfahrung.

Krankenschwester Marlies Rosenberg nennt Elisabeth Gnoyke „die Frau Doktor“. Sie kennen sich seit Pirnaer Krankenhaus-Zeiten. „Die Frau Doktor“ habe sie dann Mitte der 1990er-Jahre wieder gefunden und gleich behalten. Marlies Rosenberg, die anderen Schwester und „Frau Doktor“ sind das, was man eine Familie nennt. Gemeinsam waren sie unter anderem in Paris und Amsterdam. Die Schwestern standen hinter ihr, als sie ihre Eltern pflegte, als ihr Mann starb. Sie stellt sich vor ihre Mitarbeiterinnen, wenn es eng wird und umarmt sie auch mal. Nun liegt ein bisschen Ungewissheit über die Zukunft im Raum. Klar, sind die Schwestern übernommen worden, aber man weiß ja nie. Elisabeth Gnoyke muntert sie auf: Am Freitag trinken wir noch einen Sekt. Und dann? „Tschüß und auf Wiedersehen.“ Elisabeth Gnoyke muss sich beeilen. „Meine kleine Maus abholen“, sagt sie. Und wieder ist der Januar einen Tag näher.