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Schwer beeindruckt

Görlitzer Unternehmer sahen sich drei Tage in der Sonderwirtschaftszone Liegnitz um. Und hoffen auf Zusammenarbeit.

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© Rainer Weisflog

Von Sebastian Beutler

Liegnitz. Stadtpräsident Tadeusz Krzakowski hat groß aufgefahren. Wo sich sonst der Stadtrat von Liegnitz trifft, empfängt das Stadtoberhaupt der 100 000-Einwohner-Stadt, die rund 100 Kilometer östlich von Görlitz liegt, Görlitzer Unternehmer. Der Chef der Sonderwirtschaftszone, Witold Idczak, ist genauso dabei wie weitere Mitarbeiter der Wirtschaftsförderung. Krzakowski hofft auf Investitionen, auf Zusammenarbeit mit den Görlitzern. Er interessiert sich für deren Unternehmen und Pläne. Nur sitzen ihm vergleichsweise wenige Unternehmer gegenüber. Monatelang hatte der Görlitzer Unternehmerverband für die Reise geworben, jetzt sind es nur zwei Handvoll Mitglieder und Interessierte, die sich die drei Tage freigeschaufelt haben, ein, zwei haben noch am Abfahrtstag abgesagt. So reicht ein kleiner Bus, mit dem Alfred Theisen die Unternehmer nach Liegnitz bringt. Der Chef des Görlitzer Senfkorn-Verlages hat für den Unternehmerverband die Reise organisiert.

Der Zug von Görlitz nach Wroclaw (Breslau) hält auch in Legnica (Liegnitz).
Der Zug von Görlitz nach Wroclaw (Breslau) hält auch in Legnica (Liegnitz). © Archivfoto: Nikolai Schmidt

In deren Mittelpunkt steht die Entwicklung der Sonderwirtschaftszone Liegnitz. Das sind große Industriezonen, in denen den Investoren der rote Teppich ausgerollt wird. Dazu zählt der Verzicht Polens auf einen Teil der Körperschaftssteuer sowie der Immobiliensteuer. Je nach Größe der Investition können sie mit einem staatlichen Zuschuss bis zu 45 Prozent der Investitionen oder der Arbeitskosten in den ersten zwei Jahren rechnen. Mittlerweile gibt es über das ganze Land verteilt solche Sonderwirtschaftszonen, die wiederum aus verschiedenen Unterzonen bestehen. Allein die Liegnitzer reicht von Zgorzelec bis vor die Tore von Wroclaw. In diesem Gebiet gibt es 21 Gebiete mit 1 300 Hektar Fläche. Ein Großteil ist davon noch frei. Ein Traum, wie die mitgereiste Görlitzer Wirtschaftsförderin Andrea Behr sagt, die gerade ihr letztes Industriegebiet in Hagenwerder verkauft. Schon jetzt haben Unternehmen rund zwei Milliarden Euro in diesen Gebieten investiert und 15 000 Arbeitsplätze geschaffen, in Zgorzelec sind es vor allem Handelsunternehmen an den Ausfallstraßen nach Boleslawiec und Jelenia Gora. Doch Krzakowski hat noch bessere Nachrichten für die Investoren: Die besonders günstigen Konditionen für Ansiedlungen gelten nun auch außerhalb der Sonderwirtschaftszonen: Das ganze Land wird so zu einer Industriezone.

Oft sind es deutsche Firmen, die die Vorzüge der polnischen Sonderwirtschaftszonen entdeckt haben. Beispielsweise Härter aus Königsbach-Stein in Baden-Württemberg. Härter stellte Werkzeuge, Stanzteile und Metall-Kunststoff-Komponenten her und beliefert seinerseits große Industriekunden. In Liegnitz hat Härter 2006 ein neues Werk errichtet, neben seinem Stammsitz ist es die einzige Filiale in Europa. 2013 erweiterte Härter seinen Liegnitzer Standort. 330 Mitarbeiter produzieren in lichten Hallen, der Mitarbeiter in der Produktion verdient rund 1 000 Euro im Schnitt, bei einem Stundenlohn von sechs bis sieben Euro. In der Verwaltung und bei den Ingenieuren liegen die Gehälter deutlich höher. Noch ist das Lohnniveau der Produktion nicht auf dem deutschen, aber die Gehälter steigen in Polen schneller als im deutschen Grenzgebiet. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch Jobs in den Sonderwirtschaftszonen für deutsche Arbeitnehmer interessant werden. Bislang sind es eher die Ausnahmen.

Neben Härter haben auch der Heizungshersteller Viessmann oder der Autozulieferer Winkelmann große Fabriken errichtet. Vor allem auf Automobil-Zulieferer, Flugzeugindustrie und Bildung konzentriert man sich in Liegnitz. Warum sich Härter für Liegnitz entschieden habe, will der frühere Görlitzer Deutsche-Bank-Chef Rainer Müller wissen, der 1995 für fünf Jahre die Deutsche Bank in Warschau geleitet hatte und jetzt Vorsitzender des Aktionskreises für Görlitz ist. Es sei die Mentalität der polnischen Mitarbeiter, erklärt der Vertriebschef von Härter in Liegnitz. Sie seien nicht mehr die billigsten in Europa, aber sie seien gut ausgebildet, arbeiteten zuverlässig und auf dem neuesten Stand der Technik.

