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Top Ten der Dresdner Forschung

Entdeckungen, Erfindungen, Preise und jede Menge neues Wissen – unsere Wissenschaftsredaktion hat alle Artikel des vergangenen Jahres gesichtet und stellt noch einmal die zehn spannendsten Forschungsthemen vor.

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© Ansgar Pudenz/Deutscher Zukunftspreis

Von Stephan Schön, Frank Essegern und Jana Mundus

1 Carbonbeton sieht schön aus, macht schlank, und schont die Umwelt.

25 Jahre hat das gedauert und ist noch nicht zu Ende. Forschung von der Faser bis zum Bauwerk. Der Dresdner Textilbeton mit Carbonfasern im Innern bekommt den Deutschen Zukunftspreis. Und jetzt, da sind sich die drei Wissenschaftler an der Spitze des Projekts ganz sicher, jetzt geht es erst so richtig los. Mit den Zulassungen und mit den Anwendungen. Mit dem Bauen also, das sie mit ihren Teams neu erfunden haben.

Carbonbeton ist Hightech im Bauwesen. Der Stahl wird dabei durch Textil ersetzt. Die so häufige Kritik an Finanzministern, sie würden zu wenig in Forschung, zu viel in Beton investieren, wird nun zur Belobigung. Und die Beschimpfung als Betonkopf bekommt einen neuen Sinn. Eine Revolution im Bauwesen soll der Carbonbeton auslösen, aber offenbar nur gaaanz, gaaanz langsam. Das Bauwesen sei halt eine eher konservative Branche, sagt Manfred Curbach, Institutsdirektor für Massivbau an der TU Dresden. Er weiß, wie schwierig das noch wird, findet das aber prinzipiell schon ganz gut. Schließlich sollen die Bauwerke ja mindestens so sicher sein wie mit Stahlbeton bisher. So müssen die Wissenschaftler nach wie vor auf Biegen und Brechen im Labor testen, was das neue Baumaterial so aushält. – Genug jedenfalls, um seit 2014 schon die erste allgemeine bauaufsichtliche Zulassung zu bekommen. Textilbeton kann sich zwar vieles nennen, die Qualitätskriterien dafür erfüllt Tudalit, die Marke aus Dresden. An der Schwelle zur Anwendung, mit einer Beton-Einsparung von bis zu 80 Prozent, hat das die Jury vom Zukunftspreis überzeugt.

Mit so viel Aufmerksamkeit sollte der wirtschaftliche Erfolg nun beginnen, glaubt auch Chokri Cherif. Er leitet das Textil-Institut ITM an der TU. Dort laufen neue Fasern aus Carbon über riesige Textilmaschinen. Diese Fasern und Fäden machen es dann möglich, den Stahl im Beton zu ersetzen. Sie verschlanken die viele Zentimeter dicken Platten auf ganz wenige Millimeter. Peter Offermann, eigentlich längst im Ruhestand, ist in Sachen Carbonbeton bis heute unterwegs. Er hatte Mitte der 90er-Jahre die entscheidenden Ideen. Damals, als die meisten seiner Kollegen Textil im Beton für völlig verrückt hielten. Heute ist Peter Offermann Vorsitzender des Tudalit-Verbandes, in dem sich die Forschung mit Firmen der Textilindustrie und aus dem Bauwesen bundesweit zusammengetan hat. Noch mehr bundesweite Kompetenz hat die Dresdner Uni in ihrem C³-Forschungsverbund versammelt. Dessen 150 Mitglieder bringen bis 2020 den Carbonbeton zur Massenanwendung, so das Ziel. Vom Bundesforschungsministerium gibt es dafür bis zu 50 Millionen Euro. Viele weitere Millionen kommen von der Industrie. Das macht den Beton schön, schlank und besser verträglich für die Umwelt.

