Merken

So kam es zur Wende im Fall der S-Bahn-Schubser

Öffentlicher Druck, böse E-Mails, eine neue Vernehmung – dann wurden die mutmaßlichen Täter doch verhaftet.

Teilen
Folgen
© Sven Ellger

Von Alexander Schneider

Vier Tage lang waren sie auf freiem Fuß. Am Dienstagmorgen nahm die Polizei sie dann doch fest. Die mutmaßlichen S-Bahnschubser aus Dresden. Haftbefehl wegen versuchten Totschlags.

Am vergangenen Freitag sollen die beiden Asylbewerber aus Libyen und Marokko um 4.41 Uhr am Haltepunkt Dresden-Zschachwitz aus derselben S-Bahn gestiegen sein wie das spätere Opfer. René J., ein 40-jähriger Dresdner, war auf dem Weg zur Arbeit. Er schob wie so oft um diese Uhrzeit sein Rad aus dem Waggon, zündete sich noch am Bahnsteig eine selbst gedrehte Zigarette an. Die beiden stark betrunkenen Asylbewerber sollen den Pendler um Feuer gebeten haben. Er habe das verneint – doch dann wurden die Männer offenbar pampig. Sie schimpften, es kam zu einer verbalen Auseinandersetzung, dann wurde auch geschubst. Die Polizei wird das wenige Stunden später ein „Gerangel“ nennen.

Bei dieser Auseinandersetzung soll René J. von den Männern vom Bahnsteig auf die etwa einen Meter tiefer liegenden Gleise geschubst worden sein. Sie sollen auch sein Rad nach ihm geworfen haben, möglicherweise stießen sie den Mann sogar samt Rad von der Kante. Anschließend sollen sie auch noch verhindert haben, dass J. wieder zurück auf den Bahnsteig gelangte. Sie sollen nach ihm getreten haben, selbst als nun eine S-Bahn aus Pirna nahte.

Der Lokführer muss den Mann auf den Schienen gesehen oder zumindest kein gutes Gefühl gehabt haben. Er leitete eine sogenannte Schnellbremsung ein. Während die Täter flüchteten, half der S-Bahn-Fahrer dem leicht verletzten Mann zurück auf den Bahnsteig. J. habe Todesangst ausgestanden. Er habe nicht mehr klar denken können, als er versucht habe, von den Gleisen zu gelangen und die Bahn kam.

Immerhin gelingt es der Bundespolizei, die mutmaßlichen Täter festzunehmen. Obwohl der 23-jährige Libyer nicht vorbestraft ist, kannten die Beamten ihn schon, wegen Schwarzfahrens und Diebstahls. Der Ältere, ein 27-jähriger Marokkaner, war auch schon bekannt. Er hat eine kleinere Geldstrafe wegen Ladendiebstahls und Schwarzfahrens erhalten.

Die Bundespolizei ermittelte gegen sie wegen versuchten Totschlags, gefährlichen Eingriffs in den Bahnverkehr, gefährlicher Körperverletzung, Nötigung und wegen Besitzes kleiner Mengen Drogen, die bei den beiden entdeckt wurden, und wegen Schwarzfahrens – sie waren wieder ohne Fahrschein unterwegs. Für Schlagzeilen sorgte dieser Fall erst, als bekannt wurde, dass die Justiz die mutmaßlichen Täter nicht sofort in U-Haft gesteckt hatte. Die Hinweise für den Totschlagsvorwurf genügten der Staatsanwaltschaft nicht.

Viel Dampf im Kessel

Wäre die Justiz auch bei deutschen Verdächtigen und einem ausländischen Opfer so zurückhaltend geblieben? War es nicht doch versuchter Totschlag? Über Fragen wie diese wird seit dem Wochenende nicht nur in Dresden diskutiert – besonders scharf in den sozialen Medien, noch übler auf asylfeindlichen Facebook-Seiten und natürlich bei der Pegida-Demo am Montag. Kurz: Der öffentliche Druck stieg. Nach der erneuten Vernehmung des Geschädigten J. am Montag bei der Staatsanwaltschaft Dresden sahen die Ermittler den dringenden Verdacht eines versuchten Totschlags erfüllt und beantragten Haftbefehle.

Lorenz Haase, Sprecher der Staatsanwaltschaft, sagte erwartbar, die Entscheidung, die Verdächtigen nun doch zu verhaften, sei unabhängig vom öffentlichen Druck gefallen. Er verwies auf die neue Situation. Als Haupttäter gelte der Jüngere, der bislang noch nicht vorbestraft sei. Haase räumt jedoch ein, es habe auch zahlreiche E-Mails mit Kritik gegeben. Anwalt Peter Hollstein – er vertritt einen Verdächtigen – relativiert den Vorwurf etwas. Eine Fluchtgefahr sehe er nicht, so Hollstein. Die Männer seien nicht untergetaucht – weder nach der Tat noch in den vergangenen Tagen. Er hält den Vorwurf einer Tötungsabsicht für gewagt. „Der Geschädigte hätte doch in die andere Richtung die Gleise verlassen können“, sagte der Strafverteidiger. Schon diese ersten Einschätzungen zeigen, welche Fragen in dem Verfahren nun zu klären sind.

Die Ermittlungen stehen am Anfang. Die Bundespolizei sichert die Videobilder aus den S-Bahnen, um Geschehen und Verhalten der Beteiligten zu rekonstruieren. Am Halt Zschachwitz selbst gebe es keine Überwachungskamera, so ein Sprecher der Dresdner Bundespolizeiinspektion.

Geert Mackenroth (CDU), sächsischer Ausländerbeauftragter und Landeschef des Kriminalitätsopfer-Vereins „Weißer Ring“, hält das Vorgehen der Justiz für in Ordnung. „Der Fall zeigt ja auch deutlich, dass die justizinternen Kontrollmechanismen funktionieren“, sagt er. Auch die Kritik, dass Ausländer bevorzugt würden, teilt er nicht. „Vor dem Gesetz sind alle gleich.“ Die Nationalität sei auch kein Umstand, der bei der Strafzumessung berücksichtigt werden dürfe. (mit csp)