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„Sie müssen nicht rekrutieren, die laufen denen zu“

Chemnitz kann auch in Dresden passieren, sagt Extremismus-Experte Danilo Starosta vom Kulturbüro Sachsen.

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© Paul Sander

Der rechte Mob, der durch Chemnitz zog, schockierte viele. Wäre so eine schnelle Mobilisierung auch in Dresden möglich?

Danilo Starosta arbeitet seit vielen Jahren als Experte für Extremismus im Kulturbüro Sachsen.
Danilo Starosta arbeitet seit vielen Jahren als Experte für Extremismus im Kulturbüro Sachsen. © Christian Juppe

Ja. Es gibt gewaltbereite Fußballfans, die in organisierten Nazi-Kreisen agieren. Die gibt es in weiten Teilen der Liga, von der 1. bis zu den unteren Ligen. Das ist nicht nur ein ostdeutsches Phänomen – diese unheilige Verbindung zwischen Hooligans, Türstehern und Sicherheitsfirmen.

Ausgelöst wurden die rechten Demonstrationen durch den Tod eines Deutsch-Kubaners, könnte das auch in Dresden so ablaufen?

2016 hatten wir so eine Situation auf dem Stadtfest in Dresden. Die aufgeheizte Stimmung war da. Hätte es einen Vorfall wie den in Chemnitz gegeben, dann wäre eine rechte Mobilisierung basierend auf einem Volkszorn auf alles Fremde ebenso möglich gewesen.

Wie viele Dresdner waren in Chemnitz dabei?

Am 27. August waren Leute aus Dresden dabei, gesehen haben wir eine große Gruppe mit Personen aus der Wellenlänge-Bewegung, von 1 Prozent bis zum typischen Pegida-Klientel der Wellenlänge und Antiasylinitiativen. Von Anfang an waren Leute aus der rechten Volksbewegung dabei, aber auch alte NPD-Kader. Gesehen habe ich zum Beispiel Stefan Hartung aus Schneeberg, der die Lichtelläufe organisierte.

Viele Demo-Teilnehmer stammten aus dem Fußball-Umfeld...

Hooligans nutzen den Fußball als Feld für politische Auseinandersetzungen. Sie proben die Auseinandersetzung mit der Polizei jede Woche. Sie haben seit 2014 auch konkrete politische Ziele im und um das Stadion platziert.

Welche Relevanz haben Hooligans bei Pegida?

Es gibt keine offiziell Dynamo-Gruppe bei Pegida, aber einige Fans sind darunter. Viele Pegida-Teilnehmer gehören zur Wellenlänge- oder Antiasyl-Gruppen. Durch den erhöhten Verfolgungsdruck der Behörden gegen die Freie Kameradschaft Dresden ist jetzt Zurückhaltung zu spüren. Zuletzt habe ich eher vereinzelt Leute gesehen. Die sind aber immer wieder mobilisierbar.

In der Vergangenheit gab es aber schon einige Übergriffe von Hooligans in Dresden, wie beim ersten Pegida-Geburtstag 2015...

Es gab in der Tat einige Gewaltübergriffe aus Fußballgruppen, bei denen Böller und Steine geworfen wurden. Auch bei dem Pegida-Geburtstag, wo Hooligans ein Konzert am Postplatz angriffen. Generell bei den Asylprotesten ab 2015, auch beim Höhepunkt von Pegida im Januar 2016 waren Fußballanhänger dabei. Auf der Wilsdruffer Straße marschierten Anhänger der Army of West oder der Faust des Ostens mit.

Wie funktioniert die Mobilisierung?

Die Leute sind wöchentlich verabredet über Mobilisierungen, wie etwa zur dritten Halbzeit. Sie organisieren sich per WhatsApp-Gruppen oder Telefonlisten.

Wie viele Leute zählen Sie zu den gewaltbereiten Hooligans in Dresden?

Ich möchte mich da auf keine genaue Zahl festlegen, aber die große Mehrheit der Dynamo-Fans sind keine Gewalttäter. Wir kennen rund 100 Gewaltbereite aus dem Umfeld der Dynamofans, Hooligans und Gewalttäter Sport. Diese sind mehrfach organisiert, zum Teil alte NPD-Kader oder aus der FKD-Gruppe.