2 Eine molekulare Aids-Schere im Labor

Erstmals gelingt die Vernichtung des tödlichen Aids-Virus. Kliniktests sind bereits in Vorbereitung. Wissenschaftlern der TU Dresden und des Hamburger Heinrich-Pette-Instituts ist es erstmals gelungen, HIV in lebenden menschlichen Zellen vollständig zu vernichten. In einem der Top-Wissenschaftsjournale, in Nature Biotechnology, berichten die Forscher darüber. Sie machen menschliche Zellen im Labor wieder frei von dem tödlichen Virus. Sie arbeiten dabei mit Blutproben von Aids-Patienten. Während alle bisherigen Therapien nur an den Symptomen ansetzen, bestenfalls den Status der Erkrankung oder den Ausbruch aufhalten können, greift die neue Methode direkt die genetischen Ursachen an. Die Viren werden aus den befallenen Zellen entfernt, ja geradezu herausgeschnitten. Möglich wird dies durch „genetische Chirurgie“, sagt Frank Buchholz. Er ist Professor für Systembiologie an der TU Dresden und forscht mit seiner Gruppe seit gut zehn Jahren an diesem Thema. Was anfangs von Experten nicht oder fast nicht für möglich gehalten wurde, ist ihm dennoch gelungen.

3 Die genaueste 3-D-Karte derMilchstraße entsteht

Seit mehr als zwei Jahren vermisst die europäische Raumsonde Gaia unsere Galaxie mit unglaublicher Präzision. Entstehen soll bei der auf fünf Jahre angelegten Mission die bislang detaillierteste 3-D-Karte der Milchstraße. Schon die im September veröffentlichten Daten werden in der gesamten Astronomie als revolutionär angesehen, berichtet Sergei Klioner, Astronomie-Professor an der TU Dresden. Er gehört zum wissenschaftlichen Leitungsteam der Gaia-Mission. Dass aus Positionen und Helligkeitsdaten von mehr als einer Milliarde Sternen die bisher umfangreichste Himmelskarte entsteht, ist maßgeblich den Berechnungen der Dresdner Astronomen zu verdanken: Sie sind unter anderem dafür zuständig, dass sich bei der kosmischen Volkszählung keine systematischen Fehler einschleichen, testen anhand der Gaia-Daten fundamentale physikalische Gesetze und überwachen die Atomuhr des Satelliten.

4 Die Stimme 2.0 spricht

Sie redet mit der Hilfe von Elektronik. Ein Forscherteam der TU Dresden entwickelte ein weltweit einzigartiges System, das künstliche Sprache auf natürliche Art erzeugt. Dafür sind nur Lippenbewegungen notwendig. Versteckt wird das Ganze in einer Art Zahnspange. In ihr befinden sich winzige Messgeräte. Bei jedem lautlosen Formulieren der Wörter vermessen sie in Windeseile die Mundhöhle immer wieder neu. Eine Spezialsoftware übersetzt die digitalen Daten der Mundhöhle in Buchstaben und bildet daraus gesprochene Wörter. Hörbar macht sie ein kleiner Sprachsynthesizer, ein Lautsprecher, der an einem Band um den Hals getragen wird. Mit der Technik aus Dresden ist stimmloses Telefonieren in Zukunft möglich. Das System hilft außerdem Erkrankten mit Stimmproblemen, wie Patienten mit Kehlkopfkrebs.

5 Der Axolotl gibt sein Geheimnis preis

Der Querzahnmolch Ambystoma mexicanum – bekannt als Axolotl – besitzt erstaunliche Selbstheilungskräfte: Er ist in der Lage, ganze Gliedmaßen nach Verletzungen voll funktionsfähig wiederherzustellen. Einem Forscherteam um Prof. Elly Tanaka vom DFG-Forschungszentrum für Regenerative Therapien Dresden (CRTD) ist nun ein Durchbruch bei der Aufklärung seines Regenerationsgeheimnisses geglückt. Die Wissenschaftler haben ein Schlüsselmolekül gefunden, das den Prozess in Gang setzt: das sogenannte Marcks-like Protein (MLP). Jetzt können sie untersuchen, ob und wie dieses Molekül auch beim Menschen die Zellteilung anregen kann. Die Dresdner verbinden damit die Hoffnung auf neue Therapieansätze, etwa für die Neubildung von Gewebe von Gliedmaßen im Falle einer Amputation.

6 Die ersten Ackerbauern Sachsens

Sensationelle Überraschungen bringen Archäologen aus sächsischen Tagebaugebieten mit. In 7 200 Jahre alten Brunnenschächten finden sie immer mehr Alltagsgegenstände. Die Lebensweise der Steinzeitmenschen, der ersten sächsischen Siedler, Ackerbauern und Viehzüchter, wird so erkennbar. Die Brunnen waren offenbar auch spirituelle Orte. Darin liegen große Mengen Mohnpflanzen und Bilsenkraut. Wird Bilsenkraut getrocknet, verbrannt und der Rauch eingeatmet, führt das zu starken Rauschzuständen. Der Saft des Schlafmohns ist indes Grundstoff für Opium. Die Menschen damals saßen dann wohl am Brunnen und kifften. Kiffen geht auf das arabische Wort „kaif“ zurück. Und von dort, vom Nahen Osten, haben die ersten Siedler nicht nur Mohn, sondern vor allem den Ackerbau, mehrere Getreidearten und die Urformen der Haustiere wie Ziege und Rind mitgebracht.

