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Tief im Westen – tief im Osten

Der neue Redakteur der SZ in Löbau kommt von der holländischen Grenze. Für seine neue Umgebung hat er nur eines übrig: eine Liebeserklärung zum Tag der Oberlausitz.

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© Markus van Appeldorn

Von Markus van Appeldorn

Liebe Leser, ich bin’s. Der Neue. Gestatten Sie, dass ich mich kurz vorstelle. Ich heiße Markus van Appeldorn. Und mein Name ist so niederrheinisch wie meine Herkunft. Der Niederrhein, das ist da, wo Deutschland aufhört und Holland anfängt. Deutschlands äußerster Westen. Und nun bin ich also hier. Dort, wo Deutschland aufhört und Polen anfängt. Und Tschechien. Deutschlands äußerster Osten. Das eine kann ich Ihnen sagen, liebe Oberlausitzer: Wenn man vom Niederrhein geprägt ist und dort sozialisiert wurde, dann ist man so dermaßen Wessi – mehr geht nicht.

Markus van Appeldorn arbeitet seit dem 1. Juli in der Redaktion Löbau der Sächsischen Zeitung. Der 49-Jährige aus Kleve am Niederrhein war zuvor viele Jahre als Redakteur bei „Bild“.
Markus van Appeldorn arbeitet seit dem 1. Juli in der Redaktion Löbau der Sächsischen Zeitung. Der 49-Jährige aus Kleve am Niederrhein war zuvor viele Jahre als Redakteur bei „Bild“. © thomas ichler

Stefan Pragers Impressionen von der Oberlausitz

Das Haus Schminke in Löbau ist eine wichtige deutschen Architekturschöpfungen der Zwischenkriegszeit. Heute wird als Museum genutzt.
Das Haus Schminke in Löbau ist eine wichtige deutschen Architekturschöpfungen der Zwischenkriegszeit. Heute wird als Museum genutzt.
Der Kornmarkt in Bautzen bei Nacht
Der Kornmarkt in Bautzen bei Nacht
Asiatische Touristen betrachten das Görlitzer Rathaus am Untermarkt. Vom schlechten Wetter lassen sich die Touristen nicht beeindrucken.
Asiatische Touristen betrachten das Görlitzer Rathaus am Untermarkt. Vom schlechten Wetter lassen sich die Touristen nicht beeindrucken.
Blick über die Grenze: Zgorzelec, die polnische Nachbarstadt von Görlitz, von der Neiße aus gesehen
Blick über die Grenze: Zgorzelec, die polnische Nachbarstadt von Görlitz, von der Neiße aus gesehen
Ein weiterer Blick auf Zgorzelec, im Hintergrund links die Dreiradenmühle an der Lausitzer Neiße
Ein weiterer Blick auf Zgorzelec, im Hintergrund links die Dreiradenmühle an der Lausitzer Neiße
Auch das barocke Schloss Oberlichtenau in Pulsnitz zog den Fotografen in seinen Bann.
Auch das barocke Schloss Oberlichtenau in Pulsnitz zog den Fotografen in seinen Bann.
Dieses Kruzifix steht auf einem Feld bei Neu-Lauske, einer Siedlung im Zentrum des Landkreises Bautzen in Ostsachsen
Dieses Kruzifix steht auf einem Feld bei Neu-Lauske, einer Siedlung im Zentrum des Landkreises Bautzen in Ostsachsen
Eine Radtour durch die Oberlausitz lohnt jederzeit. So war auch Stefan Prager aus München hier unterwegs.
Eine Radtour durch die Oberlausitz lohnt jederzeit. So war auch Stefan Prager aus München hier unterwegs.

Aber da fängt’s ja schon an: Wessi - Ossi. Sind das wirklich Kriterien, mit denen wir messen sollten? Haben Sie jemals gehört, dass jemand Nordi oder Südi sagt, weil zwischen Sylt und Berchtesgaden Mentalitätsunterschiede herrschen? Na Gott sei Dank, sag ich. Das ist Vielfalt. Trennt uns das? Bitte nicht.

Als ich beschloss, ich mach das jetzt mit dem Osten, haben viele meiner Freunde am Niederrhein die Augen verdreht: „Nach Sachsen? Das ist ja am Arsch der Welt. Und da wohnen doch bloß ...“ Lassen wir das. Ich habe geantwortet: „Zugegeben, es ist von überall weit weg, außer von Polen. Aber wisst ihr was? Nix wisst ihr! Besucht die Oberlausitz und ihr werdet verrückt vor Schönheit.“ Ich sauge diese Schönheit auf und atme sie ein. Täglich.

In den paar Wochen, die ich jetzt hier lebe, ist es schon vorgekommen, dass ich für eine Fahrt von Löbau nach Görlitz zwei Stunden gebraucht habe. Und das lag weiß Gott nicht an irgendwelchen Baustellen oder Umleitungen. Ich musste einfach alle paar Minuten irgendwo rechts ranfahren, weil ich wieder ein traumhaftes Fotomotiv entdeckt hatte. Eine Landschaft, ein wunderschönes historisches Haus oder Gehöft, eine Szene mit Menschen der Oberlausitz. Ich habe noch nie meinen Facebook-Account so vollgeknallt mit Fotos und Beschreibungen. Bilder aus dem unvergleichlich schönen Görlitz, dem charmanten Löbau, dem stolzen Zittau, dem zauberhaften Obercunnersdorf. Die Straßen, die wie Himmelsleitern im Auf und Ab über die Berge führen. Landmarken wie Ameisenhügel zwischen Wäldern und strohgelb leuchtenden Feldern. Diese Eindrücke will ich mit allen teilen, die ich kenne.

