Von Ina Förster
Kamenz. Braucht man aktuell einen schnellen Termin bei der Logopädie Sachs & Scholze in Kamenz, hat man schlechte Karten. „Wir sind bereits im November im Bestellbuch“, schüttelt Jaqueline Sachs mit dem Kopf. Illusorisch sei so ein Ansinnen. Dabei werden gerade jetzt kurz vor dem Schuljahreswechsel sehr viele künftige Schulanfänger überwiesen. Bei dem einen hapert es nur am S-Laut. Andere haben größere Sprachstörungen. Oft fallen die Defizite erst bei den Einschulungstests auf. „Das ist meistens schon sehr spät. Und die Eltern geraten in Stress“, sagt die Logopädin. Sie und ihre Kollegen können den Unmut ausbaden. Nicht immer verstehen Mama und Papa, warum eine Behandlung trotzdem warten muss.
Grund für die lange Liste ist einfach der Fachkräftemangel. Immer weniger Logopäden stoßen in der Branche dazu. Die Ausbildung über drei Jahre muss in Privatschulen selber finanziert werden. „Wer da durchhält, geht meistens schon mit Schulden in den Arbeitsalltag. Oder man braucht ein starkes Elternhaus im Hintergrund, das das Ganze mitfinanziert“, weiß die Logopädin. Die ersten Einrichtungen schließen ihre entsprechenden Ausbildungsgänge bereits, weil es zu wenige Interessenten gibt. Dabei nimmt das Thema Logopädie gerade in den letzten Jahren immer mehr Fahrt auf.
Seit 20 Jahren arbeitet die 49-Jährige in ihrem Beruf. Die Praxis Sachs & Scholze findet man nicht nur in der Lessingstadt am Robert-Koch-Platz, sondern auch in Wittichenau und Lauta. Fünf Kolleginnen halten zusammen. Der ländliche Raum scheint also eigentlich gut abgedeckt. Es reicht aber hinten und vorn nicht. „Wir suchen seit Jahren neue Fachkräfte und finden einfach keine. Sofort würden wir jemanden mit Kusshand nehmen“, sagt auch Logopädin Romy Naumann. Sie ist trotz ihrer 31 Jahre ebenfalls schon ein alter Hase in der Branche. Sie liebt ihren Beruf, kennt aber auch seine Tücken. Hat man es bis in die Arbeitswelt geschafft, sieht man sich mit eher niedrigen Löhnen konfrontiert. Und Überstunden. Die meisten privaten Praxen können einfach nicht mehr zahlen. „Und wir liegen da schon über dem Maß der Dinge“, so Chefin Jaqueline Sachs. Wenn man ruhig schlafen will, wenn eine Praxis rentabel sein soll, müsse man über 20 Angestellte haben, damit es sich rentiert. Eher kleine Unternehmen fallen da hinten runter. Grund sind vor allem die schlechten Vergütungen durch die gesetzlichen Krankenkassen. Junge Therapeuten aus der Physio-, Ergo- und Logopädie werfen deshalb frühzeitig das Handtuch.
Altersarmut vor Augen
So wehren sich Therapeuten
1 799 Euro Brutto verdienen Therapeuten im Schnitt sachsenweit für ihre komplexen Spezialistentätigkeiten. Deutschlandweit liegt das mittlere Entgelt bei 2 377 Euro Brutto. Und die kürzliche Minimalanhebung der Vergütung der Krankenkasse ist weder geeignet, das Einkommensloch der vergangenen Jahre aufzufüllen, noch hilft sie den Therapeuten aus ihrer gegenwärtigen wirtschaftlichen Not. Sie ist damit auch weder geeignet noch in der Lage, die Gerechtigkeitslücke zwischen den tariflich abgesicherten Therapeuten in Krankenhäusern und anderen Instituten gegenüber den freiberuflich tätigen und ihren angestellten Therapeuten zu schließen. Was bleibt, ist eine große Versorgungslücke. „Durch den demografischen Wandel kommen immer mehr ältere Klienten zu uns. Sie suchen Hilfe nach Schlaganfällen, schweren Krankheiten oder bei eintretender Demenz“, sagt Jaqueline Sachs. Es sei ein Trugschluss, dass man nur mit Kindern zu tun hätte. Gerade den Älteren geht die Sprache verloren. Menschen leben statistisch länger. Damit nehmen die therapeutischen Bedürfnisse zu. Multimorbid nennt man das in der Fachsprache. Eigentlich können Therapeuten da helfen. Aber sie sind einfach am Limit – egal in welcher Branche. Finanziell und kräftetechnisch sieht es nicht rosig aus. 85 Prozent erwarten die Altersarmut. Kaum einer der Selbstständigen kann vorsorgen. Dazu kommt eine spürbare Ost-West-Differenz. Logopäden, Ergotherapeuten und zahlreiche Physiotherapeuten setzten sich deshalb nun zur Wehr. Und erheben ihre Stimmen öffentlich. Auch in der Region.
Allen voran Ergotherapeut Michael Schiewack, der kürzlich eine der großen Aktionen in Berlin mit organisierte (siehe Info-Kasten). „Solange man von der Krankenkasse für die stundenlange Erarbeitung eines Patientenberichtes 50 Cent bekommt, müssen wir weiterkämpfen“, sagt er. „Erstmals, seitdem ich in dem Beruf arbeite, bewegt sich etwas“, sagt Jaqueline Sachs begeistert. Ein kleiner Anfang, der wachsen kann. Und muss.