Merken

Stille Beobachterin des Alltags

Die Dresdner Malerin und Grafikerin Herta Günther starb im Alter von 84 Jahren. Ihre Arbeiten hängen in vielen Museen und haben viele Menschen glücklich gemacht,

Teilen
Folgen
© Robert Michael

Von Birgit Grimm

Herta Günther mochte die großen Gesten nicht. Aber sie konnte aus den kleinen Gesten, den Blicken, den alltäglichen Begegnungen große Kunst machen. Die von ihr gemalten Damen mit ihren spitzen Nasen und den knallrot geschminkten Lippen, mit ihren falschen Pelzkragen und den um Aufmerksamkeit heischenden Hüten und Frisuren – man meint, sie alle schon gesehen zu haben, leibhaftig, irgendwo in den Kneipen dieser oder einer anderen Stadt. Herta Günter hat sie porträtiert, die Einsamen, die Wartenden, die Unschlüssigen, die Gelangweilten, die Verbrauchten, die Stolzen und die allzu leicht Verfügbaren. Doch da ist nie ein Vorwurf in den Bildern, erst recht kein Spott, höchstens ganz leise eine feine Ironie. Herta Günther war eine stille und sehr genaue Beobachterin, saß manchmal selbst mit dem Skizzenblock im Café und „notierte das Wesentliche“, wie sie es nannte.

Talent und Willen

Am Sonntag ist die Malerin gestorben. 84 Jahre wurde sie alt. Sie war schon länger krank. Die gebürtige Dresdnerin lebte fast vierzig Jahre im Zentrum der Stadt, hatte Wohnung und Atelier am Altmarkt. Dort malte, zeichnete, radierte und druckte sie sogar. Als sie und ihr Mann, der Zeichner Jürgen Günther – SZ-Leser kennen ihn als Erfinder des Löwen Kasimir –, diese Wohnung aufgaben, setzte Herta Günther auch einen Schlusspunkt unter ihr grafisches Werk. Der Grund war banal: Die Druckerpresse konnte nicht mit umziehen, sie war zu schwer für die neue Wohnung. Deshalb gab die Künstlerin das Gerät an die Dresdner Hochschule für Bildende Künste, an der sie 1951 mit 17 Jahren eine der Jüngsten war, die unbedingt den Drang zur Kunst und ihr Talent zu ihrem Beruf machen wollten. Max Schwimmer und Hans Theo Richter waren ihre Lehrer, Gerhard Richter gehörte zu ihren Kommilitonen.

Herta Günther arbeitete seit 1957 freischaffend, brachte zwei Söhne zur Welt, die ebenfalls in der Kunstszene aktiv sind, der eine als Künstler, der andere als Drucker. Auch eine Enkelin trat in die Fußstapfen der Großmutter.

Eine von den Lauten, die sich in den Vordergrund drängten, war Herta Günther nie. Trotzdem kennen viele Menschen, nicht nur Sammler, Galeristen oder Museumsleute, ihre Bilder. Und vor allem: Sie mögen sie. Die Gestalten in den halbdunklen Kneipen ebenso wie die herausgeputzten Damen. Und auch ihre Stadt hat Herta Günther immer wieder gemalt. Nicht die Postkartenansichten, nicht die touristischen Anziehungspunkte, die man kennt. Die Stadt im Nebel, das Ballhaus Watzke, der Elbbogen oder das Hochwasser an der Elbe, die verschneite Mole – immer in gedeckten Farben, Grau, Ocker, Grün. Niemals so leuchtend Rot oder giftig Orange wie die Frauen an den Bistrotischen. Ein Schleier liegt über den Landschaften und Stadtansichten, als wäre es November. Damit beschrieb die Malerin eine Atmosphäre, die schon in den Jahren der DDR auch aus ihren Kneipenbildern sprach: Agonie.

Die Stille der Landschaft

Heute ist dieses Gefühl für viele Menschen eine Erinnerung. Auch für Herta Günther blieb die Zeit nicht stehen. Sie hat sich der lauten, schnellen, quietschbunten Gesellschaft, die sich um sie herum breitmachte, nicht verweigert. Sie hat sich ihren Reim darauf gemacht und sich in ihren Landschaften die fehlende Stille zurückgeholt. Und auch dabei erwies sie sich als eine Künstlerin, die ihr Handwerk versteht und weiß, was sie da malt. Ihr gelang es immer wieder aufs Neue, dem eingefangenen Moment Gültigkeit und Dauer zu verleihen.

Arbeiten von Herta Günther befinden sich in diversen Museen. Wer eine Ausstellung mit ihren Pastellen zeigt, kann sicher sein, dass sie viele Besucher haben und viele Menschen glücklich machen wird.

Die meisten ihrer Werke, so darf vermutet werden, schmücken private Wände. Weil die Menschen sich wiedererkennen in den Gesichtern, die Herta Günther malte. Und weil sie sich wiederfinden in den Sehnsüchten, weil ihnen die Träume bekannt vorkommen, die die Malerin für sie festhielt. Und weil sie nichts Schöneres finden, was ihre Erinnerung am Leben hält.