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Strafverfolgung auf Knopfdruck

Bei der Polizei online eingereichte Anzeigen haben Vorteile. Doch in vielen Fällen sind sie alles andere als sinnvoll.

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© SZ/Archiv

Von Ralph Schermann

Als das Ehepaar L. aus dem Urlaub nach Hause kommt, ist die Erholung dahin. In der Görlitzer Wohnung herrscht Chaos. Einbrecher haben alle Schränke durchwühlt, Frau L. sucht vergeblich ihren Goldschmuck. Eine Woche später meldet sich die Versicherung: Ohne Tagebuchnummer der Polizei keine Bearbeitung. Erst jetzt erstattet das Paar Anzeige – allerdings über die Online-Wache, über die Vorgänge zwar bearbeitet werden, nicht aber vorrangig.

„Das ist schon ein Extremfall, wie Online-Anzeigen falsch verstanden werden“, kommentiert Dirk Linczmajer, Leiter des Görlitzer Polizeireviers, diesen Vorfall von Mitte September: „So sinnvoll Mitteilungen per Internet auch sind, so wenig sollten sie bei dringendem Handlungsbedarf genutzt werden.“ Immer dann, wenn Tatverdächtige verfolgt, Einbruchsspuren gesichert oder Fahndungen schnell eingeleitet werden müssen, ist der direkte Draht zur Polizei besser. Denn während über den Notruf 110 sofort reagiert werden kann, brauchen online aufgegebene Anzeigen bis zu zwei Tagen, ehe sie den jeweiligen Dienststellen zugewiesen und dort im betreffenden Ressort angekommen sind. Online-Anzeigen sind für den Aufgeber durchaus bequem, aber nie sinnvoll, wenn es sich um dringende Fälle handelt. „Leider wird das oft übersehen“, bedauert Polizeioberrat Linczmajer und nennt als Gründe dafür meist falsche Einschätzungen der Betroffenen. „Vor allem, wenn Einbrüche wie bei den geschilderten heimkehrenden Urlaubern, in Lauben, Garagen oder Kellern unbestimmte Zeit zurückliegen, denken sie, da habe die Anzeige Zeit. Das aber ist ein Irrglaube, erst recht, wenn dabei mögliche Spuren durch Wettereinflüsse oder die Bürger selbst vernichtet werden.“

Dennoch sehen Polizisten die Möglichkeit, von zu Hause aus online Anzeigen zu erstatten, positiv. „Bürger, die per Internet Anzeigen-Formblätter ausfüllen, hätten sich ohne dieses Angebot oft gar nicht an die Polizei gewandt“, sagt der Revierleiter. Die „Internetwache“ mache Anzeigen bequem und unkompliziert. Der Bund Deutscher Kriminalbeamter sieht das ebenso: „Wir wollen Hemmschwellen für Bürger bei Anzeigen reduzieren – und diese Möglichkeit ist zeitgemäß und spart lange Wege zu den Kommissariaten“, heißt es dort. Tatsächlich ist es für Bürger von Vorteil, bleiben ihnen doch möglicherweise längere Wartezeiten im Revier oder bei den Abteilungen der Polizeidirektion erspart.

Die Beamten wiederum müssen damit rechnen, dass unter den allein im Görlitzer Revier täglich drei bis vier eintreffenden Online-Anzeigen auch Fehlmeldungen und Bagatellen sind, Nachbarschaftsstreitigkeiten etwa oder Dinge, für die die Polizei gar nicht zuständig ist wie bei Melde- und Passangelegenheiten, Lärmschutz oder einfachen Parkverstößen. Gelegentlich tauchen auch heftige Behauptungen auf, wenn beispielsweise ein Bürger einen anderen schwerer Straftaten verdächtigt. Deshalb Achtung: Auch eine online erstattete Anzeige kann man nicht einfach wieder zurückziehen. „Deshalb sollte man schon gründlich darüber nachdenken, ob denn eine Strafanzeige wirklich begründet ist. Schließlich handelt es sich in der Regel um einen schwerwiegenden Eingriff in den persönlichen Lebensbereich anderer. Wer sich also nicht sicher ist, dass es sich um eine Straftat handelt, kann auf den Webseiten der Polizei besser nur einen Hinweis geben“, informiert Dirk Linczmajer.

Wann also ist eine Online-Anzeige sinnvoll? Zum Beispiel bei Sachbeschädigungen, Schmierereien, Betrug oder Diebstahl mit geringem Wert, etwa Blumen vom Friedhof. Auch bei Körperverletzungen, dann aber nicht nur schreiben „gestern hat mir der Sowieso vor der Kneipe ein blaues Auge gehauen“, sondern das auch mit einem Foto dokumentieren. Überhaupt bietet eine Online-Anzeige auch die Möglichkeit nach der Datenerfassung, eingescannte Belege oder andere Anlagen beizufügen.

Wichtig zu wissen ist aber auch, dass gesetzlich das persönliche Unterschreiben eines Strafantrages Pflicht ist. Einer per Internet aufgegebenen Anzeige wird also in den meisten Fällen eine Vorladung folgen, meist verbunden mit einer Zeugenbefragung. Auch deshalb sind vollständige Angaben zur Person auf dem elektronischen Formular wichtig. „Sonst dauert es noch länger“, bestätigt Dirk Linczmajer, „denn dann müssen die Ermittler ja erst einmal den Anzeigenden ermitteln…“

www.polizei.sachsen.de/onlinewache