Stadtpräsident Tadeusz Krzakowski freuen solche Einschätzungen natürlich. Der Politiker der Linkspartei steht vor einer schwierigen Wahl im Herbst. In Polen hat die Linkspartei eigentlich nichts mehr zu sagen, Krzakowski aber macht einen guten Job. Ein Denkmalstreit könnte ihm aber die Wahl kosten. Er selbst ist sich nicht sicher, ob er noch im Spätherbst im Rathaus sitzt. Dabei boomt Liegnitz, ist über Autobahnen, Fernverkehrsstraßen und Eisenbahnstrecken gut angebunden, bietet jungen Leuten an verschiedenen Berufsschulen und Hochschulen Möglichkeiten zur Ausbildung. Die Arbeitslosenrate in der Stadt liegt bei 6,7 Prozent, im Umland etwas höher. Zum Vergleich: In Görlitz beträgt sie 13,4 Prozent. Die Bevölkerung ist vergleichsweise jung. Die Menschen zwischen 18 und 65 Jahren machen 64 Prozent an der Gesamtbevölkerung aus, in Görlitz sind es nur 54 Prozent. Und schon klagt Krzakowski über Fachkräftemangel. Zwar hätten viele Ukrainer mittlerweile in Liegnitz Arbeit gefunden, auch bei Härter sind es rund 15 Prozent der Belegschaft. Aber trotzdem sei die Suche nach Mitarbeitern aufwendig. Vielleicht setzen sie genauso auf polnische Rückkehrer aus Großbritannien nach einem Brexit, wie es jetzt auch Görlitz tut.

Krzakowski kümmert sich dafür aber auch bis ins Detail um die Wünsche und Probleme der Unternehmen. So wurden die Schichtpläne geändert, damit die Mitarbeiter der Firmen nicht alle zur selben Minute Feierabend haben und dann im Stau aus den Industriezonen stecken. Den Wohnungsbestand von Liegnitz hat er teilweise privatisiert, damit neuer Wohnraum für die Mitarbeiter entsteht. Auch Kindertagesstätten sind nun gefragt. „Es ist ähnlich wie zu früheren Zeiten“, sagt der 61-Jährige, der während seiner Ausbildung eine Zeit lang in Zgorzelec lebte und noch heute regelmäßig Görlitz und Zgorzelec besucht. „Die Leute wollen während ihrer Arbeit die Sicherheit haben, dass um ihre Familie gesorgt ist.“

Edgar Wippel, Vorsitzender des Görlitzer Unternehmerverbandes, ist wie alle beeindruckt von der schnellen Entwicklung durch die Sonderwirtschaftszonen – und besorgt, ob die Lausitz dieser Konkurrenz gewachsen ist. Gerade wegen des Strukturwandels durch das Ende des Kohleabbaus fallen erneut Hunderte gut bezahlter Jobs weg, Zulieferer verlieren einen ihrer Hauptkunden. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer hat daher ausgerechnet, dass über 25 Jahre jedes Jahr ein Unternehmen mit einem Jahresumsatz von 50 Millionen Euro angesiedelt werden müsste, um diesen Aderlass auszugleichen. Und sagt selbst, dass das trotz aller Anstrengungen vielleicht nicht zu schaffen ist. Deswegen will Wippel auch die Kontakte zu den Sonderwirtschaftszonen enger knüpfen, um von der Dynamik zu profitieren.

Erste Ansätze gab es schon auf der Reise. Sascha Caron von den Stadtwerken bleibt mit Härter im Gespräch über die Lieferung von Strom. Seit einem Jahr bemühen sich die Stadtwerke verstärkt um Kunden in Polen. Weil der polnische Energiemarkt ganz anders funktioniert als der deutsche, hat man ein Partnerunternehmen gefunden, dessen Produkte nun die Stadtwerke vermarkten. Edgar Wippel wiederum will einen Liegnitzer Hotelinvestor, der aus Deutschland stammt, mit den Eigentümern eines Görlitzer Hotels zusammenbringen, um beim Buchungssystem zu kooperieren.

Am Schluss berichten noch die Vertreter von Daimler-Benz, wie sie bei Jawor (Jauer) eine neue Motorenfabrik hochziehen. 600 000 Motoren pro Jahr, 1 000 Mitarbeiter, Produktionsstart: September kommenden Jahres. Auch Jawor gehört zur Sonderwirtschaftszone Liegnitz und zeigt, was vielleicht aus Rothenburg geworden wäre, wenn die Chinesen Ernst mit ihrer Absicht gemacht hätten, eine Fabrik für E-Autos zu bauen. Heute fährt Edgar Wippel wieder nach Liegnitz – zur Mitgliederversammlung des Business-Klubs Liegnitz. Sein Ziel: eine dauerhafte Kooperation.