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Schweizer stimmen über neues Geldsystem ab

„Vollgeld“ nennt sich eine Idee für ein neues Finanzsystem ohne übermäßige Schulden. Es soll die Macht der Banken bremsen.

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© Ennio Leanza / KEYSTONE FILE / dpa

Von Hannes Koch

Dank ihrer Volksabstimmungen ist die Schweiz immer gut für neue Ideen. Politische Forderungen, die man für Utopien halten könnte, werden dann plötzlich von Hunderttausenden Bürgern unterstützt. So war es etwa bei der Abstimmung über das Grundeinkommen. Am kommenden Sonntag steht wieder ein solches Vorhaben zur Entscheidung: Millionen Schweizer können über die Einführung des sogenannten Vollgelds befinden, das dem traditionellen Bankensystem den Stecker zöge.

Was will die Vollgeld-Initiative?

Die Befürworter schreiben: „Allein die Nationalbank stellt künftig unser Geld her, auch das elektronische Geld.“ Das wäre eine gigantische Reform, denn heute liegt die Geldschöpfung zum guten Teil in den Händen der Privatbanken. Das gilt auch für den Euro. Von dem Systemwechsel versprechen sich die Initiatoren unter anderem, dass es nicht mehr zu Finanzkrisen wie ab 2007 kommt, das Geld also sicherer wird. Thomas Jordan, Präsident der Schweizerischen Nationalbank (SNB), warnt dagegen: „Ein Vollgeldsystem würde unserem Land als Ganzes schaden.“

Wie funktioniert Geldschöpfung?

Ein Beispiel: Möchte ein Verbraucher ein Auto kaufen, hat die nötigen 15 000 Euro jedoch nicht auf dem Konto, vermittelt ihm der Händler gerne einen Bankkredit. Das Institut überweist dem Kunden die Summe. „Dieser Kredit entsteht aus dem Nichts“, sagt dazu Ulrich Stolzenburg, Ökonom am Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW). Es klingt zauberhaft, ist aber real. Die Bank schreibt elektronisch ein paar Zahlen und Nullen auf das Konto des Bürgers, obwohl das Geldhaus nur über einen sehr kleinen Teil der Summe selbst verfügt. Lediglich zwei, fünf oder acht Prozent der ausgereichten Kredite müssen Institute je nach Größe und Geschäftsmodell mit Eigenkapital abdecken, der größte Teil ist „Geldschöpfung“. „Mit diesem sogenannten Giralgeld – Zahlungsmittel auf Konten – erhöhen die privaten Banken die Geldmenge, die in der gesamten Wirtschaft unterwegs ist“, erklärt Stolzenburg. Und sie verdienen damit, denn sie verlangen Zinsen, die ein Teil ihrer Gewinne sind.

Kommt unser Geld aus dem Nichts?

Auch SNB-Präsident Jordan räumt ein, dass Privatbanken selbst Geld schaffen. Das könnten sie aber nur, weil sie gleichzeitig in der Lage seien, den Kunden Banknoten auszuzahlen, die sie von Sparern, Firmen, Anlegern oder der Zentralbank erhielten. Zumindest ein Teil des geschöpften Geldes sei tatsächlich vorhanden.

Was würde sich durch ein Vollgeld-System ändern?

Privatbanken dürften dann kein Geld mehr entstehen lassen. Dieses Recht hätte nur noch die Zentralbank, etwa die Schweizerische Nationalbank oder die Europäische Zentralbank. Praktisch bedeutet das: Gibt ein Privatinstitut einen Kredit aus, muss es die ganze Summe als Zentralbankgeld besitzen. Um das zu erreichen, leiht sich die Geschäftsbank das Geld zu einhundert Prozent bei der Zentralbank und zahlt dafür Zinsen an diese. „Die Geldschöpfung geht komplett vom privaten Banksystem an die Zentralbank über“, sagt Stolzenburg. Heute dagegen schaffen die Zentralbanken zwar auch Geld, indem sie beispielsweise Banknoten ausgeben, aber dieses macht nur einen Teil der umlaufenden Zahlungsmittel aus.

Vorteil Sicherheit?

Wenn Institute beispielsweise jeden Kredit mit Zentralbankmitteln in gleicher Höhe abdecken müssen, sinkt das Ausfallrisiko. Erhielten sie ihr ausgeliehenes Geld von pleitegegangenen Schuldnern nicht zurück, spielte das für die Stabilität der Finanzhäuser keine große Rolle – sie haben ja noch ihr Sicherheitskapital. Wegen der verpflichtenden Abdeckung könnten die Banken auch viel weniger Kredite ausgeben als heute. Die Tendenz zu übersteigerter Verschuldung und gefährlichen Finanzblasen würde schwächer, hoffen die Befürworter der Schweizer Initiative.

Was bedeutet das für die Banken?

„Die Kreditvergabe würde komplizierter und schwerfälliger“, argumentiert SNB-Chef Jordan. Die Institute verdienen weniger Zinsen durch ausgereichte Kredite, müssen gleichzeitig aber mehr an die Zentralbank zahlen, weil sie sich dort ständig sehr große Summen leihen. Im Ergebnis „sinkt die Profitabilität des privaten Banksektors“, sagt IfW-Ökonom Stolzenburg – eine Gefahr nicht nur für die Aktionäre, sondern auch die Beschäftigten und Kunden. Diese müssten wohl höhere Preise für die Dienstleistungen der Institute entrichten, etwa Kontoführungsgebühren.

Gibt es Folgen für das Wachstum?

Das ist unklar. Einerseits könnte man erwarten, dass das Wachstum der Wirtschaft gehemmt wird, wenn die Kreditvergabe der Banken zurückgeht. Andererseits kann die Zentralbank die Geldmenge so erhöhen, dass das Wachstum auf dem heutigen Niveau bleibt.

Wie ändert sich die Rolle des Staates?

In westlichen Demokratien wird die Rolle der Zentralbanken oft als „unabhängig“ definiert. Ihre Geldpolitik soll sich am allgemeinen Interesse, beispielsweise der Geldwertstabilität, orientieren. Trotzdem nimmt die Politik Einfluss, indem sie das Führungspersonal der Notenbanken bestimmt. Die Macht des Staates wüchse also, wenn nur noch die Zentralbank über die Geldschöpfung entschiede. In einer Zeit, da das Misstrauen etwa gegen die Europäische Zentralbank zunimmt, dürfte eine derart grundlegende Reform viele Kritiker auf den Plan rufen.