Teilen macht glücklich. Und teilen hilft, Vorurteile abzubauen. Ein Freund von mir, ein Fotograf, war so begeistert von meinen Posts, dass er sich gleich in den Flixbus von München nach Görlitz setzte. Mit seinem Fahrrad tourte Stefan bis vor ein paar Tagen durch die Oberlausitz und stellte seine Fotos täglich auf Facebook. Und ich weiß, das wird noch mehr Menschen für die Oberlausitz begeistern. Ich überlege derzeit, ob ich eine Honorarnote an das Oberlausitzer Tourismus-Büro schicken sollte.

Natürlich, Schönheit ist das eine. Aber man kann auch in Schönheit sterben. Und viele Menschen hier hätten sicher nicht nur gerne eine zauberhafte Landschaft, sondern auch noch einen Job dazu, der sie und ihre Familien ordentlich ernährt. Ich bin da überhaupt nicht romantisch verklärt. Ich weiß aber, dass Glück auch etwas mit der eigenen Lebenseinstellung zu tun hat. Ich habe neulich einen großartigen Menschen getroffen. Jens aus Zittau ist mehr so das Gegenteil von beruflich gefestigt. Und obwohl ihn niemand kennt, ist er so ziemlich der bekannteste Löbauer. Jens steckt unter dem Maskottchen Friedrich, das als große Plüschversion des Gusseisernen Turms für Löbau wirbt. Als Friedrich sucht Jens den Kontakt mit den Menschen und will sie für die Oberlausitz begeistern. Er sagte mir: „Ich wohne nicht am Arsch der Welt. Ich wohne im Herzen von Europa. Hier, wo die Menschen im Dreiländereck wirklich zusammenwachsen.“ Jens ist kein Politiker, der schwafelt. Kein Intellektueller, der die Welt erklären möchte. Jens ist einfach ein guter Typ mit Herz.

Und Menschen mit Herz treffe ich so viele hier in der Oberlausitz. Neulich erst musste ich auf dem Weg nach Görlitz in Königshain eine gute halbe Stunde im Seitenstreifen warten. Eine nicht enden wollende Karawane von Mopeds brauchte die Straße für sich. Ehrlich, ich fand zum Beispiel den Trabant immer so Kacke wie den VW-Käfer. Ich fahre so ’nen alten Raumgleiter mit Stern und Achtzylinder. Aber wenn ich eure Trabi- und Simson-Stinker-Treffen sehe, dann geht mir trotzdem das Herz auf. Ich lache euch nicht aus. Ich lache euch an. Weil ich weiß, dass es für viele von euch eben Kulturgut ist. Und ein Stück Identität. Identität ist wichtig. Nur wer sich seiner eigenen Herkunft und Identität bewusst ist, dazu steht und das lebt, kann andere Menschen, Bräuche und Kulturen verstehen. Ich sehe, dass auch ganz viele junge Burschen und Mädels mit wachsender Begeisterung auf diesen Dingern rumknattern. „Vintage“ heißt das ja auf Neudeutsch und liegt voll im Trend. Ich finde das insofern gut, weil es diese Traditionspflege auch aus der Ecke der Trotzreaktion von der Sorte „Wir waren auch mal wer“ herausholt. Denn Tradition, das ist nicht die Anbetung der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers.

Ich finde die Menschen in der Oberlausitz auch so großartig, weil sie es verstehen, ihre Heimat in Besitz zu nehmen, ihre Kultur förmlich mit Händen zu greifen. Kleine Dörfer stemmen ganze Festwochen aus Anlass ihres 700. Geburtstages. Da gibt’s Umzüge mit Dutzenden Bildern und ein riesiges Rahmenprogramm. Das funktioniert nur, weil alle zusammen tun. Das ist gelebte Kultur.

Wollt ihr mal ein Gegenbeispiel hören? Meine Heimatstadt Kleve am Niederrhein feiert auch in diesem Jahr Geburtstag. Den 775. Wisst ihr, wie der Stadtgeburtstag im Wesentlichen aussah? Eine Pommesbude und eine Hüpfburg für die Kinder auf Kleves prominentestem Platz. Und eine Feierstunde für geladene Gäste und Festreden von Bürgermeister, Landrat ... – soll ich weitermachen? Nicht mal der sich gleichzeitig zum 50. mal jährende Brückenschlag über den Rhein – ein infrastrukturell epochales Ereignis der Stadtgeschichte – war ein Grund für eine besondere Feier. Ich mache jetzt meine Heimat vielleicht ein bisschen schlechter, als sie in Wahrheit ist. Natürlich liebe ich den Niederrhein. Ich wollte damit nur sagen: Ihr ergreift Besitz von euren Traditionen. Eurer Geschichte. Euren Werten. Das ist stark! Und lasst euch bloß von niemandem erzählen, das sei provinziell. Mit der Heimat im Herzen kann man große Dinge vollbringen.

Und ja, dann gibt es noch eines, was mich stört. Ich liebe das schöne sächsische Wort „Fettbemme“ – aber nicht, wie ihr sie macht. Das könnt ihr irgendwie nicht. Ich habe jetzt wirklich schon in vielen Fleischereien welche gekauft. „Dünn schneiden, dick belegen bitte“, sage ich immer. Und bekomme überall – wirklich überall – die Antwort: „Das geht so nicht, die haben ja ihren Preis.“ Ich sage dann stets, dass mir der Preis egal sei und ich für die Wursteinwaage zahle, so viel es eben kostet. Und den ganzen Firlefanz mit Salatblättchen will ich nicht. „Das geht so nicht“, heißt es dann wieder. Ich bekomme dann immer – wirklich immer – ein Brötchen, aus dem beim ersten Bissen fingerdick die Margarine hervorquillt. Liebe Oberlausitzer Fettbemmen-Verkäufer: Das geht so nicht!