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„Siedlitz war einst das größte Dorf der Region“

Ulrich Burkhardt lebt von klein auf in Marksiedlitz. Das Dorf hat eine wechselhafte Geschichte – und exotische Bewohner.

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© Sebastian Schultz,

Von Antje Steglich

Marksiedlitz. Orange, grün, gelb – Marksiedlitz wird immer bunter. Die Gehöfte, die das Dorf von jeher prägen, werden nach und nach saniert. Besonders freut sich Ulrich Burkhardt über das vierteilige Fassadenbild, das sein Nachbar unlängst an seine Hauswand malen ließ. Es zeigt die Felder der Umgebung im Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Es zeigt die Heimat von Ulrich Burkhardt.

Bei Ullrich Burkhardt nebenan zu Hause sind unter anderem Nandus, die ursprünglich aus Südamerika stammen.
Bei Ullrich Burkhardt nebenan zu Hause sind unter anderem Nandus, die ursprünglich aus Südamerika stammen. © Arvid Müller
Am Ortseingang von Marksiedlitz aus Richtung der Ortsverbindungsstraße Glaubitz-Streumen steht ein orangefarbenes Wohnhaus, das einst Gasthof und Dorfkonsum war. Foto:
Am Ortseingang von Marksiedlitz aus Richtung der Ortsverbindungsstraße Glaubitz-Streumen steht ein orangefarbenes Wohnhaus, das einst Gasthof und Dorfkonsum war. Foto: © Sebastian Schultz
Steckbrief von Marksiedlitz: Einwohnerzahl: 30 Häuserzahl: vier Dreiseithöfe und fünf Häuser. Gründungsjahr: 1233 Der Bus hält an Werktagen zweimal täglich im Dorf und an der etwa einen Kilometer entfernten Haltestelle 15-mal. Dort gibt es am Wochenende z
Steckbrief von Marksiedlitz: Einwohnerzahl: 30 Häuserzahl: vier Dreiseithöfe und fünf Häuser. Gründungsjahr: 1233 Der Bus hält an Werktagen zweimal täglich im Dorf und an der etwa einen Kilometer entfernten Haltestelle 15-mal. Dort gibt es am Wochenende z

Der Landwirtschaft wegen sei der 49-Jährige nie von dort weggezogen. Er habe auch nie daran gedacht, obwohl es keinen Laden, keine Gaststätte und lediglich gut zwei Dutzend Nachbarn gibt. Doch schließlich war schon der Großvater Landwirt, der Vater und jetzt auch Ulrich Burkhardt.

Rings um den Vierseithof betreibt er konventionellen Acker- und Pflanzenbau. Baut Weizen, Gerste und Hafer an, aber auch Mais und Kartoffeln. Nicht nur auf dem Burkhardtschen Hof kann man die Kartoffeln direkt vom Erzeuger kaufen. Zudem halten die Marksiedlitzer Gänse, Hühner, Pferde – und Nandus.

Seit 2010 leben die flugunfähigen Tiere in dem Dorf und gehören zu den beliebtesten Fotomotiven der vielen Radfahrer, die zum Beispiel auf der Floßkanalroute den Ort kreuzen. „Der Radweg ist gut befahren. Wenn man aus dem Hoftor rausfährt, heißt es immer: Vorsicht!“, weiß Ulrich Burkhardt. Ansonsten sei zugegebenermaßen nicht viel los in dem Dorf. Der Handyempfang ist manchmal mies, und nur mit Glück kann man mit zwei Megabit surfen. „Aber wir haben einen Briefkasten, einen Schaukasten der Gemeinde und eine Bushaltestelle, wo der Bus morgens und nachmittags für die Schulkinder hält“, sagt der Landwirt lachend, der seit 1999 für die CDU im Gemeinderat sitzt und nebenbei als Taxifahrer in Riesa unterwegs ist.

Der Dorfkonsum und der Gasthof dagegen machten schon vor Jahrzehnten dicht und sind längst zu einem Wohnhaus geworden. Eine eigene Schule hat es wohl nie gegeben. Ulrich Burkhardt selbst ging nach Wülknitz zur Schule, heute lernen die Marksiedlitzer Grundschüler in Nünchritz. Mobile Verkaufswagen halten wöchentlich in dem Ort und bieten Brot, Wurst und Fisch an. „Ansonsten fahren die Leute zum Einkaufen nach Nünchritz oder Riesa“, sagt Ulrich Burkhardt, „nur die AOK hat uns Gröditz zugeordnet. Dort kommen wir aber nie hin.“ Außer dem Floßkanal hätten beide Orte nichts gemein. Und der wurde schließlich erst im 18. Jahrhundert angelegt.

Die Wasserstraße, die einst dazu diente, das Holz aus dem Schradenland bis nach Meißen und Dresden zu transportieren, ist aber übrigens einer der ersten Orte, zu dem Ulrich Burkhardt fährt, um etwas zur Geschichte seines Dorfes zu erzählen. Unweit des heutigen Ortskernes in Richtung Streumen, wo der Floßkanal einen kleinen Bogen macht, liegen nämlich die Ursprünge von Siedlitz. 1233 wurde der Ort erstmals erwähnt, am Kanalknick soll sich einst der Dorfteich befunden haben. „Es soll das größte Dorf der Umgebung gewesen sein“, erzählt Ulrich Burkhardt. Zumindest bevor es völlig von der Landkarte verschwand.

Wahrscheinlich Mitte des 16. Jahrhunderts wurde der Ort nämlich völlig zerstört und zur sogenannten Wüstung. Die Gründe sind bis heute unbekannt. Auf den historischen Karten vom legendären Lustlager Augusts des Starken anno 1730 ist Marksiedlitz nicht zu finden, während des Floßkanal-Baus aber gab es den Ort schon wieder – wenn auch südlicher als zuvor. „Beim Abriss einer alten Scheune wurde ein Balken mit der Jahreszahl 1748 gefunden“, erzählt Ulrich Burkhardt. Um diese Zeit muss die Wiederbesiedlung der alten Wüstung begonnen haben – nach Gerichtsstreitigkeiten um die Nutzung der Flächen haben sich dort wohl ein paar Bauernjungen aus Glaubitz niedergelassen. Wahrscheinlich war auch ein Vorfahre von Ulrich Burkhardt darunter, vermutet er. Wirklich groß wurde das Dorf, das seitdem Marksiedlitz genannt wurde, aber nicht mehr. Die Höchstmarke mit 77 Einwohnern wurde in den 1940ern erreicht, heute sind es 30. Jeder kennt jeden, ohne aufeinander zu hocken. „Ich bin hier zufrieden“, sagt Ullrich Burkhardt, obwohl die Infrastruktur durchaus verbesserungswürdig sei. Die neue Wasserleitung, die derzeit verlegt wird, ist zumindest ein Anfang.