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Spannung beim Motorenbauer VEM

Das Sachsenwerk knackt dieses Jahr die 100 Millionen Euro Umsatz. Trotz voller Auftragsbücher knirscht es im Konzern.

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© dpa/M. Skolimowska

Von Michael Rothe

Der Name Sachsenwerk zieht immer, und wichtige Menschen und Lobbyisten lassen sich nicht lange zum Termin bitten: Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) etwa zur Betriebsversammlung im Juni – und am vergangenen Dienstag Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), als sich Führungskräfte der mitteldeutschen Elektroindustrie zur Jahrestagung trafen. „An der Wiege der Elektroindustrie im Freistaat“, wie es Lars Kroemer, Regionalchef des Branchenverbandes ZVEI, formuliert, habe man über Breitbandausbau und Weiterbildung diskutiert.

„Vielleicht brauchte die Organisation ein paar spektakuläre Fotos“, spekuliert Torsten Kuntze, Geschäftsführer der VEM-Gruppe, nicht ganz ernst gemeint über die Ortswahl des Verbands mit rund 100 Mitgliedern in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen und 1 600 Firmen bundesweit. Dabei hat der 115 Jahre alte Betrieb einiges vorzuweisen, sorgt der Konzern immer wieder für Schlagzeilen: so vor einem Jahr mit der Übernahme durch einen chinesischen Investor und jüngst mit Warnstreiks bei VEM Motors in Wernigerode, einer Schwester des Sachsenwerks mit 420 Beschäftigten. Zur Gruppe gehört auch die VEM Motors Thurm GmbH in Zwickau. Die Keulahütte in Krauschwitz bei Weißwasser ist nicht mehr im Verbund und seit Januar Teil der KHK Casting AG in der Schweiz.

VEM produziert und verkauft das gesamte Spektrum an Hoch- und Niederspannungsmaschinen: vom kleinen Kompaktantrieb bis zur Großmaschine – und immer mehr System- und Komplettlösungen. Abnehmer sind Stahlwerke, Chemie-, Gas- und Ölindustrie, Kraftwerke, Wasserwirtschaft, Maschinen- und Anlagenbauer, Zement- und Bergbauindustrie. Der Konzern ist eines der 100 umsatzstärksten Unternehmen im Osten und sein Sachsenwerk, zu DDR-Zeiten Stammbetrieb des Kombinats Elektromaschinenbau, einer der wichtigsten Betriebe der Landeshauptstadt.

Die Dresdner sind spezialisiert auf Großmaschinen mit bis zu 42 Megawatt Leistung. Ihre Antriebe lassen Aida-, Princess- und andere Kreuzfahrtflotten die Weltmeere durchpflügen. Doch der Betrieb war jahrelang selbst in schwerem Fahrwasser, und gut jeder achte Matrose ging über Bord. 2017 war der Absatz in der Windkraftbranche, Hauptumsatzbringer neben Antrieben für U- und Straßenbahnen, um 55 Prozent eingebrochen. Auch im Schiffbau ging es laut Geschäftsbericht bergab. Unterm Strich stand bei 90 Millionen Euro Umsatz ein Fehlbetrag von 3,8 Millionen Euro. Das Plus im Export konnte das Minus im Inland nicht kompensieren.

Kein Stahlbau mehr im Sachsenwerk

Das Tief ist laut Geschäftsführer Torsten Kuntze überwunden. Der promovierte Ex-Siemens-Manager erwartet in diesem Jahr für den Dresdner Standort mit 628 Mitarbeitern gut 100 Millionen Euro Umsatz. Auch die anderen Adressen der Gruppe mit 1 550 Leuten würden wachsen, die angepeilte „schwarze Null“ sei „in Reichweite“. „Auch im Auftragseingang für 2019 sind wir schon gut halb voll“, sagt Kuntze.

Der Traditionsbetrieb und seine Schwestern sind seit einem Jahr unter chinesischer Ägide. Die SEC Holding CO Ltd. von Jianyu Wang in Wuxi City  hatte die Gruppe übernommen. Kuntze stimmt nicht in die Hysterie derer ein, die vor deutschem Ausverkauf warnen. „Für uns ist der Einstieg positiv“, sagt er. Mit dem Investor habe das Sachsenwerk zwei Großprojekte im Volumen von sieben Millionen Euro in Chinas Öl- und Gasindustrie gewonnen. Und der neue Eigner habe überfällige Investitionen freigegeben – darunter 1,5 Millionen Euro für Industrieroboter und Spezialmaschinen in Dresden. „Er lässt uns in unseren alten Märkten – Westeuropa, Russland, Mittlerer Osten – freie Hand, zieht uns aber immer mehr in neue Märkte in China und im pazifischen Raum“, sagt der Geschäftsführer. „Wang ist dort als Elektromaschinenbauer aktiv und nimmt uns mit.“ In einem mussten sich die VEMler aber umstellen: „Die Chinesen arbeiten viel schneller als die Deutschen“, sagt Kuntze und: „Wir mussten lernen, dass Zeit und Reaktionsschnelligkeit ein großes Gut ist.“

