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Stifte im Sekundentakt

Aus Japan brachten die Edding-Gründer die Idee für ihren Stift mit. Heute liefern sie aus Bautzen in 120 Länder.

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© Steffen Unger

Von Miriam Schönbach

Bautzen. Die Schicht von Ute Krönert ist gleich zu Ende. Doch die Maschinenbedienerin aus der Bautzener Edding-Produktionsstätte will ihre Montagelinie noch leerfahren. Zuerst rutscht der Plastikschaft auf ein Förderband. Automatisch dreht es ihn in die richtige Richtung. Schnell verschwindet darin ein Schaumstoffröhrchen für die Tinte. Die Schreibspitze wird als Nächstes montiert. Zuletzt kommt die Kappe drauf. 120 Stifte pro Minute spuckt die Apparatur aus. „Das ist noch langsam. Unsere Hochleistungsmaschinen stellen 150 Stifte pro Minute her“, sagt Jörg Thomas Schimkus. Vor neun Jahren kam der gebürtige Hamburger als Geschäftsführer an die Spree.

Dicht an dicht liegen die Stiftschäfte in passenden Wölbungen auf der Montagelinie. Ute Krönert lässt keinen aus dem Blick. Seit 19 Jahren arbeitet die ausgebildete Textilfacharbeiterin für den Schreibgerätehersteller im Bautzener Gewerbegebiet. Damals ist ihr heutiger Chef noch beim Mitbewerber Rotring tätig. Doch das Unternehmen wechselt gerade den Besitzer. Die neuen Eigentümer aus den USA verlagern die Produktion und kündigen Mitarbeiter. „Was ich aufgebaut habe, sollte ich abbauen“, sagt der 56-Jährige. Stattdessen räumt er seinen Schreibtisch und nimmt 2004 das Jobangebot der Edding AG an.

Der Maschinenbauingenieur soll sich im Familienunternehmen aus Ahrensburg um die Produktion, unter anderem in Argentinien, Bautzen und den Niederlanden, kümmern. Sein Erstkontakt mit Edding liegt etwas länger zurück. Als 16-Jähriger hinterlässt er mit einem solchen Permanentmarker seine Initialen auf einem Buspolster. Der Schmierfink ist schnell überführt. Ihm wird nahegelegt, die Schule zu verlassen. „Außerdem sagte man mir, dass ich weder Sprachen noch Physik könnte. Meine Eltern hatten damals keine gute Zeit mit mir“, sagt Jörg Thomas Schimkus. Er wird Technischer Zeichner und lernt Menschen kennen, die das Potenzial des jungen Wilden erkennen – und an ihn glauben.

Mehr als eine Milliarde

Seit der Eröffnung der Bautzen Produktionsstätte im Jahr 1994 wurden 1,1 Milliarden Schreibgeräte und Marker produziert.

Diese wurden mit zwei Millionen Liter Tinte befüllt. Das entspricht dem Inhalt von 10000 Badewannen.

Die in Bautzen produzierten Marker ergeben eine Strecke von rund 84000 Kilometern.

Pro Tag könnten die Bautzener Montagemaschinen eine Million Eddingstifte herstellen.

www.edding.com

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Also setzt sich der Hamburger wieder auf die Schulbank, holt das Fachabitur nach, studiert Maschinenbau und legt noch ein BWL-Studium oben drauf. „Ich würde heute alles genauso wieder machen“, sagt er und geht in die Abteilung Werkzeugbau. Hier entstehen die Spritzgusswerkzeuge, um überhaupt einen Edding herstellen zu können. Das Bautzener Werk ist deutschlandweit die einzige Produktionsstätte der beliebten Marker. Hervorgegangen ist sie aus dem VEB Schreibgerätewerk Markant in Singwitz.

