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Teambuilding ist mehr als zusammen Bootfahren

Auch im Fußball entscheiden der Kopf und das Miteinander. Der Einfluss von Sportpsychologen ist dennoch weiterhin begrenzt.

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© Robert Michael

Von Mathias Liebing

Fußballer stürzen sich wilde Bergbäche hinunter, sitzen in einem Boot, klettern oder üben sich als Rennfahrer. Die Bilder sind ebenso bekannt wie der Gedanke dahinter. Für ein leistungsförderndes Wir-Gefühl kann das aber zu wenig sein. „Gerade von Klassikern wie dem Floßbau oder dem Hochseilgarten haben erfahrene Bundesligaspieler langsam die Nase voll“, sagt Dr. René Paasch. Der Sportpsychologe, der beim VfL Bochum mit den Zweitliga-Profis und im Nachwuchs arbeitet, hat in den vergangenen Jahren beobachtet, wie inflationär solche Events geworden sind.

Ein gegenläufiger Trend kommt gegenwärtig aus der Wirtschaft, sagt er. „Moderne Unternehmen machen vor, dass es sich lohnt, in die Menschen zu investieren. Es hat einen Wert, dass sich die Mitarbeiter besser kennenlernen“, erklärt Paasch und sieht im Fußball die TSG Hoffenheim als Vorreiter: „Teambuilding ist hier ein Prozess, der die gesamte Saison über läuft.“

Team-Events wie etwa das Fahrsicherheitstraining von Werder Bremen im Trainingslager in Österreich seien dabei eine Möglichkeit. „Was als Auflockerung in der Vorbereitungsphase gemacht wird, ist relativ egal. Es geht ja nur darum, dass sich das Team kennenlernt und miteinander Zeit verbringt“, sagt Paasch. Deutlich spannender werde es in Konfliktphasen. Wenn es sportlich nicht läuft. Wenn sich Spieler auf die Nerven gehen. Oder wenn wie beim FC Schalke 04 der altgediente Kapitän Benedikt Höwedes aussortiert wird. „Gelingt es, die Auseinandersetzungen zu lösen, gibt sich die Mannschaft damit mehr oder weniger unbewusst Werte und Normen. Jeder weiß jetzt um seine Rolle in der Mannschaft und die wichtigen Führungspersönlichkeiten stehen fest“, meint der Experte.

Erst dann könne ein leistungsförderndes Wir-Gefühl entstehen wie bei den Kroaten bei der Fußball-WM. „Wie die Stars Modric und Rakitic in den Partien immer wieder den Kontakt zu ihren Mitspielern aufgebaut haben, war beeindruckend. Diese Mannschaft hat als echte Einheit funktioniert“, sagt Paasch.

Entscheidend sei, dass der Gestaltungsprozess eines Teams gesteuert werde, sagt der Sportpsychologe. Die Auswahl an konkreten Maßnahmen bleibt der Kreativität der Trainerstäbe und dem Zeitbudget überlassen. „Das können kleine Spiele in den Positionsgruppen sein. Übungen, die die Kommunikation fördern und das Nachdenken übereinander provozieren.“

Der Bochumer nennt eine Übung, bei der einem Spieler ein Zettel auf den Rücken geklebt wird. Dort schreiben die Mitspieler auf, was sie Positives über ihn sagen können. Paasch: „Auch gestandene Bundesliga-Kicker haben diese Zettel dann nicht selten die ganze Saison in ihrer Tasche.“

Im Gegensatz zu den Rafting-, Klettergarten- oder Paintball-Events der Sommerpause bleibt der fortlaufende Teambuildingprozess von der Öffentlichkeit in der Regel unbeobachtet. Bei Dynamo Dresden, wo Ex-Profi Sascha Lense in der Sommerpause als Sportpsychologe zurückgekehrt ist und nun offiziell zum Betreuerstab gehört, wird unter Interimstrainer Cristian Fiel wieder gemeinsam gefrühstückt. Das mag sich wie eine Lappalie anhören, erfüllt aber den Zweck. Die Spieler haben auch außerhalb der Mannschaftskabine miteinander zu tun und kommen ins Gespräch, idealerweise jeden Tag ein bisschen mehr.

Das ist tatsächlich die Herausforderung in der laufenden Saison. Denn bei vielen Vereinen endet die Förderung des Zusammenhalts mit dem Start der Pflichtspiele.

Oder das Problem mit dem fehlenden Teamgeist wird erst akut, wenn die Konfliktphase sprichwörtlich aus dem Ruder gelaufen ist. „Erlebnispädagogische Events sind über das Jahr verteilt wertvoller als vor der Saison, weil sich in der Kennenlernphase jeder von der besten Seite zeigt. Optimal ist es zudem erst dann, wenn die Maßnahmen ausgewertet werden und auch auf dem Platz sportpsychologisch gearbeitet wird“, sagt Paasch.

Der Experte nennt derzeit nur Hoffenheim, wo die Sportpsychologie ein akzeptiertes Arbeitsfeld sei und selbst in der Saison Zeit und Raum bekomme. Paasch: „Unter Julian Nagelsmann dürfen Experten periodisiert arbeiten und damit kommt auch das Teambuilding ganzjährig zum Tragen.“

Der Schlüssel sei der Trainer, der Wert auf Zwischenmenschlichkeit legen und zudem Kompetenzen an einen oder mehrere Sportpsychologen abgeben müsse. „Noch haben sie längst nicht das Standing wie Videoanalysten, Fitnesstrainer oder Physiotherapeuten. Das kann man ganz einfach auf den Mannschaftsfotos vor der Saison ablesen“, sagt Paasch. Diesbezüglich ist Dynamo Dresden also vorbildlich: Lense steht in zweiter Reihe, gleich neben Co-Trainer Matthias Lust. (mit SZ/-yer)