7 Ein Bio-Rechner

Erstmals bauen Wissenschaftler einen biologischen Rechner, der sogenannte kombinatorische Probleme effektiver lösen kann als bisherige Systeme. Forscher der TU Dresden sowie des Max-Planck-Instituts für Molekulare Zellbiologie und Genetik nutzen dafür Bestandteile von lebenden Zellen. Während ein normaler Computer eine Aufgabe nach der anderen abarbeitet, kann der Dresdner Bio-Rechner parallel an den Aufgaben arbeiten, erläutert Stefan Diez, TU-Professor für Bio-Nano-Werkzeuge. Der Bio-Chip braucht etwa 1 000-mal weniger Energie als herkömmliche Chips.

8 Die Partnerwahl bestimmt die Nase mit

Ob sich Paare gut riechen können, fanden Wissenschaftler um TU-Professor Thomas Hummel heraus. Erstmals wiesen sie nach, wie sich das eigene Immunsystem auf die Partnerwahl auswirkt. Über einen nicht wahrnehmbaren Bestandteil des Körpergeruchs erkennt der Geruchssinn den am besten zum eigenen Körper passenden Partner. Ein wichtiger Teil des Immunsystems, HLA-System genannt, fügt dem Körpergeruch eigene molekulare Bausteine hinzu. Diese Biomoleküle sind selbst bei noch so intensivem und bewusstem Riechen nicht erkennbar. Sie wirken unabhängig vom Bewusstsein. 250 Paare wurden genetisch analysiert, ihre Unterschiede im Immunsystem erfasst. Paare, deren Immunsystem sich sehr unterscheidet, fanden den Körpergeruch des Partners deutlich angenehmer. Sie sind zufriedener mit ihrer Sexualität und auch der Partnerschaft. Und sie wollen mit diesem Partner häufiger Kinder haben.

9 Den Burn-out enträtseln

Warum sind die Akkus leer? Warum brechen gesunde Menschen plötzlich zusammen? Dieser Frage gehen Forscher der TU Dresden seit dem vergangenen Jahr nach. Sie wollen die Ursachen von Burnout entschlüsseln, einer immer noch unverstandenen Krankheit. Bei der weltweit größten Studie zu diesem Thema werden in zwölf Jahren Daten von 10 000 gesunden und erkrankten Menschen aus Dresden, Deutschland und der ganzen Welt gesammelt: Blutwerte, Hormonbilanzen und Informationen zu Erkrankungen. Auch Fragebögen zur Lebenssituation beantworten die Teilnehmer. Genetiker suchen nach Veränderungen im Erbgut. Chemiker, Physiker, Informatiker, Biologen, Mediziner, Psychologen – sie alle sind gefragt. Unmengen an Daten werden dann in einen Super-Computer gepackt und auf Zusammenhänge geprüft. Das macht die Burnout-Studie einmalig.

10 Die geheimen Patente der Zellen erkunden

Es geht um die Grundlagen für künstliche Organe. Was passiert im Lebewesen, in all seinen Zellen? Und wie arbeiten diese Zellen millionenfach in Organen so koordiniert zusammen? Frank Jülicher, Direktor des Max-Planck-Instituts für Physik komplexer Systeme in Dresden, findet darauf als Physiker Antworten, die Biologen nicht geben können. Dafür bekommt der 51-Jährige nun die wichtigste Auszeichnung für Grundlagenforscher, den Leibniz-Preis. 2,5 Millionen Euro stehen ihm damit in den kommenden sieben Jahren zur freien Verfügung. Dass das Leben in jeder einzelnen Zelle so existiert, hat seine Ursachen in der Mechanik, der Elektrik, in den Strömungen und Kräften. Winzige Motoren, nur wenige Moleküle groß, schleppen in jede einzelne Zelle die lebenswichtigen Stoffe herein. Sie schaffen auch den Abfall nach draußen. Leben funktioniert also nach den Regeln der Physik. Systembiologie nennt sich das.