Bis zur Wende sind seine heutigen Kollegen Spezialisten für Filzstifte. 1991 kauft Edding den Markant-Werkzeugbau, die Spritzerei und die Montage. Drei Jahre später wird das neue Werk in Bautzen eingeweiht. „Bis dahin kamen unsere Produkte aus Fertigungsstätten in Deutschland und dem Ausland. Die Firmenleitung hatte aber strategisch entschieden, eine eigene Fertigung aufzubauen“, sagt Jörg Thomas Schimkus. Die Idee des Permanent-Schreibers bringen die Firmengründer Volker Detlef Ledermann und Carl-Wilhelm Edding von einer Japan-Reise Ende der 1950er-Jahre mit nach Hause. Dort entdecken die Freunde einen Tintenschreiber mit Filzspitze und permanenter Tinte. Ihn importieren sie nach Deutschland. Das ist die Geburtsstunde vom „Edding No.1“.

Tinte im Blut

Die Wiege aller Bautzener Eddings ist die Spritzerei. In drei Schichten entstehen hier die Einzelteile aus Kunststoff für die Stifte – der Schaft, die markante Flügel-Kappe und das Mundstück. Über Nacht laufen die Maschinen sogar unbemannt in der sogenannten Geisterschicht. Die Produktion der Eddings kündigt sich mit zartem Geklingel an. Über dem Kopf verlaufen Röhren, über die das Kunststoffgranulat direkt aus dem Silo in die Spritzgussmaschinen automatisch verteilt wird. „Wir verbrauchen davon 1 000 Tonnen pro Jahr“, sagt der Werkleiter. Ein bisschen erinnert das Granulat an zu groß geratenes Konfetti.

230 Grad macht daraus eine flüssige Kunststoffmasse. Aus ihr sollen in diesem Produktionsschritt Kappen werden. „Wir stellen jährlich 95 Millionen Marker in 50 verschiedenen Größen und Formen her, die in 120 Länder verkauft werden. Der Beliebteste aber ist unser Edding 3000 mit der schwarzen Kappe“, sagt Jörg Thomas Schimkus, während das Werkzeug der Spritzgießmaschine mit einem Zischen auseinanderfährt. Unter dem Spritzdruck von 1 300 bar und der Schließkraft von 80 Tonnen entstehen in jedem Takt 32 Kappen. Das übrig bleibende Material kommt in den danebenstehenden Schredder und kehrt in den Produktionskreislauf zurück.

Über 80 Mitarbeiter denken bunt in Bautzen. „Wir sind eine Familie und haben Edding-Tinte im Blut“, sagt der Geschäftsführer. Neben seiner Wohnung in Hamburg hat er sich längst ein Refugium in Bautzen zugelegt – und engagiert sich in der Stadt. Ein Jahr lang gab er neben seiner Arbeit zweimal pro Woche Deutschunterricht für Asylbewerber. Bei der Initiative „Bautzen bleibt bunt“ will sich Jörg Thomas Schimkus wieder stärker einbringen. Buntgemischt ist auch die Belegschaft. Flüchtlinge machen Praktika im Betrieb. Ein junger Syrer macht seit einem Jahr die Ausbildung zum Elektriker. Ein weiterer junger Mann aus Mali könnte demnächst seine Lehre im Unternehmen beginnen.

Ausgebildet werden Werkzeugmacher, Mechatroniker und Verfahrensmechaniker. Dazu gibt es eine Kooperationsvereinbarung mit der Staatlichen Studienakademie Bautzen. „Unsere Führungskräfte sind überwiegend junge Leute. Die Spritzerei leitet eine Frau, die hier gelernt hat“, sagt Jörg Thomas Schimkus. Blau macht der „Fischkopp“ – wie er sich selbst nennt – übrigens am Geierswalder See. Mit dem Motorboot fährt er soweit hinaus, dass bei abgestelltem Motor nur noch das Plätschern des Wassers zu hören ist. Und wenn er in seiner Hamburger Heimat ist, legt er häufig einen Stopp an der Außenalster ein, um wieder von der Elbe an die Spree zu fahren.