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Sorgfalt bis ins Grab

Im Krematorium ist eine zweite Leichenschau Pflicht. Ergeben sich Zweifel, werden sie der Polizei gemeldet.

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© Nikolai Schmidt

Von Ralph Schermann

Görlitz. Die Trauerfeier mit anschließender Urnenbeisetzung findet am kommenden Freitag statt. So steht es in der Todesanzeige. Bekannte und Arbeitskollegen des Gestorbenen richten sich darauf ein. Verwandte aus drei Bundesländern sind eingeladen, die Hotelzimmer bestellt. Da meldet sich der Staatsanwalt: Nichts mit Urnenbeisetzung, die Leiche ist beschlagnahmt.

Angehörige sind bestürzt, wenn so ein Fall eintritt. Zum Glück passiert das nur sehr selten. „Im Landkreis Görlitz wurden 2016 nachträglich 40 Meldungen an die Kriminalpolizei erstattet mit dem Verdacht auf eine ungeklärte oder nicht natürliche Todesart“, bestätigt Amtsarzt Dr. Christoph Ziesch, kann aber auch entwarnen: „Meistens bekommen die Angehörigen das gar nicht mit. Nur in ganz seltenen Fällen muss eine Trauerfeier verschoben werden.“

Das Sächsische Bestattungsgesetz regelt zum einen, dass die Gesundheitsämter alle Todesbescheinigungen in Kopie prüfen und 30 Jahre lang archivieren müssen. Für 2016 waren das 3 819 solcher Bescheinigungen für den Landkreis Görlitz. Zum anderen verlangt das Gesetz eine zweite Leichenschau. Das gilt für alle Gestorbenen, die feuerbestattet werden. Bei Erdbestattungen dagegen ist keine zweite Leichenschau vorgesehen, weil dort „bei auftretenden Verdachtsmomenten die Möglichkeit einer staatsanwaltschaftlich angeordneten Exhumierung von Leichen besteht“, erklärt Dr. Ziesch. Dagegen erfolgt aber auch bei Leichen, die in einem ausländischen Krematorium verbrannt werden sollen, eine ärztliche Nachschau im Landkreis.

Regional betrifft das Görlitz und Zittau, da nur diese Orte über Krematorien verfügen. Die nächsten solchen Einrichtungen befinden sich erst in Dresden und Meißen, eine weitere in Forst. Deshalb ist es auch schwierig, die 2016 vom Gesundheitsamt Görlitz veranlassten 2 830 zweiten Leichenschauen mit Sterbezahlen abzugleichen. Eben weil Nachbarkreise kein Krematorium haben, werden auch von dort Gestorbene, zum Beispiel aus Bautzen, mit in Görlitz und Zittau eingeäschert – und vor der Verbrennung amtlich untersucht. Dabei gelten die gleichen Richtlinien wie schon bei der ersten Leichenschau: gründliche Untersuchung des unbekleideten menschlichen Körpers. Dass die zweiten Leichenschauen in den vergangenen Jahren mehr geworden sind, liegt einfach daran, dass prozentual die Grundlagen dafür zunehmen – also die Zahl der Feuerbestattungen. Sie liegt in Sachsen mittlerweile bereits bei durchschnittlich 86 Prozent.

In Görlitz nehmen zwei erfahrene Pathologen des Klinikums im Auftrag des Amtsarztes die zweite Leichenschau im Krematorium vor. Haben sie Zweifel an einem natürlichen Tod, bedeutet das die Einleitung von Todesermittlungsverfahren. Sie stecken dann mit in jenen 823 Fällen, die die Staatsanwaltschaft Görlitz einschließlich der Zweigstelle Bautzen 2016 einleitete, weil keine natürliche Ursache auf dem Totenschein stand. Um klarzustellen, wie es zum Tod kam, wird bei 17 Prozent aller Verfahren obduziert – was für die harrenden Hinterbliebenen durchaus eine längere Wartezeit bedeuten kann. „Erfahrungsgemäß ist aber einer der Hauptgründe dafür der Ausschluss von Zusammenhängen zwischen zurückliegenden Unfällen oder medizinischen Eingriffen und den Todesursachen“, sagt Dr. Ziesch.

„In Todesermittlungsverfahren geht es aber nicht darum, Todesursachen festzustellen, sondern Fremdverschulden auszuschließen“, erklärt Oberstaatsanwalt Sebastian Matthieu: „Es geht um den Abgleich von Fakten. Beeinflusste zum Beispiel eine bei der Nachschau festgestellte Sturzverletzung den ursprünglich attestierten Tod durch Herzversagen? Und wenn das mit Ja beantwortet wird, versuchen wir zu ermitteln, ob der Betroffene selbst stürzte oder ob ihn möglicherweise jemand schubste.“ Auch, wenn es bei nur knapp einem Prozent aller Verfahren tatsächlich Belege für ein Fremdverschulden gibt, sind alle angeordneten Prüfungen wichtig. „Sie schaffen schlicht und einfach Rechtssicherheit für jeden einzelnen Todesfall“, sagt Matthieu. „Doch dass einmal überraschte Angehörige das zunächst anders sehen, verstehe ich natürlich auch.“