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Stilles Leiden unter roter Diktatur

Ab 16. Oktober wird eine Ausstellung aus Torgau gezeigt, die auch für Großenhainer so schlicht wie eindringlich ist.

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© Bernd Blume

Von Kathrin Krüger-Mlaouhia

Großenhain. Alfred Breitfeld war Schmied in Großenhain. Er saß nach 1945 mehrere Jahre ohne eine Verurteilung im Speziallager Fort Zinna in Torgau. Kassierer Martin Kretzschmer aus Frauenhain, verhaftet im September 1946 in Chemnitz, kam 1950 ins dortige Zuchthaus und starb nach nur knapp vier Monaten. Werkschutzarbeiter Max Kunze aus Riesa starb 1946 und Gärtner Alban Koch aus Großenhain wurde zu 15 Jahren Haft verurteilt, zehn Jahre davon hat er unter anderem in Torgau abgesessen.

Siegfried Behla, IG Mahnmal Marienkirche Großenhain
Siegfried Behla, IG Mahnmal Marienkirche Großenhain © PR

Es waren Todeslager

Diese Schicksale sprechen für 53 Menschen aus dem Kirchenbezirk Großenhain, die in den Gedenkbüchern der IG Mahnmal verzeichnet sind und die in Torgau gelitten haben. Es gab gleich zwei Stellen in der Stadt, wo die sowjetische Militäradministration bzw. die unter stalinistischem Einfluss stehende deutsche Justiz bis 1956 ein Unrechtssystem am Leben hielt: Erst die Speziallager, dann das Zuchthaus. „Es waren Todes-, Vernichtungslager“, sagt Siegfried Behla von der IG Mahnmal. 2700 Gestorbene werden in dieser Zeit für Torgau aufgeführt. Eine Ausstellung, die ab 16. Oktober in der Marienkirche gezeigt wird, erzählt davon.

„Eigentlich wollten wir eine litauische Ausstellung über die Wolfskinder haben“, so Behla. Wolfskinder haben nach dem oder im Krieg ihre Eltern verloren und lebten in wilden Gruppen in den Wäldern. Doch diese Schau blieb der IG Mahnmal verwehrt. Statt dessen machten die mit der Preuskermedaille ausgezeichneten Mitglieder bei einer Vorstellung im Landtag die Bekanntschaft von Heinz Galle. Der gehört zur Landesgruppe Sachsen der Vereinigung der Opfer des Stalinismus e. V. (VOS). Galle war selbst im Nachkriegsknast. Er berichtete von einer Ausstellung über das Fort Zinna und begeisterte die Großenhainer damit sofort. „Wir hatten noch nichts über Torgau, obwohl viele Opfer des Kirchenbezirkes dort gelitten haben“, bestätigt Siegfried Behla. Heinz Galle wird am 16. Oktober auch in der Kirche durch die Schau führen.

Die zehn Tafeln sind schlicht und nüchtern gehalten und daher umso eindringlicher. „Es ist eine Ausstellung, für die man Zeit und eine gute Brille braucht“, schmunzelt Behla. Vorgestellt werden nicht nur recht klein gedruckte Namenslisten, Briefe oder Entlassungsscheine. Es werden auch Zeitungsausschnitte aus der damaligen Westpresse veröffentlicht. Man liest den „Telegraf Wochenspiegel Berlin“, die „Freiheitsglocke“ oder auch den „Elbland-Boten“. „Dokumente der roten Diktatur am Fort Zinna Torgau“ ist die Sammlung überschrieben. „Die Dokumente sprechen für sich“, ist Siegfried Behla überzeugt.

Auch Kommunisten inhaftiert

Der Großenhainer verweist auf zahlreiche Broschüren, die ebenfalls ausgelegt werden. Eine ist vom Schriftsteller Benno Prieß über sein eigenes Schicksal: „Unschuldig in den Todeslagern des NKWD bis 1954“. NKWD steht für Volkskommissariat für innere Angelegenheiten der UdSSR, diese Bezeichnung war bis 1946 gebräuchlich. Verdeutlicht wird darin, dass Kriegssieger Stalin eine fiktive Zahl von 40 Prozent der Deutschen festgelegt haben soll, die nach 1945 zu entnazifizieren seien. „Die haben dann gegriffen, wen sie in die Finger bekamen“, kommentiert die IG Mahnmal. Selbst vor überzeugten Kommunisten und KPD-Mitgliedern wurde nachweislich nicht halt gemacht. So wurde Professor Friedrich Timm aus Rache eingesperrt, er rettete als Arzt Mitgefangenen das Leben.

16. Oktober bis nach Totensonntag in der Marienkirche