Sind die wirklich politisch oder wollen die sich „nur“ schlagen?

Leider nein, es geht nicht „nur“ um bloße Gewalt. Diese Leute sind nicht parteipolitisch, aber politisch aufgeladen. Es gibt zum Teil klare antisemitisch-rechtsextreme Gesinnungen.

Warten die auf solche Anlässe?

Das in Chemnitz schien von langer Hand vorbereitet. Der Grundkonsens ist da: „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“.

In Chemnitz wird immer wieder von einer Konzentration auf bestimmte Stadtteile geschrieben, gibt es die auch in Dresden?

In Dresden gibt es eine Konzentration auf ganz bestimmte Viertel nicht, aber es gibt soziale Brennpunkte. Dort sammeln sich ein Gewaltklientel und Kriminalität im Drogenhandel und Missbrauch. Es gibt im Fußballumfeld eine Konzentration auf den Dresdner Westen, aber auch eine Gruppierung in Pieschen und im Dresdner Osten.

Wie sieht es mit Gorbitz und Prohlis aus?

Klischeemäßig müsste man an die Viertel denken. Aber die sind nicht allein Schwerpunkte. 2015 gab es in Prohlis eine wilde Mischung aus rechten Volksbewegungen, ein paar Leute kommen von dort, aber die organisieren sich in anderen Vierteln. Im Dresdner Osten gibt es Treffpunkte und Kneipen. Und bei Ackis Sportsbar direkt am Dynamo Stadion ist natürlich auch ein Hotspot. Wer als Gewalttäter Sport was auf sich hält, ist dort Stammkunde.

Wie ist die Entwicklung in Löbtau, dort eröffnete der rechte Szeneladen Thor Steinar?

Die Südvorstadt hat eine ewige Nazigeschichte, am Plauener Bahnhof gab es Nazitreffs. Man muss heute nicht nach Nazitreffs suchen, um Gruppen auszumachen. Nur die Parteipolitischen Rechten brauchen diese für ihre Partei oder Organisationsarbeit. Die rechte Volksbewegung findet man im Alltag in den Vergnügungsvierteln. Aber nicht nur dort.

Wo rekrutieren die ihren Nachwuchs?

Die müssen nicht rekrutieren, die laufen denen zu.

Ist es so wie Pegida rumposaunt, „Jeder bringt einen mit“?

Natürlich. Die rückwärtsgewandete Einstellung einiger Menschen hat sich verstärkte seit 2015, deren Furcht vor Überfremdung hat sich verstärkt. Die laufen dann den Rechten zu. Ich bekomme Anfrage von Schulen und Berufsschulen aus Dresden. Einige schreiben: „Das halte ich nicht mehr aus, was Erzieher, Eltern und Lehrer von sich geben.“

Nehmen sie Fälle von Beeinflussung der Kinder durch Lehrer und Erzieher wahr?

So einfach ist das nicht. So plakativ können Lehrer nicht werben. Aber die Schüler bringen die Themen untereinander auf. Da werden Meinungen erprobt, Gewalt und Mobbing verschwimmen in eine immanente Bedrohung.

Wie viele rechtsextreme Übergriffe gibt es?

Das ist ein wenig abgeebbt, aber es gibt nach wie vor hohe Fallzahlen. Die Übergriffe passieren nicht an Hotspots, sondern im öffentlichen Raum. Jeder, der „anders“ aussieht, kann Opfer einer Gewalttat werden.

Viele der Opfer trauen sich wahrscheinlich nicht, Anzeige zu erstatten?

Nicht trauen, das war mal. Viele wollen Vorfälle nicht anzeigen. Sie wollen sich integrieren und denken, sie müssen Angriffe aushalten.

Wie geht’s es Ihnen persönlich? Werden Sie angefeindet?

Ich wurde vor Jahren von Nazis zusammengeschlagen. Ich gehe nicht ohne Vorbereitung raus, das ist zu gefährlich. In Dresden gehe ich eher nicht ins Theater, sondern eher in Berlin und München, der Rückweg in Dresden wäre zu gefährlich.

Das Gespräch führten Julia Vollmer und Andreas Weller.