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Sollte Kamenz mit Schönteichen wollen?

Über die Gemeindefusion entscheiden die Bürger am 23. September. Falls genügend zur Abstimmung gehen.

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© Symbolfoto: Uwe Soeder

Von Frank Oehl

Kamenz. Seit mehr als zehn Jahren sind Kamenz und Schönteichen verlobt. In einer (eheähnlichen) Verwaltungs- gemeinschaft. Seit zweieinhalb Jahren liegt ein Heiratsantrag der Schönteichener vor – in Form eines Gemeinderats- beschlusses. Vor einem Jahr wurde es sogar die Anbahnung einer Liebeshochzeit, weil fast 60 Prozent der Bürger der neun Orte an den schönen Teichen „Ja“ zur Gemeindefusion gesagt haben. Und nun liegt der Ball bei der Angebeteten. Die Stadt Kamenz aber tut sich schwer. Angeschoben von der Partei Die Linke werden alle Bürgerinnen und Bürger der Lessingstadt nun ihrerseits an die Abstimmungsurne gerufen. Am Sonntag, dem 23. September. Das Ergebnis ist gleich in mehrfacher Hinsicht offen – jedenfalls offener als die gleichzeitig stattfindende OB-Wahl. Die SZ war bei der Einwohnerversammlung im Ratssaal und fasst die Thematik noch einmal zusammen.

Was spricht für die Ehe von Kamenz und Schönteichen?



Einiges. Beide Partner können davon profitieren. Die Stadt festigt ihre Mittelzentrumsfunktion, die derzeit an eine Mindesteinwohnerzahl von 15 000 gebunden ist. Ohne die 2 100 Schönteichener wäre sie knapp unterschritten, so stabilisiert man sich bei 17 000. Wobei die Orientierungszahl von der Regionalplanung abhängt. Gemeinderat Thomas Uslaub, ein Befürworter der Fusion, erinnerte daran, dass die Tendenz dieser Zahl weiter nach oben gehen könnte. Für die Schönteichener sei die Stärkung des Mittelzentrums aber ebenso wichtig, wie für die Stadt selbst. Auf der anderen Seite war Schönteichen zuletzt nicht mehr in der Lage, in seine Pflichtaufgaben zu investieren – wie die Grundschulsanierung oder die Löschwasserbereitstellung in den Dörfern. Die Kommunalfinanzierung über den Freistaat war für dieses Gemeindemodell auf großer Fläche zu keiner Zeit auskömmlich. Die Kritik daran wurde am Mittwoch bekräftigt. Nicht nur, aber vor allem vonseiten der Linken



Was spricht gegen die Ehe von Kamenz und Schönteichen?
Vor allem die Einschränkung lokaler Mitbestimmung. Darauf machte Andreas Koch (Linksfraktion) aufmerksam, der sogar vom „Abbau bürgerlicher Demokratie“ sprach. In der Diskussion nahm Manfred Schlotter aus Lückersdorf-Gelenau das Wort: „Nachdem wir vor 20 Jahren zwangseingemeindet worden waren, haben wir drei Jahre lang mit Kamenz gediggscht. Dann haben wir unsere Interessen eingebracht und sind sehr gut damit gefahren.“ Derzeit hat der Schönteichener Gemeinderat 14 Mitglieder, daraus werden vier zu (dann 26) Stadträten. Dafür werden drei Ortschaftsräte gebildet – einer für Biehla, einer für Hausdorf, Cunnersdorf und Schönbach und einer für Brauna. Liebenau, Petershain, Rohrbach und Schwosdorf. Dafür wird die Ortschaftsverfassung eingeführt.