Und was ist mit Gerüchten um weitere Auslagerungen? Die Wickelei und andere Jobs mit hohem Handanteil und Wiederholgrad waren bereits zur Tochter nach Most in Tschechien umgezogen. „In der Blechbearbeitung und im Stahlbau sind wir nicht mehr wettbewerbsfähig“, erklärt der Geschäftsführer. Deshalb werde er „das erste Wertschöpfungsniveau in Dresden zurückfahren und die Teile künftig montagefertig zukaufen“ – vor allem in Osteuropa. Bei den Kosten gebe es Nachholbedarf.

„Was wir in Dresden noch selbst machen, kann sich Herr Wang nicht mal in China leisten und kauft es zu“, so Kuntze. Die rund 30 betroffenen Mitarbeiter würden anderswo im Werk unterkommen, auch beim Qualifizierungsprozess für die Lieferanten und in der Wareneingangskontrolle. Es gehe nicht um Abbau, versichert der Chef. Arbeitskräfte seien ein hohes Gut. Deshalb bilde der Betrieb zehn neue Lehrlinge aus, habe er mit Mechatroniker einen vierten Lehrberuf hinzugenommen neben Industrieelektroniker, Werkzeugbauer, CNC-Bearbeiter.

Tatsächlich könnte man an eine erfolgreiche Wende im Konzern glauben, wären da nicht Bilder von Warnstreiks in Wernigerode. Die halbe Belegschaft war auf der Straße. „Über 17 Jahre keine Lohnerhöhung“, war auf Transparenten zu lesen.

„Das ist falsch“, sagt Konzernchef Kuntze. Es habe 2012 zwei Erhöhungen von insgesamt 4,2 Prozent und 2014 noch einmal von 2,1 Prozent gegeben – aber nur für jene, die, wie die komplette Dresdner Belegschaft, den 1998 vereinbarten Tarifvertrag mit der christlichen Gewerkschaft CGM akzeptiert hätten. Nur jene zehn Beschäftigten in Wernigerode, die weiter auf den IG-Metall-Vertrag pochten, verharrten.

Unterschiedliche Löhne im Konzern

Stillschweigen zum billigeren CGM-Vertrag sei als Akzeptanz gewertet worden, räumt der Chef ein – und auch ein unterschiedliches Lohnniveau zwischen Dresden, Zwickau und Wernigerode. „Das ist der unterschiedlichen Wettbewerbssituation geschuldet“, argumentiert er. In Dresden gebe es mit Siemens und ABB starke Wettbewerber um Fachkräfte. Die Differenz beziffert er nicht.

Auch Sachsen-Anhalts Wirtschaftsminister Armin Willingmann (SPD) spricht von „unterdurchschnittlicher Bezahlung“. Er sei verwundert, „dass in Zeiten des hohen Fachkräftebedarfs mit Entlohnungen gearbeitet wird, die Fachkräfte nicht gerade anlocken“.

Laut IG Metall hat die konkurrierende CGM in Wernigerode „null“ und in Dresden nur wenige Mitglieder, sie aber einen Organisationsgrad von 75 Prozent. Auch das sei falsch, sagt der Firmenchef. Er sieht keinen Handlungsbedarf. „Wir haben seit 1998 einen Vertrag mit der CGM, der jetzt für vier Jahre verlängert wurde“, sagt er. Dort sei neben der Lohnerhöhung auch der Weg zur 38-Stunden-Woche beschrieben. Das Geschehen im Harz werde in Dresden „zur Kenntnis genommen“, mehr nicht.

Tilo Kahl, stellvertretender Betriebsratschef vom Sachsenwerk, nennt die Lage „eigentlich ruhig“, und er sei „froh, dass Ruhe eingekehrt ist“. Dabei arbeitet auch die Dresdner Belegschaft pro Woche 40 Stunden – zwei Stunden länger als noch in den 1990ern und fünf Stunden mehr als die Metaller im Westen.

Das Werk kennt stürmische Zeiten nicht erst seit der Weltfinanzkrise 2008, in deren Folge der Umsatz um 40 Prozent einbrach. Nach der Wende in Treuhand-Auftrag mit harter Hand saniert, stand es in den 90er-Jahren auf der Kippe. Der Preis für das Überleben war hoch: Im Verbund mussten damals 2 700 Leute gehen. Bergauf ging es mit VEM erst ab 1997 mit der Übernahme durch den schwäbischen Pharma-Unternehmer Adolf Merckle (Ratiopharm). Auch nach dessen Selbstmord hält seine Familie noch Anteile an der Holding.