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Sich (was) trauen

Der Dresdner Christopher Street Day wird 25 Jahre alt und feiert sein Jubiläum mit regenbogenbuntem Programm und politischem Ziel.

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© André Wirsig

Von Nadja Laske

Das wünscht Ronald Zenker niemandem. Drei Jahre lang hat er ein Doppelleben geführt – als Familienvater mit Frau und Kind und als Schwuler mit einem Freund. „So einen Zwiespalt will ich nie wieder erleben müssen“, sagt der 45-Jährige. Hier bürgerliches Leben mit Eigenheim, dort ein Männerhaushalt. Weil Ronald Zenker beruflich viel in Österreich zu tun hatte, pendelte er zwischen Wien und Dresden. Sein Lebenspartner, mit dem er eine Eigentumswohnung gekauft hatte, wusste nichts vom doppelten Spiel. „Und meine Frau hier in Dresden dachte, wir wohnen in Wien in einer Wohngemeinschaft.“

Bis zu dem Tag, an dem sie Karten fand, die der Geliebte ihrem Mann geschrieben hatte. „Ich stand gerade vor 20 Mitarbeitern und war dabei, mit ihnen ihre Aufgaben durchzusprechen, da erreichte mich der Anruf“, erzählt Zenker. Jener Anruf, der ein neues Leben einläutete. „Mein Freund war am Telefon und sagte mir: Ich habe gerade mit der Frau gesprochen, mit der du verheiratet bist.“ Noch heute fühlt Zenker, wie ihm damals die Sinne schwanden und er um klare Gedanken rang.

Voller Angst eilte er heim nach Wien. „Mein Freund hatte einmal zu mir gesagt: Wenn ich herausfinde, dass du verheiratete bist, verlasse ich dich.“ Doch er war da und hatte auch keine gepackten Koffer in den Flur gestellt. Nach stundenlangen Gesprächen mit seiner Frau war Ronald Zenker klar: Er liebt Frau und Kind. Eine Paarbeziehung jedoch will er mit diesem Mann. „Die allergrößte Angst hatte ich vor meinem Vater, der war damals 72 Jahre alt. Ich war überzeugt davon, dass er kein Verständnis haben würde.“ Ob er sich in eine andere Frau verliebt habe, fragte der Vater irgendwann den Sohn. „Und wenn es ein Mann wäre?“, fragte Zenker zurück. Die Antwort fiel überraschend aus: Auch dann bliebe er der Sohn, den er liebe. „Das hat mir Kraft gegeben, auch meinem Bruder und meinen Freunden alles zu erzählen.

Inzwischen lebt Ronald Zenker wieder in Dresden, mit einem anderen Mann. Die beiden haben vor vier Jahren als eingetragene Lebenspartner geheiratet. Seit sieben Jahren engagiert sich Ronald Zenker für den Dresdner Christopher Street Day. Weil kein Geld dafür aufzutreiben war, sollte das Event 2011 ausfallen. Zenker nahm sich der Sache mit seinem Unternehmergeist an und hat heute ein etwa zehnköpfiges Team aus Ehrenamtlern, zahlreiche freiwillige Helfer und ein Budget von 110 000 Euro im Jahr zur Verfügung. Davon gibt die Stadt 20 000 Euro, 90 000 Euro übernehmen Spender und Sponsoren.

Auch die Resonanz ist nicht mehr kümmerlich wie einst. Als Zenkers Vorreiter vor 25 Jahren den ersten CSD organisierten, zogen 120 Leute durch ein paar Straßen. Jetzt kommen 15 000 zum Umzug, bei dem sich 20 angemeldete Gruppen mit zwölf geschmückten Lastkraftwagen neun Kilometer weit durch die Stadt bewegen. Der Christopher Street Day hat politisches Gewicht. Unter anderem wurde den Machern die Sorge um homosexuelle Geflüchtete übertragen. Der Verein bemüht sich um rund 80 Männer aus Ländern, in denen Schwule verfolgt werden und die selbst hier Schutz brauchen. Unterkünfte, Deutschunterricht, Ausbildung, Job – darum kümmern sich die Vereinskollegen.

Der Fokus auf Schwule und Lesben genügt dem CSD nicht mehr. Es geht um Minderheiten generell, um deren Rechte und Akzeptanz. Deshalb ist Barrierefreiheit ein großes Anliegen. „Wir engagieren Gebärdendolmetscher und haben erstmals das Programm in Brailleschrift drucken lassen“, sagt Ronald Zenker. Ein Programm, das tagelang ein buntes Dresden feiert.