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Skassaer vermissen ihre Dorfkneipe

Der ehemalige Gasthof steht wieder zum Verkauf, aber ein Lokal wird wohl nicht wieder daraus werden.

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© Kristin Richter

Von Manfred Müller

Skassa. Waren das noch Zeiten, als die Skassaer Männerwelt abends auf dem „Melderweg“ zum Dorfgasthof pilgerte. Der Pfad führte vom Unterdorf über den Friedhof und hinter den Grundstücken entlang geradewegs zum Tresen. Er hatte den Vorteil, dass man nicht die Dorfstraße benutzen musste, wo die Nachbarn mitzählten, wer sich wie oft ein Feierabendbier genehmigte. Und vor allem: Wer, in welchem Zustand, wieder nach Hause ging.

Der Weg durchs Dorf konnte noch aus anderen Gründen gefährlich sein. „Es muss in den späten Sechzigern oder frühen Siebzigern gewesen sein“, erinnert sich Gudrun Schubert, „da hatte jemand am Vorabend des 1. Mai den Kühen auf der benachbarten Weide die Hörner rot angemalt.“ In solchen Dingen und noch dazu am Kampftag der Werktätigen zeigte der Staat keinerlei Humor. Die Kripo und wohl auch die Stasi schwärmten aus, um den Übeltäter zu fassen. „Mein Vater war am besagten Abend etwas angesäuselt und laut singend die Straße entlang gegangen und geriet dadurch in Verdacht“, erzählt die Skassaerin. Da er mit der Sache aber nichts zu tun hatte, sei die am Ende im Sande verlaufen. Viel später erfuhren die Skassaer, dass sich auswärtige Saisonarbeiter der LPG diesen Scherz erlaubt hatte.

Das Gebäude, in dem sich die Dorfbewohner seit mehr als 100 Jahren auf ein Bier trafen, steht derzeit wieder zum Verkauf. Eigentümerin Kathrin Lenz hatte hier zuletzt eine Boutique für Kinder-Festmoden und einen entsprechenden Onlineshop betrieben. Ende 2017 schloss sie ihr Geschäft; jetzt weist ein Schild vor dem Grundstück auf die beabsichtigte Veräußerung hin. Wer immer das sanierte Wohn- und Geschäftshaus erwerben wird – eine gemütliche Dorfkneipe dürfte wohl nicht wieder daraus werden. Dafür laufen die Geschäfte im Gastwirtsgewerbe auf dem Lande einfach zu schlecht.

Viele Skassaer bedauern das, denn das Lokal mit den charakteristischen Kastanien auf dem Vorplatz war ein Jahrhundert lang der Mittelpunkt des Dorfes. Hier traf man sich nicht nur zum Feiern, auch die Einwohnerversammlungen und Vereinstreffs wurden im Saal abgehalten. Es gab monatlich Verkehrsteilnehmerschulungen, Kinovorführungen, die Kleingärtner tagten und selbst die Frauenturngruppe trainierte hier. Und natürlich war die rührige Skassaer Feuerwehr hier regelmäßig zugange. „In den 1950er Jahren hatte der Gastwirt den einzigen Fernsehapparat im Dorf“, erinnert sich das Skasser Urgestein Heinz Sauer. „Wurden Sportveranstaltungen übertragen, war die Kneipe voll.“

Die Eigentümer wechselten oft

Die Geschichte des Dorfgasthofes ist von vielen Eigentümer- und Pächterwechseln geprägt. Deshalb existiert auch keine durchgehende Chronik; die Historie lebt eher in den Erinnerungen der Skassaer. Es gibt eine Postkarte aus dem Jahr 1894, die das Gebäude baulich fast so zeigt wie heute. Es gibt Erinnerungen an den Fleischermeister Karl Schneider, der die Gaststätte 1925 übernahm und samt Fleischerei und Kegelbahn über Jahrzehnte betrieb. Später übernahm sein Sohn Horst und schließlich der Konsum. Dessen Pächter hielten es nie sehr lange aus, sodass zwischendurch schon mal die Ehefrau des Bürgermeisters das Bier ausschenkte. Auch die spätere langjährige Amts-Chefin Ingrid Stehr legte mit Hand an. Das lag auch daran, dass der Saal neben der Gaststätte der Gemeinde gehörte. Nach der Wende erwarben zunächst „Goldgräber“ aus dem Westen das Gebäude, waren aber sehr schnell wieder verschwunden. Der Nünchritzer Enrico Skopp versuchte um die Jahrtausendwende, in der ehemaligen Dorfkneipe ein Restaurant für gehobene Ansprüche zu etablieren. Die „Marone“ bot jetzt sogar französische Küche. „Da wurde zum ersten Mal wieder richtig in das Gebäude investiert“, sagt Ortsvorsteher Uwe Stehr. Allerdings sei damit auch das Bier teurer geworden, und die angestammte Kundschaft blieb weg. Die abendliche Skatrunde wanderte ins benachbarte Weißig aus, aber auch hier machte die Dorfkneipe irgendwann dicht. Die „Marone“ konnte sich ebenfalls nicht mehr lange halten.

Inzwischen haben die Skassaer den ehemaligen Konsum-Einkaufladen zum Dorftreff ausgebaut. Dort kann man natürlich auch Familienfeiern und Versammlungen abhalten, man muss sein Bier halt mitbringen. Die spezielle Kneipenatmosphäre aber, in der sich die Zunge automatisch lockerte und die Orts-Angelegenheiten oft lautstark ausdiskutiert wurden, bietet das Gemeinschaftshaus nicht. Deshalb denkt nicht nur die Rentnergeneration ein bisschen wehmütig an die alten Zeiten zurück. Wenn sich ein Betreiber fände, dem der ländliche Charakter der Gaststätte wichtig ist, sagt Ortschaftsrat Bernd Sauer, wäre der wohl in Skassa der Held.