Wie sieht es mit den finanziellen Mitgiften der Partner aus?
Schönteichen kommt ohne Schulden und ohne Forderungen ins Doppelbett. Darauf allein ließe sich schon mal ein einigermaßen lustbetontes Eheleben aufbauen. Deutlich wurde im Ratssaal noch einmal, dass es seitens des Freistaates weder eine Eheprämie noch eine Art Baby-Begrüßungsgeld geben wird. Die Kommunalfinanzierung bevorteilt aber größere Städte und Gemeinden. Dezernentin Antje Koch konnte nach den Freistaat-Eckdaten für den Etat 2019 aufzeigen, dass die Fusion 613 000 Euro mehr an Einnahmen ermöglicht. Dazu kämen die 70 000 Euro, die Schönteichen als Freistaatpauschale erhält und die ansonsten allen selbstständigen Kommunen (auch Kamenz) zustehen. Zieht man die knapp 200 000 Euro höhere Kreisumlage wieder ab, blieben mehr als 480 000 Euro als immer noch erhebliche Mehreinnahme.

Geht einer der Eheleute ein erhöhtes finanzielles Risiko ein?
Darauf hob die Kritik der Linksfraktion ab, die eine Eingemeindung „zum heutigen Zeitpunkt“ ablehnt, obwohl sie zuvor die Eingliederung Schönteichens „zum frühestmöglichen Zeitpunkt“ und damit auch die Kernaussage des Bürgerentscheides mitgetragen hatte. Man begründet dies mit dem Investitionsstau in Schönteichen. Dieser verlange kurzfristig 6,9 Mio Euro, wovon 3,3 Mio Euro Eigenmittel wären. Man befürchtet Steuer- und Gebührenerhöhungen, die Reduzierung von Sport- und Vereinsförderung und gar den Wegfall wichtiger Investitionen in Kamenz. Dies sieht das Rathaus nicht. OB Roland Dantz bestätigte, mit dem Freistaat in guten Verhandlungen zu sein, was die Bezuschussung dringender Vorhaben in den neuen Ortsteilen betrifft. Zuerst müsste die Löschwasserfrage beantwortet werden. Dafür sind 660 000 Euro nötig, die Hälfte davon Eigenmittel. Anders als noch zuletzt, sieht Dantz nun sogar etwas weniger Zeitdruck bei der Grundschule in Brauna. Der Brandschutz müsste zügig verbessert werden. Die insgesamt 5,9 Mio Euro teure Schulsanierung konnte durchaus etwas nach hinten geschoben werden.

Wie sieht es eigentlich mit einem Ehekredit aus?
Während vor den Ferien eine Neuverschuldung der Stadt – auf Anfrage der Linken – noch kategorisch ausgeschlossen wurde, hat man offenbar eine Kehrtwende vollzogen. Für den Schulbau in Brauna wurde für 2021 ein Zwei-Millionen-Kredit ins Spiel gebracht. Damit würde die Pro-Kopf-Verschuldung aller Kamenzer von derzeit 221 Euro auf 441 Euro steigen. Bei einer Bedenklichkeitsgrenze von 811 Euro wäre dies – auch angesichts der immer noch niedrigen Zinsen – offenbar ein gangbarer Weg. Schönteichen allein war übrigens in den knapp 20 Jahren seit der Gemeindegebietsreform zu keiner Zeit kreditwürdig gewesen.

Was würde ein „Nein“ der Kamenzer vor dem Traualtar bedeuten?

Die Kamenzer sind am 23. September aufgerufen, dem Stadtrat grünes Licht für die Fusion mit Schönteichen zu geben. Er wäre gut beraten, sich an ein „Nein!“ zu halten. Kompliziert würde es aber auch bei einem „Ja!“, wenn es nicht laut genug zu vernehmen ist. Eine Mehrheit in der Abstimmung müsste nämlich auch mindestens 25 Prozent aller Wahlberechtigten ausmachen. Diese Zustimmungsform würde die Eingliederung verzögern, weil es dann keine Sondersitzung des Stadtrates am 1. Oktober geben würde, wie bei einem Ja mit erreichtem Quorum. Kommt die Ehe nicht zustande, droht Schönteichen ab 1. Januar ein Haushaltssicherungskonzept. Und am bitteren Ende die Zwangsverwaltung.