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„So gutes Essen gab’s sonst nie bei der Armee“

Gert Richter erlebte vor 50 Jahren den Prager Frühling – als Soldat an der deutsch-tschechischen Grenze.

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© privat

Von Eric Weser

Röderaue. Nach fünfzig Jahren hat Gert Richter noch mal alles hervorgeholt. Die Fotos von damals, den roten Taschenkalender, den grauen Wehrdienstausweis. Und den bunten Binder, den er seinerzeit am Ende seiner Wehrdienstzeit bekommen hatte. „Erfahrener Kämpfer“ steht auf dem handbemalten Erinnerungsstück aus Stoff. Der Schlips verrät, dass der heutige Radener vom 2. Mai 1968 bis 31. Oktober 1969 bei der Nationalen Volksarmee diente. Genau zur Zeit des sogenannten Prager Frühlings.

Die Lage in der damaligen CSSR wirkte sich auch auf den Militärdienst von Gert Richter aus. Der seinerzeit 23-Jährige wird relativ spät zur Armee eingezogen. Viele andere, die mit ihm als Soldaten dienen, sind jünger. Der gelernte Rundfunkmechaniker kommt nach Halle, macht seine Grundausbildung. Danach wird er als Panzer- und Kfz-Mechaniker eingesetzt.

Im Juli 1968, erinnert sich Richter, sei die Panzereinheit von Halle aus Richtung Hermsdorfer Kreuz verlegt worden. Im thüringischen Kahla habe man im Busch gelegen. „Dann bin ich erst mal nach Hause.“ Am 1. August sei er in Kahla auf den Bahnhof gebracht worden und abends um acht in Gröditz angekommen. Denn am 3. August 1968 heiratet Gert Richter. „Das war schon lange geplant.“ Vier Tage später muss er wieder zurück zur Fahne.

Aufstand bei den Tschechen

Um den 21. August herum sei es dann für die Soldaten von Kahla aus ins Vogtland gegangen, in die Nähe der deutsch-tschechischen Grenze, sagt der gebürtige Gröditzer. „Da wurde es ernst. Da hieß es, bei den Tschechen ist Aufstand.“ Gert Richter erzählt, er sei im Ort Untermarxgrün bei Oelsnitz in einer alten Kneipe einquartiert worden. „Die Panzer sind weiter, bis nach Marieney, das ist ein kleiner Ort noch etwas weiter entfernt. Die haben dort im Wald gelegen.“ Gert Richter zeigt Fotos, auf denen etliche der Kampffahrzeuge aufgereiht vor einem Wald zu sehen sind. Die Aufnahmen seien heimlich entstanden. „Du konntest ja nicht viel fotografieren. Das war ja wie Spionage“, sagt der heute 73-Jährige und lacht.

Wochenlang dauert der Vogtland-Aufenthalt für die Soldaten. Gert Richter erzählt, er sei mit dem Werkstattwagen regelmäßig zu den im Wald liegenden Panzern gefahren. „Da wurde auch mal eine Flasche Schnaps mitgenommen.“ Überhaupt sei die Verpflegung ganz gut gewesen. Das Essen, das es während der Zeit im Vogtland gab, sei das beste der ganzen Armeezeit gewesen, erzählt Richter. „Das kam von den LPGs, wurde dort gekocht und weitergegeben.“ Außerdem habe es regelmäßig Bier, Schokolade, Seife gegeben. „Um die Leute bei Laune zu halten.“ Gert Richter erinnert sich, dass die Sängerin Chris Doerk damals für die Soldaten auftrat.

Im Laufe der Zeit hätten die Soldaten sich auch mit den Leuten vor Ort bekannt gemacht. „Die waren ja auch freundlich, da haben wir für einen mal einen Zaun geschweißt oder einen Wartburg repariert.“ Auch Westfernsehen wird mit den neuen Bekannten geschaut. – Ob er jemals Angst hatte, dass die Lage ernst und die ganze Militäraktion gefährlich werden könnte? Nein, sagt Gert Richter. Eher nicht.

In der ersten Oktoberwoche sei die Einheit zurückverlegt worden. Noch ein Jahr lang sollte der Militärdienst für Gert Richter danach dauern. Insgesamt „546 unvergeßliche Tage“, so steht es auf dem bunten Schlips, den der Ruheständler von damals noch hat. Als ganz so unvergesslich erweist sich der anderthalbjährige Wehrdienst ein halbes Jahrhundert später zwar nicht. „CSSR – Wir gaben unser Bestes“, steht vielsagend auf dem Abschieds-Binder ganz unten. Darunter ist ein Lagerfeuer mit Ständer und Topf gemalt. Es wirkt wie eine Abenteuerszenerie. Als solche dürfte allerdings längst nicht jeder NVA-Soldat diese Zeit erlebt haben.