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Tausende Dresdner müssen Wohnungen verlassen

Die Stadt muss sich auf eine der größten Evakuierungsaktionen der letzten Jahrzehnte einstellen. Hektik ist dieses Mal allerdings nicht nötig.

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© Angermann Luftbildservice GmbH

Von Sandro Rahrisch

Gesehen hat sie bisher niemand. Allerdings lässt Polizeidirektor Stefan Dörner am Donnerstag durchblicken, dass er kaum Zweifel daran hat, dass da eine scharfe Fliegerbombe drei Meter tief unter der Erde im Ostragehege liegt. Dort, wo keine Menschenseele wohnt, möchte man im Hinblick auf eine Entschärfung erleichtert sagen. Doch so einfach ist die Sache nicht. Dresden muss sich auf eine der größten Evakuierungsaktionen der letzten Jahrzehnte einstellen. Größer als jene im Mai dieses Jahr, bei der etwa 9 000 Menschen ihre Wohnungen verlassen mussten. Am 23. Oktober – ein Dienstag – geht es los.

Wie viele Menschen werden ihre Wohnungen verlassen müssen?

Da die Sprengmeister nicht wissen, ob sie eine 250 Kilogramm oder eine 500 Kilogramm schwere Bombe entschärfen müssen, rechnen sie vorsichtshalber mit dem schlimmsten Szenario. „Wir haben einen 1 500 Meter großen Splitterradius festgelegt“, sagt Stefan Dörner. Wer darin wohnt, muss seine Wohnung während des Einsatzes verlassen. Die Stadt rechnet mit rund 15 700 Betroffenen. Der Bereich reicht bis zum Alberthafen und zum Ostra-Sportpark im Süden. Im Westen sind Teile Übigaus bis zur Washingtonstraße betroffen. Im Norden ragt der Evakuierungsbereich bis zur Lommatzscher Straße, im Osten bis zur Bürgerstraße. Acht Schulen sowie 23 Kitas, Horte und Tageseltern befinden sich in dem Radius. Diese bleiben am 23. Oktober geschlossen. Sowohl die Anwohner als auch die Eltern werden in den nächsten Tagen informiert.

Wo sollen Anwohner in dieser Zeit unterkommen?

Wer nicht weiß, wo er während der Entschärfung schlafen kann, dem stehen insgesamt vier Notunterkünfte zur Verfügung. Diese werden an diesem Freitag bekannt gegeben. Zwar ist der Plan, die Bombe tagsüber unschädlich zu machen. Die Löbtauer Bombe habe allerdings gezeigt, dass es auch länger dauern kann. Die Stadt rät deshalb, sich vorsichtshalber eine Bleibe auch für die Nacht zum 24. Oktober zu organisieren. Fragen werden ab 18. Oktober an einem Bürgertelefon beantwortet, das tagsüber – auch am Sonntag – erreichbar ist unter Tel. 4887666. Das Stadtbezirksamt Pieschen informiert zu den Öffnungszeiten.

Wohin sollen pflegebedürftige Menschen gehen?

Pflegeheime gibt es im Evakuierungsbereich nicht, aber pflegebedürftige Menschen. Angehörige werden gebeten, für die Zeit vom 22. bis zum 24. Oktober eine alternative Unterkunft zu organisieren. Die Verwaltung kontaktiert derzeit Pflegedienste und Heime, die für den Zeitraum Plätze anbieten könnten. Für den Notfall wird eine zentrale Unterkunft in einer Halle zur Verfügung gestellt. Weitere Informationen gibt das Sozialamt unter Tel. 4884800.

Wo genau liegt die Fliegerbombe überhaupt?

Der Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg befindet sich am Messering in unmittelbarer Nähe der alten Fettschmelze. Das Gebäude liegt am nördlichen Zipfel des Ostrageheges. Früher gehörte es zum Schlachthof, zuletzt stellten Künstler im Rahmen der Ostrale darin aus. Laut Polizei handelt es sich um die Fläche hinter dem Haus. Rathaus-Sprecher Kai Schulz appelliert, sich nicht auf die Suche nach dem Fundort zu begeben.

Niemand hat die Bombe gesehen. Warum ist man sich dann so sicher?

Auf dem Grundstück soll gebaut werden. Im Zuge der Vorbereitungen ist der Erdboden vom Kampfmittelbeseitigungsdienst auf Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg untersucht worden. Die Messwerte ließen vermuten, dass sich in zwei bis drei Metern Tiefe eine Fliegerbombe befinden könnte. „Es sind dann historische Luftbilder ausgewertet worden“, so Dörner. Aufnahmen, die kurz nach der Bombardierung Dresdens im Februar 1945 entstanden. Darauf sind Krater um die alte Fettschmelze zu sehen. „Diese waren weniger interessant, da die Bomben dort bereits explodiert waren.“ Ein kleiner schwarzer Punkt machte die Experten aber misstrauisch. Er deute darauf hin, dass ein Sprengkörper nicht detonierte, sondern liegenblieb. Völlig sicher sei man sich erst, wenn man grabe.

Wann ist der vermeintliche Blindgänger gefunden worden?

Bereits im August starteten die Untersuchungen des Erdbodens. Mitte September war der Polizei klar, dass eine scharfe Bombe im Ostragehege liegen könnte.

Warum beginnt die Entschärfung dann erst am 23. Oktober?

Die Polizei spricht von einer planbaren Lage, anders als beim letzten Bombenfund in Löbtau. Damals stieß ein Baggerfahrer auf den Sprengkörper. Er war bereits freigelegt und beschädigt – eine gefährliche Situation. Diesmal ist die Bombe nicht berührt worden. Damit bestehe keine akute Gefahr. Katastrophenschutzamt, Polizei und Stadt haben Zeit, die Evakuierung zu planen und darüber zu informieren. Die betroffenen Dresdner müssen nicht, wie im Mai, über Nacht ihre Wohnungen verlassen. Ein weiterer Grund: Die Polizei hat in dieser Woche genügend Einsatzkräfte.

Der Themenstadtplan der Stadt Dresden zeigt das gesamte Evakuierungsgebiet und auf der Homepage gibt es die kompletten Infos rund um die Räumung inklusive eines Downloads zu den betroffenen Straßen.