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Stradtrundfahrt des Grauens

Eine düstere Tour nimmt ihre Gäste mit ins mittelalterliche Dresden. Vorsicht, nichts für schwache Nerven!

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© Sven Ellger

Von Henry Berndt

Ach, der Bus sieht doch ganz gemütlich aus. Plüschig-weiche Sitze aus rotem Samt und vergleichsweise viel Beinfreiheit – was will man mehr? Wären da nur nicht diese Galgen, die am Gepäcknetz baumeln und das grimmig guckende Skelett am Haltegriff.

Diese Busrundfahrt ist nichts für schwache Nerven. „Vom Hängen und Würgen“ ist der Ausflug in die dunkelsten Stunden der Dresdner Stadtgeschichte überschrieben. Die ersten Gäste suchen gerade nach geeigneten Plätzen. „Hinten sollte man sich nicht in Sicherheit wähnen“, warnt Ritter Jonas Daniel, in der Moderne besser bekannt als Mario Sempf – der Mann, der in Dresden immer dort auftaucht, wo von Daumenschrauben oder Schandgeigen die Rede ist. Mehrere Bücher mit schaurigen Begebenheiten hat der 49-Jährige schon geschrieben. Nun also die Bustour. Mit an Bord ist praktischerweise seine Verlegerin Katharina Salomo, die für die nächsten zwei Stunden zur Magd Rosine Rehm wird, die im 18. Jahrhundert als Kindsmörderin enthauptet wurde.

Gemeinsam wollen sie den Gästen „die schlimmsten und grausamsten Orte der Stadt“ zeigen, und damit ist nicht der modern bebaute Postplatz gemeint. Es geht um Fragen wie: Wo hielt man die gemeinsten Mörder gefangen? Wo schrien die Hexen um ihr Leben? Wo gingen die Schleiermädchen ihrer Arbeit nach? „Alles, was sie hören werden, ist tatsächlich passiert. Wir müssen nichts schlimmer machen, als es war“, sagt Ritter Daniel.

„Ihr befindet euch auf gefährlicher Mission“, unterstreicht er noch einmal. „Wenn es zu grausig wird, können Sie sich bei Ihrem Nachbarn festkrallen oder notfalls festbeißen.“ Immerhin, in der Nähe des Leibwächters der einst in Dresden herrschenden Dohnaer Burggrafen könne man sich halbwegs sicher fühlen, heißt es. Es ist die zweite Gruseltour-Saison für das Team und von Verlusten im vergangenen Jahr ist zumindest öffentlich nichts bekannt geworden. Durchgezählt wird vor der Abreise allerdings auch nicht.

Eingemauert im Geheimzimmer

Start ist vor der Frauenkirche, wo einst der Pulverturm stand. „Kutscher, starte mal die Pferde“, ruft Ritter Daniel und die Pferde tuckern los. Entlang der schon vielversprechend klingenden Schießgasse geht es zunächst in Richtung Pirnaischer Platz. Wo heute die Straßenbahn fährt, waren früher die Festungsmauern. Über das Pirnaische Tor ging es hinein in die Stadt, die damals so klein war, dass man sie hätte in einer Stunde zu Fuß umrunden können.

Auf dem Altmarkt, wo sich gerade die Kinder auf dem Riesenrad amüsieren, wurden einst Mörder gerädert und danach von dort bis zum Albertplatz geschleift. Dann lieber Riesenrad, denkt man sich noch, bevor es weiter am Residenzschloss vorbeigeht, wo Prinzessin Anna von Sachsen im 16. Jahrhundert in einem Geheimzimmer lebendig eingemauert wurde. Zuvor soll sie ihrem Mann, Wilhelm von Oranien, fremdgegangen sein.

Von Ritter Jonas Daniel in einem zum Thema passenden Duktus vorgetragen, machen Geschichten wie diese die Altstadt zu seinem realen Gruselkabinett. Und weiter draußen wird es nicht heiterer. Die Wilsdruffer Vorstadt im Westen soll einst das „hässlichste Viertel“ gewesen sein. Allerdings wohnte hier der reichste Mann – der allseits beliebte Scharfrichter, der nicht nur Köpfe abhackte, sondern auch für Folterungen und andere Strafen zuständig war. Zeitweise sollen bis zu 40 Stockknechte für ihn gearbeitet haben – wie bei einem mittelständigen Unternehmen.

Der auffälligste Arbeitsplatz des Scharfrichters war der Rabenstein, auf dem einst gut sichtbar das Galgengerüst stand. Nur wenige Meter weiter unter dem heutigen Sternplatz liegen Generationen von Scharfrichtern begraben, erfährt man. Später lebte der Scharfrichter übrigens in Löbtau. Die Hinrichtungen wurden dann auf den Platz zwischen Freiberger und Tharandter Straße verlagert, der heute mit friedlichem Rasen bewachsen ist. Gerade, als man sich die grausigen Szenen im Mittelalter in Gedanken ausmalt, trällert das Handy des Busfahrers plötzlich: „Ein Stern, der deinen Namen trägt“. Wie kann er einem so einen Schrecken einjagen?

Jetzt wird gerädert!

Geradezu harmlos wirken dagegen die folgenden Anekdoten über einst auch in Dresden übliche Strafen. Der eine wurde zusammen mit Hund, Katze, Hahn und Schlange in einen Sack gesteckt und ersäuft, der andere durch die Stadt getrieben, während ihm mit glühenen Zangen Fleischstücke aus dem Körper gerissen wurden. Muss das sein?

Über die Marienbrücke geht die Fahrt hinüber in die Neustadt, die Bautzner Landstraße entlang, über die Waldschlößchenbrücke und dann am Elbufer zurück in Richtung Altstadt. Als man glaubt, das Schlimmste überstanden zu haben, hält der Bus an. Alles aussteigen, jetzt wird gerädert! Zum Glück wird nur eine bemitleidenswerte Puppe auf das Rad geflochten. Dazu gibt es Wein aus dem Becher. Bevor es weitergeht, demonstriert Ritter Daniel noch die Kraft der Daumenschrauben am Beispiel einer ungekochten Nudel.

Nach so viel Grausamkeiten ist dann doch ein leises Aufatmen zu vernehmen, als sich wenige Minuten später die Bustür an der Frauenkirche öffnet und die Reise ins Dunkel ihr Ende findet.

Wer Gefallen an diesem Geschichtsunterricht der skurrilen Art gefunden hat und mindestens 14 Jahre alt ist, der hat an jedem letzten Freitag im Monat um 17 Uhr die Chance, sich selbst für 29,90 Euro pro Person mit auf die Reise ins Dresdner Mittelalter zu begeben. Aber Vorsicht, immer in der Nähe des Leibwächters bleiben!

www.mittelalter-dresden.de