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So viele Waschbären wie nie

Die Wildtiere verbreiten sich rasant in der Stadt. Unterwegs mit Citytrapper Thomas Schröder.

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© Marion Doering

Von Julia Vollmer

Das Gewehr lehnt am Beifahrersitz, auf dem Rücksitz sitzt Hündin Tessy in ihrer Box und beobachtet ganz genau, was passiert. Wenn Citytrapper Thomas Schröder seinen Tag gegen acht Uhr morgens beginnt, sind die Abläufe eingespielt. Seit 2006 arbeitet der gelernte Mechatronik-Meister als Jäger in der Stadt. Er wird gerufen, wenn Waschbären, Marder und Co. auf Grundstücken wildern, Mülltonnen leeren oder sich auf Dachböden einnisten. Und seine Auftragsbücher sind in den letzten Jahren gut gefüllt.

Denn die Zahlen der Wildtiere, die in der Stadt unterwegs sind, steigen. Wie viele in der Stadt leben, ist schwer einzuschätzen. Ablesen lässt sich der Anstieg an der Zahl der geschossenen Waschbären. Denn die niedlichen Tiere dürfen ebenso wie Marder geschossen werden. Waren es 2010 noch 20 Bären im Jahr, meldet die untere Jagdbehörde der Stadt für die letzten 12 Monate 263 Tiere. Die Plage ist nicht nur ein Dresdner Problem, sondern auch ein sachsenweites, sagt Jan-Walter Heikes, Geschäftsführer des Landesjagdverbandes. Erschossen die Jäger 2016 rund 7 230 Waschbären in ganz Sachsen, waren es 1997 gerade einmal fünf.

An diesem Tag sind Citytrapper Thomas Schröder und seine Hündin Tessy auf dem Weg zu einem Kunden am Dresdner Stadtrand. Dort lebt Martin Meier. In dessen Garten stellt der Jäger seine Falle auf. „Wenn jemand die Tiere im Gelände hat, kann er die Fallen bei mir für zehn Euro im Monat leihen“, so Schröder. Er fährt zu den Kunden, stellt die Fallen auf und befüllt sie. „Jedes Tier hat seine Vorlieben: rohe Hühnereier für die Waschbären und Mon Chéri für den Marder“, erzählt der 53-Jährige. Bei Martin Meier, der eigentlich anders heißt und lieber anonym bleiben will, ist ein Bär in die Falle getappt. Sie schnappte zu und das Tier sitzt fest.

Schonung des Nachwuchses

„Ich lasse alle meine Kunden unterschreiben, dass sie die Falle mehrfach täglich kontrollieren müssen. Wenn ein Tier in der Falle verhungert, zeige ich die Kunden an“, sagt Schröder. Denn quälen sollen sie sich nicht. Doch was jetzt folgt, ist nichts für schwache Nerven. Der Citytrapper geht zu seinem Wagen und holt das Gewehr. Er öffnet die Klappe der Falle, hält seine Waffe hinein und schießt. Der Waschbär ist sofort tot. Schießen darf er sie erst seit Anfang Juli wieder, denn vorher galt die Schonzeit. Währenddessen dürfen Elterntiere nicht getötet werden, da die Jungtiere sonst allein wären. Für seine Arbeit und konkret für das Töten der Tiere bekommt Thomas Schröder auch Kritik von Politikern. „Hier werden Wildtiere mehr oder weniger grundlos gefangen und getötet im Schutzradar des sächsischen Jagdrechts. Private Eigentümer entscheiden, wann ein Tier zur Plage wird. Vielleicht sollten sich Tierschützer dieses Thema offensiv vorknöpfen“, fordert Grünen-Stadtrat Michael Schmelich.

Für Grundstückseigentümer Martin Meier war es der siebte Waschbär in diesem Jahr, den er auf seinem Gelände vorfand. Den toten Waschbären packt Schröder vorsichtig in eine Tüte und nimmt ihn mit. „Ich teile mir mit einer Tierärztin eine Kadavertonne, die entsorgen wir auf der Tierbeseitigungsanlage.“ Schröder und seine Tessy steigen nun in den Wagen, und weiter geht es. Seine Kunden stammen nicht nur vom Stadtrand, sondern sind über ganz Dresden verteilt. Sogar mitten auf die Hauptstraße musste er schon ausrücken. An diesem Tag geht es noch weiter auf ein Firmengelände. Für eine Vergrämung, also Vertreibung, ist er gebucht. Wo Marder und Waschbären unterwegs sind, stellt er zum Beispiel ein Radio auf dem Dachboden auf, aus dem Stimmen klingen. „Deutschlandfunk ist dafür geeignet“, erzählt der Jäger. Grelles Licht und blinkende Lämpchen mögen die Tiere nicht. Und sie flüchten zudem vor scharfem Geruch, Schröder schwört auf Chili-Wasser.

Keine natürlichen Feinde

Doch warum gibt es plötzlich so viele Waschbären? Dazu forscht Sven Herzog, Professor für Wildtierökologie an der TU Dresden. Mögliche Ursachen sieht er in den günstigen Bedingungen für die Vierbeiner. Sie haben in Deutschland keine natürlichen Feinde und finden überall Nahrung – Obst, Würmer, Vogeleier oder Essensreste aus Mülltonnen. Eine Ursache könnte die Verbreitung der Katzen als Haustiere sein. Für diese stehen oft Milch und Leckerbissen vor der Tür. Das lockt Waschbären an.